Peter Melichar

Historiker „vorarlberg museum“

Erinnerung? Gedenken? Aber wie und woran?

Juni 2024

Vor 77 Jahren wurde dem Vorarlberger Guido Schmidt wegen Hochverrats der Prozess gemacht.

Gedenkpolitik hat ihre blinden Flecken. An was oder wen erinnert wird, unterliegt merkwürdigen Regeln. Entweder sind es die eindeutigen Bösewichter, die verurteilt oder aber deren Opfer und selbstverständlich die Heldinnen und Helden des Widerstands, die gewürdigt werden. Dadurch entsteht ein merkwürdiges Bild von der Vergangenheit, da die große Mehrheit weder zu den Einen noch zu den Anderen gehörte. Und dann gibt es noch die ganz besonders schwierigen, aber eben auch interessanten und lehrreichen Fälle. So einer war der Vorarlberger Guido Schmidt (1901-1957).
In Bludenz geboren, Schüler des Jesuiteninternates Stella Matutina, machte Schmidt eine atemberaubende Karriere: Nach seiner Promotion 1924 wurde er 1925 in den Diplomatischen Dienst aufgenommen, wechselte 1927 in die Präsidentschaftskanzlei, wurde 1928 schon Kabinettsvizedirektor. 1936 wurde er im Alter von 35 Staatssekretär für die Auswärtigen Angelegenheiten im Kabinett des Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg (1897-1977), der selbst ein Absolvent der Stella Matutina war. Wem in dem etwas trägen System der österreichischen Verwaltung und Politik ein derartiger Aufstieg gelang, der musste mächtige Förderer haben. Als Schmidt 1931 Annunziata Maria von Chiari, die Enkelin des Großindustriellen Oberleithner, heiratete, war es niemand Geringerer als Altbundeskanzler Ignaz Seipel, der die Trauung vollzog. Trauzeuge war Bundespräsident Miklas. Schmidt selbst stammte auch aus einer vermögenden Bludenzer Familie, der Vater Josef (1853-1908) war Spenglermeister und Kaufmann, sein älterer Bruder Josef (1889-1978) war Bürgermeister von Bludenz (1924-1930), Abgeordneter zum Landtag (1932–1934) und zum Nationalrat (1930-1934). An der Firma der Familie „Josef Schmidt’s Erben“ war Guido Schmidt als Kommandist beteiligt, ab 1950 auch als persönlich haftender Gesellschafter. 
In den Erinnerungen seiner Zeitgenossen wird Schmidt als gesinnungsloser Karrierist beschrieben, der rücksichtslos seine eigenen Interessen verfolgte. Verfolgt man seine Äußerungen im Ministerrat, so gewinnt man den Eindruck, dass Schmidt sachlich argumentierte, für die Interessen der Unternehmerschaft eintrat, insbesondere im Tourismussektor. Die 1937 eröffnete Galzigbahn bei St. Anton ging nach Pressemeldungen auf seine Initiative zurück, tatsächlich stammte die Idee von Rudolf Gomperz (1878-1942), der nach dem Anschluss als Jude verfolgt und in Maly Trostinez ermordet wurde. Schmidt begleitete Bundeskanzler Schuschnigg im Februar 1938 nach Berchtesgaden und war bei der legendären Besprechung mit Adolf Hitler dabei. Als Arthur Seyss-Inquart nach Schuschniggs Rücktritt am 11. März 1938 eine Regierung bildete, bot er Schmidt den Posten des Außenministers an. Der jedoch lehnte ab, Außenminister wurde für zwei Tage ein anderer Vorarlberger, Wilhelm Wolf (1897-1939), ein Freund von Schmidt aus Kindertagen.
Schmidt wurde zunächst beurlaubt und dann aufgrund seiner Erkrankung – er war Diabetiker – in den dauernden Ruhestand versetzt. Er bemühte sich in der Folge um eine Anstellung in der Wirtschaft und nach zahlreichen erfolglosen Versuchen bekam er durch die Protektion Hermann Görings, den er bei einigen Verhandlungen als Staatssekretär kennen gelernt hatte, im Juni 1939 eine Stelle als Exportchef der Hermann Göring-Werke. Er war der einzige Spitzenpolitiker des Austrofaschismus, der nicht inhaftiert wurde.
Nach Kriegsende wurde Guido Schmidt im Dezember 1945 verhaftet und eine Anklage wegen Hochverrat vorbereitet. Die Anklage warf ihm vor, als Staatssekretär und Außenminister „im Zusammenspiel mit maßgebenden Persönlichkeiten des Deutschen Reiches und der NSDAP ohne Wissen und unter Täuschung der österreichischen Bundesregierung, insbesondere des Bundeskanzlers Dr. Kurt Schuschnigg, in Verfolgung persönlicher politischer Ziele […] die gewaltsame Änderung der Regierungsform zugunsten der NSDAP und die Machtergreifung durch diese“ gefördert zu haben. Der Prozess vor dem Wiener Volksgericht, der am 26. Februar 1947 begann und am 12. Juni 1947 mit einem Freispruch endete, war eines der bemerkenswertesten Ereignisse in den ersten Jahren der Zweiten Republik. 
Die gesamte politische Elite des Austrofaschismus, darunter aus Vorarlberg Otto Ender und Ulrich Ilg, trat in den Zeugenstand, auch viele Spitzenbeamte, Militärs und Diplomaten. Selbst Kurt Schuschnigg und Hermann Göring (in Nürnberg) wurden als Zeugen einvernommen. Letzterer gab an, er habe Schmidt, der ihm sympathisch gewesen sei, am 11. März 1938 vor der Verhaftung schützen wollen und ihn deshalb nach Berlin holen lassen. Später habe er ihn mit einem Posten in den Göring-Werken betraut, weil Schmidt als ehemaliger Außenminister Österreichs mit den Verhältnissen am Balkan vertraut gewesen sei. Selbst Kurt Schuschnigg entlastete den Anklagten. Es zeigte sich, dass hauptsächlich Gerüchte und Verleumdungen zu der Anklage geführt hatten, vor allem aber die im Urteil festgehaltene Tatsache, „daß der Angeklagte im Gegensatz zu den eingekerkerten Kollegen ein freundlicheres Los“ gezogen und keine Bedenken hatte, einen gut dotierten Job anzunehmen, um den ihn viele beneideten. Es handelte sich, wie der Richter ausführte, um eine „Geschmacksfrage“, nicht um einen Schuldbeweis. Schmidt, der sich geschickt verteidigte, sah sich als Sündenbock. Der CV, der ihn ausgeschlossen hatte, ließ sich übrigens nie mehr dazu bewegen, ihn wieder aufzunehmen. Auch eine Haftentschädigung erhielt er nicht. Dabei war Schmidt nun wahrlich nicht als Hochverräter Österreichs des Teufels Werkzeug geworden, sondern lediglich, nachdem die Entscheidung schon gefallen war, dessen Exportchef. Jener Verrat, der tatsächlich Österreich so schwächte, dass es 1938 dem NS-Staat einverleibt werden konnte, war der an der Demokratie 1933/34. Dieser Verrat war allerdings nie Gegenstand eines Gerichtsverfahrens. 

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