Peter Melichar

Historiker „vorarlberg museum“

Lukas Birk mit einer Boxkamera in Afghanistan. © LUKAS BIRK

Lukas Birk und sein Archiv

September 2018

Porträt eines weit gereisten Vorarlberger Künstlers, der erstmals in seiner Heimat ausstellt

Lukas Birk, geboren 1982, hat schon viele Reisen hinter sich, vermutlich mehr als die meisten in seinem Alter. Ob das an seinem Beruf liegt oder ob die Reisen ihn zu seiner Arbeit gebracht haben, ist schwer zu entscheiden. Schon während seines Studiums am London College of Music and Media in Digital Art and Photography hat er gemeinsam mit dem irischen Ethnologen Sean Foley ein Projekt zu Afghanistan begonnen, das für seine Arbeit und Arbeitsweise als Künstler und Feldforscher wegweisend sein sollte: Zwischen 2005 und 2007 bereiste er mehrfach das Land mit dem Ziel, es über die Vorstellungen der Touristen, die damals dort unterwegs waren, kennenzulernen. Zunächst als Dokumentation konzipiert, bemerkte er: „Wir brauchten etwas Fiktives, um die Realität zu erzählen.“ Es entstand ein Film mit zwei Charakteren, deren Umgang mit dem Land die mediale Projektion Afghanistan thematisiert. Tatsächlich brachten die Reisenden ganz unterschiedliche Vorstellungen mit: Die einen wollten eine Krisenregion besuchen, manche die Realität hinter den Medienberichten sehen. Andere hatten romantisierende Vorstellungen im Kopf. 
Aus dem Material entstand dann auch die Ausstellung „Kafkanistan“, die zuerst in Peking, und dann an vielen anderen Orten gezeigt und im gleichnamigen Buch dokumentiert wurde. Und schließlich kristallisierte sich noch ein Projekt über die „Afghan Box Camera“ heraus, deren Geschichte auch einen einzigartigen Zugang zur Geschichte des Landes ermöglicht. Obwohl Birk sich als Künstler versteht und in New York sich auch durch einen Agenten repräsentieren lässt, über den man Arbeiten von ihm erwerben kann, sieht er sich nicht als Teil des galerielastigen Kunstsystems. Besondere Bedeutung hat für ihn die Erarbeitung von Fotoarchiven vor allem in Asien bekommen. Nachdem er vier Jahre in Peking gelebt und gearbeitet hat, wandte er sich Indonesien und Myanmar zu. In Kooperation mit dem Goethe-Institut in Myanmar entstand eine Dokumentation zur Geschichte der Fotografie, die sowohl als Ausstellung präsentiert wurde, aber auch als Buch erschien: „Burmese Photographers“, 2018. Für Birk ist es wichtig, dass die Arbeiten, die in einem Land entstehen, auch dort gezeigt werden. Das Buch wurde daher in Myanmar hergestellt und in burmesischer Sprache (und englisch) publiziert, die Ausstellung wurde in Myanmar gezeigt. Sie war ein riesiger Erfolg: 50.000 Personen besuchten sie innerhalb von vier Wochen. „Die Leute sind geschichtshungrig, ganz anders als bei uns, die wir schon alles über uns zu wissen glauben“, sagt Birk. Einmal jährlich arbeitet er für einen Monat in China für ein britisches Fotoarchiv, um die Geschichte der chinesischen Fotografie zu erarbeiten. Und gerade neulich stieß er in Johannesburg auf die Fotosammlung eines Rahmenmachers, bei dem sich Fotos aus vier Jahrzehnten erhalten haben, die Arbeiter in seiner Werkstatt nicht mehr abgeholt haben. Was aus dem Material entstehen wird? 

In der Ausstellung, die in der Lustenauer Galerie Hollenstein zu sehen sein wird, geht es um die eigene Familie, genauer: um seinen Großvater, seinen Vater und ihn selbst. Da wird zum einen das Familienarchiv und seine Rätsel zum Thema, etwa anhand der Frage: Was ist auf Großvaters Fotos aus dem Krieg zu sehen? Zum anderen aber geht es um die Erfahrungen der Hippie-Generation des Vaters Andreas Birk, aber auch um Erfahrungen, die Lukas Birk selbst auf seinen vielen Reisen gemacht hat, wenn beispielsweise ein Grenzbeamter ihn nicht passieren ließ mit der Begründung, er kenne den Staat „Österreich“ nicht. Wenn das einzige Dokument, das die Identität beweist, nicht akzeptiert wird, dann wird sehr schnell klar, wie brüchig Identitäten sein können, die auch durch Fotos nicht immer zweifelsfrei belegt werden können, auch wenn gerade Fotos bei der Konstruktion von Identitäten und von Identifizierung für bürokratische Prozesse eine große Rolle gespielt haben. In der eigenen Familie gibt es auch noch einen besonders interessanten Fall. Ein Urgroßvater war Otto Ender (Landeshauptmann, Bundeskanzler, Minister). Er ist, erzählt Birk, „bei uns im Haus omnipräsent. Da gibt’s ein Porträt, da steht eine Büste, irgendwo liegt eine Otto-Ender-Medaille, er ist so eine Art Familienoberhaupt, aber kennen tut ihn ja keiner.“ Aber was hat so ein Prominenter für eine Identität, wenn man ihn nicht mehr kennt? 

Das eigene Foto-Archiv, das Lukas Birk bislang erarbeitet hat, umfasst schon weit mehr als 40.000 Aufnahmen. Er hat schon eine für sein Alter erstaunliche Zahl von Büchern publiziert, keineswegs nur solche zur Geschichte der Fotografie. Es gibt Reisejournale zu Afghanistan und China mit sehr persönlichen Einträgen und Bildern, das Haus, in dem der Urgroßvater Otto Ender in Bregenz wohnte, wurde Gegenstand einer einfühlsamen Dokumentation zum Thema „Der Tod eines Archivs – Ende eines Lebens“. Es ist nicht nur, aber auch eine „sentimental journey“, die Lukas Birk mit seinen Arbeiten unternimmt. So trocken und staubig Archive gemeinhin sind, im Fotoarchiv des Künstlers findet sich Erstaunliches und vor allem Berührendes.

Ausstellung in der Galerie Hollenstein von 22. SEPTEMBER BIS 28. OKTOBER 2018, am 21. September um 19 Uhr ist Eröffnung.

www.lukasbirk.com

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