Herbert Motter

Only good news is good news

Februar 2024

Kriege, Pandemie, Teuerung, Energiekrise und Klimakatastrophe: Das Bild der aktuellen Lage erscheint düster, der Welt geht es schlecht. Und über den täglichen Konsum an negativen Nachrichten sind auch wir in einen permanenten Krisenmodus geraten. Wie konstruktiver Journalismus dagegen ankämpft.

Kein geringer wie Schriftsteller Michael Köhlmeier bestätigte das jüngst in einem Profil-Interview. Auf die Frage, ob er zuweilen an der Ausschließlichkeit schlechter Nachrichten verzweifle, meinte er: „Durchaus. Es gibt diese Sehnsucht nach der Idylle, und sei es nur die Meldung, dass aus dem Donaukanal ein Hund gerettet wurde … der Overkill an negativer Berichterstattung führt bei mir dazu, dass ich an Weltdepression laboriere, was wiederum zu einer Art Desinteresse führt, das in Weltaggression mündet.“
Überforderung, Hilflosigkeit, Apathie, Ohnmacht, Erschöpfung und Angst sind vielfache Reaktion darauf. Zusätzlich sind Gefühle ansteckend – positive wie auch negative. Welche Art der Nachrichten wir konsumieren, wirkt also auf unser Wohlbefinden. Nachrichten beeinflussen, inwieweit wir uns mit Themen auseinandersetzen wollen.

Skandalgeschichten ganz nach oben
Für die deutsche Journalistin und Autorin Ronja von Wurmb-Seibel schafft es ein Ereignis in die Medien, wenn es in der Nähe (geographisch und kulturell) passiert, ungewöhnlich oder noch nie dagewesen ist, konfliktgeladen ist, weitreichende Konsequenzen hat oder Persönlichkeiten betrifft.
„If it bleeds, it leads!“ ist ein bekannter Ausspruch im Journalismus. Übersetzt heißt das in etwa: Wenn es blutet, dann steht es ganz oben (in den Schlagzeilen)! 
Dieser Spruch illustriert, wie die Zeitungen ihre Themen auswählen und uns lokale Ereignisse oder das Weltgeschehen täglich präsentieren. Mit Artikeln, die sich vor allem auf die bloße Effekthascherei konzentrieren, streben sie nach dem kommerziellen Erfolg. 
Medien neigen aus verschiedenen Gründen zur Skandalisierung: Menschen sind oft fasziniert von sensationellen und kontroversen Ereignissen, das erhöht die Quote. Dazu kommt, dass in einem stark umkämpften Medienmarkt verschiedene Nachrichtenorganisationen um die begrenzte Aufmerksamkeit der Zuschauer und Leser konkurrieren. Und, der Druck in der heutigen schnelllebigen Medienlandschaft, als Erster mit einer Geschichte herauszukommen, ist oft hoch. Dies kann zu ungenauen oder sensationellen Berichterstattungen führen, da die Fakten möglicherweise nicht ausreichend überprüft wurden. Die journalistische Maxime der Objektivität „audiatur et altera pars“, „man höre auch die andere Seite“, geht dabei immer wieder verloren.
Nachrichten verfolgen uns immer und überall. Morgens im Radio, abends im Fernsehen und zwischendrin als Push-Nachricht auf dem Handy. Doomscrolling oder Doomsurfing bezeichnet etwa das exzessive Konsumieren negativer Nachrichten im Internet. 
Nachrichten prägen unser Leben – viel mehr, als wir es ahnen. Nachrichten beeinflussen, wen wir wählen, wofür wir unser Geld ausgeben oder wie wir unsere Kinder erziehen. Sie bestimmen, wie wir uns fühlen, wenn wir morgens aufwachen und worüber wir nachdenken, wenn wir abends ins Bett gehen.
Tägliche Krisenmeldungen drücken nicht nur unsere Stimmung, sie verzerren unseren Blick auf die Welt. Sie führen zu einem Zustand „gelernter Hilflosigkeit“ – wie der amerikanische Psychologe und Begründer der Positiven Psychologie Martin Seligman es nennt.
Autorin Ronja von Wurmb-Seibel formuliert es in ihrem Buch „Wie wir die Welt sehen“ folgendermaßen: „Wenn wir ständig gezeigt bekommen, dass die Welt schlecht ist und wir nichts daran ändern können, dann glauben wir es irgendwann auch.“ Das liege auch an einer systemischen Fehleinschätzung. 

Konstruktiver Journalismus
Der alten Formel „Only bad news are good news“ (schlechte Neuigkeiten verkaufen sich dieser Annahme nach besser) wurde in den vergangenen Jahren etwas entgegengestellt: der konstruktive Journalismus. Er beruht auf den Techniken der positiven Psychologie von Seligman, die sich wissenschaftlich mit einem lebenswerten Leben auseinandersetzt und richtet den Blick verstärkt in die Zukunft, sucht nach Lösungen für die dargestellten Probleme und integriert positive Emotionen, wie Hoffnung und Inspiration. Gemäß der Broaden-and-Build-Theory (Barbara Fredrickson, 2001) erweitern positive Emotionen das Denk- und Handlungsrepertoire. 
Ronja von Wurmb-Seibel gießt konstruktiven Journalismus in eine kurze Formel: „Scheiße + X = bessere Welt!“ Zunächst wird das Problem genau analysiert (die schlechte Welt: soziale Ungleichheit, Klimakrise, Krieg), so wie es der herkömmliche Journalismus macht. Der Konstruktive Journalismus geht nun aber einen Schritt weiter: Er stellt sich den Idealzustand vor (die bessere Welt: Frieden, Klimaneutralität, gleiche Chancen für alle) und sucht danach, wie dieser erreicht und das Problem beseitigt werden kann, das X in der Formel.
Konstruktive Berichterstattung ist in den USA schon recht verbreitet. Auch in Europa, allen voran in Dänemark, erfährt sie Aufwind. Deutschsprachige Redaktionen experimentieren immer häufiger neben der „normalen“ Berichterstattung bereits mit konstruktiven Formaten.
Studien zeigen, dass wir anders auf lösungsorientierte als auf negative, konfliktgeladene Berichterstattung reagieren. Nicht umso geschockter, sondern umso so positiver wir gestimmt sind, umso so mehr wird das Interesse und die eigene Handlungsfähigkeit gesteigert. Das belegt eine Studie der Southampton Universität aus dem Jahre 2018 (The Impact of Constructive News on Affective and Behavioural Responses).
Konstruktive Journalisten sollten aus Gründen der Glaubwürdigkeit sorgfältig darauf achten, nicht unkritisch und distanzlos zu agieren. Durch ihre Haltung geben sie uns aber die Chance, optimistischer und resilienter zu werden, und im besten Fall die Welt durch das eigene Handeln ein wenig besser zu machen.

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