Sabine Barbisch

Lisa Eberle „Ich möchte eine Alte Geschichte für eine neue Welt schreiben“

März 2020

Lisa Eberle hat zunächst Tanz studiert, sich dann aber für ein „Classics“-Studium an der University of Oxford entschieden. Für das Doktorat ging sie in die USA, an die University of California in Berkeley. Seit 2016 bringt die Bregenzerin als Akademische Rätin in Alter Geschichte den Studierenden der Universität Tübingen die Antike näher.

In Bregenz und zum Teil in Schoppernau, wo ihre Großmutter herkommt, ist Lisa Eberle aufgewachsen. Der See und die Berge waren folglich fixe Elemente ihrer Kindheit und Jugend in Vorarlberg. Unter dem Einfluss des Bregenzer Frühlings liebäugelte die heute 35-Jährige mit Berufen wie Tänzerin und Choreographin. „Vorträge zu halten und Studierende zu unterrichten ist nicht viel anders als auf einer Bühne zu stehen: Da gibt es auch ein Publikum, das man mitnehmen will“, erzählt Eberle, die seit nunmehr dreieinhalb Jahren an der Universität Tübingen zur Geschichte des Mittelmeerraums in der Antike forscht und lehrt: „Bei allen Unterschieden geht es bei der wissenschaftlichen Arbeit ja auch um das Mitteilen von Ideen und Vorstellungen. Nur der Ursprung, die Erarbeitung dieser Ideen ist eine andere.“ Denn zunächst hat Eberle Tanz studiert, dann aber schnell gemerkt, dass sie intellektuell noch mehr lernen und mehr gefordert sein möchte. Deswegen hat sich die junge Frau für das Studium „Classics“ entschieden, in dem die Literatur, Geschichte, Philosophie und Archäologie der Antike behandelt werden: „Schlussendlich wollte ich einfach besser denken lernen – glaube ich zumindest heute.“ 
Dass sie in Oxford und Berkeley studierte, an äußerst renommierten Universitäten, hatte viel mit Glück zu tun, meint sie heute. „In Oxford hatten die alten und prestigeträchtigen Colleges kein Interesse an mir, dafür aber das St. Hilda’s College, ein im 19. Jahrhundert gegründetes College für Frauen. Die Altertumswissenschaftlerinnen dort wussten, dass sie die besten Leute aus England nie bekommen würden; deshalb waren sie bereit, ein Risiko mit jemandem wie mir – deren Vorbildung und Potenzial sie nicht so gut einschätzen konnten – einzugehen“, berichtet die pragmatische Bregenzerin. Und noch etwas sei förderlich gewesen: „Die Qualität meines Lateins und der Zugang zum Fach, welches ich beides am Gallus gelernt habe, hat sicher auch geholfen. Danke an dieser Stelle an Herrn Professor Schöffmann!“ 
Ihr fundierte Ausbildung an diesen Universitäten hat sie im Oktober 2016 als Akademische Rätin an die Uni Tübingen gebracht. Hier forscht und lehrt Eberle zur Geschichte des Mittelmeerraums in der Antike: „Ich unterrichte je zwei Veranstaltungen pro Semester. Die meiste Zeit sieht man mich dabei in den Seminarräumen und in der Bibliothek, Studierenden in den ersten Semestern die Antike sowohl nahezubringen als auch ihre vorgefassten Ansichten in Frage zu stellen.“ Dieses Spannungsfeld zwischen Annäherung und Distanzierung sieht die Expertin in Alter Geschichte als Grundvoraussetzungen für gute historische Forschung.

Forschung – vor dem Computer und an archäologischen Stätten 

Ihre eigene Forschung ist zum Großteil nicht ortsabhängig: „Das ist meist vor dem Computer in meinem Büro, aber dank Laptop kann ich eigentlich überall – in Cafés, im Zug, am Frühstückstisch – arbeiten. Ich lese Forschungsliteratur und auch das Quellenmaterial: Texte wie die von Cicero und Cäsar, aber eben auch viele Inschriften, die auf Stein und Bronze erhalten sind, Papyri aus Ägypten und berichte über archäologische Funde aus dem gesamten Mittelmeerraum.“ Aktuell untersucht Lisa Eberle die gesellschaftlichen Auswirkungen von Abwanderung: „Wenn ich dann meine, eine Antwort auf meine Forschungsfrage gefunden zu haben, schreibe ich sie auf, halte dazu Vorträge und mache sie in Veröffentlichungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.“ Momentan arbeitet sie an der Fertigstellung eines Buchs über Migration und ihre Rolle bei der Entstehung der Verwaltungsstrukturen des römischen Reichs und sie untersucht im Rahmen eines Projekts die gesellschaftlichen, politischen und emotionalen Folgen der Abwanderung im Mittelmeerraum zwischen 750 und 450 vor Christus. „Auf längere Sicht möchte ich helfen, die Repräsentation verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, wie Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen ohne akademischen Hintergrund in der Familie oder Frauen, in der historischen Forschung zu erhöhen. Diversität kann die Forschung nur besser machen! Das scheint mir ein ganz grundlegender Baustein dafür zu sein, eine Alte Geschichte für eine neue Welt zu schreiben.“

Von sozialer Kontrolle und Freiheit

Zu ihrem Beruf gehört aber auch der Besuch archäologischer Funde vor Ort. „Das ist ein schöner Aspekt – sowohl zum Lehren als auch für die Forschung zu reisen. Ich bin oft in Griechenland, in der Türkei, war in Ägypten, in Syrien und auch in Südfrankreich.“ Ein persönlicher Reisetipp? „Pilio in Nordgriechenland – wunderschön und nicht nur archäologisch interessant!“ Im südfranzösischen Marseille hatte sie 2018 eine Gastdozentur inne. Ihre zahlreichen Auslandserfahrungen beschreibt Lisa Eberle mit einer Aussage von Franz Michael Felder: „Er sagt, dass es aus den Schluchten des hinteren Bregenzerwalds zwei Wege in die Freiheit gibt: Hoch in die Berge und hinaus aus dem Tal; das konnte ich immer gut nachvollziehen. Wenn wir die Enge des Tals einmal als Sinnbild für das hohe Maß an sozialer Kontrolle nehmen, die in Vorarlberg herrscht, dann meine ich aber auch, dass das Erleben dieser Enge einem auch den Preis und somit den Wert von Freiheit noch einmal deutlich vor Augen führt. Mit dieser Erfahrung kann man dann auch die Freiheit, sowohl an anderen Orten als auch zurück in Vorarlberg, bewusster und voller leben.“

Lebenslauf

Geboren am 5. März 1985, ist Lisa Eberle in Bregenz aufgewachsen. Nach der Volkschule Riedenburg und der Matura am Bundesgymnasium Gallusstraße hat sie ihren Bachelor an der University of Oxford (St. Hilda’s College) und ihren Master und PhD an der University of California, Berkeley, absolviert. Von 2014 bis 2016 war die 35-Jährige Junior Research Fellow/Postdoc am St. John’s College der University of Oxford. Vor dreieinhalb Jahren wechselte sie an die Eberhard-Karl Universität Tübingen, wo sie als Akademische Rätin in Alter Geschichte zur Geschichte des Mittelmeerraums in der Antike unterrichtet und forscht. 

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