Simon Groß

Vorarlberger Gemeindeverband

Isch doch Wurscht!

November 2020

Soja-Bratwurst, Seitan-Schnitzel, Erbsensteak und Tofu-Burger: Die EU hat kürzlich entschieden, dass derartige Ersatz-Begriffe weiterhin verwendet werden dürfen. Ansonsten stehen ja nicht allzu viele Probleme an ...

Ich habe Anekdoten gehört, wonach in der Besatzungszeit zum ersten Mal Bananen gekostet wurden – mitsamt Schale. Oder sich die Leute wunderten, warum sich dieser „Bubble Gum“ trotz energischen Kauens partout nicht in verdaubare Einzelteile verwandelte. Heute lachen wir zwar über so etwas, stellen uns aber in anderer Sache doch genauso planlos an: Die Globalisierung hat nicht nur für ein exorbitantes Angebot an Leckerbissen und kulinarischen Highlights aus aller Welt gesorgt, sondern – gerade weil diese „aus aller Welt“ kommen – eben auch für Treibhausgase und Co. Also befassen wir uns heute in Sachen Ernährung verstärkt auch mit den Themen Umwelt, Naturschutz oder soziale Gerechtigkeit, wobei es nicht einfach ist, den Durchblick zu haben: „Wie viel bekommt der Bauer für ein Kilogramm Anden-Kaffee?“ oder: „Ist die Avocado – die zwar aus dem weit entfernten Chile stammt, aber immerhin aufgelaserte Produktinformationen samt Mindesthaltbarkeitsdatum trägt und deswegen keine Plastikverpackung mehr braucht – unbehandelt und pestizidfrei und kann ich sie sorglos zu meinen sizilianischen Zitronen im Plastiknetz, deren Schale nicht zum Verzehr geeignet ist, da behandelt, in die ökologisch vorbildliche Tasche aus ostafrikanischem Sisal legen?“ Umwelt- und Naturschutz, Qualität, Regionalität, Nachhaltigkeit: Das sind zu mitunter entscheidenden Wettbewerbsfaktoren bei den ganz großen wie auch kleinen Lebensmittelerzeugern geworden. Ganz entscheidend war es auch, dem Trend der Reduktion des Fleischkonsums zu folgen, weil der ja bekanntlich für einen großen Anteil der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Nun lassen sich beim Einkaufen Erzeugnisse und Produkte finden, die einen durchaus zum Schmunzeln bringen können. Das zum Beispiel kannst du nicht erfinden – aber auf jeden Fall googeln: „Veganes Geschnetzeltes Züricher Art“. Im Onlineshop einer heimischen Lebensmitteleinzelhandelskette bin ich so schließlich sogar auf ein veganes Steak gestoßen – und auf der Verpackung steht geschrieben: „wie Steak“. Man stelle sich vor, einen Haufen Sand gewonnen zu haben und einer sagt dann lässig: „wie Lotto!“

Gurken gerade, Saftschinken fleisch- und Erzeuger fassungslos

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Oder auch nicht. Jedenfalls könnte einem das Ganze doch irgendwie wurst sein, denn der mündige Bürger und Konsument kann sich ja offenbar auch informieren und weiß, was er will – ob er sich nun vegetarisch ernähren möchte oder nicht. Die EU scheint das allerdings etwas anders zu sehen und wurschtelt dabei einmal mehr an ziemlich sinnlosen Dingen herum. 2017 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass pflanzliche Produkte nicht mehr „Sojamilch“ oder „Pflanzenkäse“ genannt werden dürfen. Drei Jahre später geht es in Sachen Lebensmittelbezeichnungen mit Fleischbezug um die Wurst: Im EU-Parlament wurde kürzlich über ein Agrar-Paket debattiert, das unter anderem vorsieht, traditionelle Bezeichnungen für Fleisch- und Wurstwaren für vegetarische und vegane Fleischimitate oder Fleischersatzprodukte zu öffnen. Da haben wir den pflanzlichen Wurstsalat: „Saftschinken fleischlos“ und „Rostbratwürstchen veggie“ geben sich in den Kühlregalen ein Stelldichein, wodurch manche die heimische Fleisch- und Wurstqualität bedroht sehen, andere die Aushebelung des strengen und durchaus wichtigen Lebensmittel-Codex und eine Täuschung des Konsumenten befürchten. Wiederum andere können nur den Kopf darüber schütteln, wie sich Brüssel imagetechnisch einmal mehr ins eigene Fleisch schneidet: 2017 eine Regelung zum Schutz von Milchprodukten aufstellen und dann drei Jahre später dieselbe Intention in Sachen Wurst- und Fleischwaren-Bezeichnungen durch den Wolf drehen. Nicht nur das ist sinnbildlich für die berüchtigte Übereifer-Bürokratie der EU, in Erinnerung geblieben ist vor allem auch die übrigens nicht mehr gültige „Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 der Kommission vom 15. Juni 1988 zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken“. Neben dieser Gurkenkrümmungsverordnung gibt es außerdem noch eine – ich halte mich jetzt kurz – „Bananenverordnung“, wonach die Länge von mindestens 14 Zentimetern und die Dicke von mindestens 27 Millimetern einzuhalten sind. Wenigstens dürfen die krumm sein, aber dennoch: Interessant (beziehungsweise verblüffend), über was hier alles entschieden wurde und wird.
Schade, dass die EU so nicht nur für europaweite Vereinheitlichungen in Bezeichnung und Form sorgt, sondern immer wieder auch den Zorn vieler Landwirte und Produzenten heraufbeschwört, die qualitativ hervorragende Lebensmittel und Erzeugnisse in Petto haben – viele davon mit langer Tradition und zum regelrechten Kulturgut avanciert. Damit diese wertvollen Aushängeschilder ganzer Regionen und Nationen erhalten bleiben können, bemühen einzelne europäische Länder wiederum eigene Gesetzesbestimmungen. Was schlussendlich bleibt: Geschnetzeltes aus Richtlinien, Regularien, Verordnungen, Normen und Standards. Und die Frage, was die EU derzeit eigentlich sonst noch so macht.

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