Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Prechts Utopie einer digitalen Gesellschaft –oder: „Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt“

April 2019

Richard David Precht formulierte im Rahmen einer Veranstaltung der FH Vorarlberg in Dornbirn Thesen zur Gesellschaft und Arbeitswelt der Zukunft. Einer der Sätze des Philosophen: „Wenn immer mehr Routinejobs durch Maschinen ersetzt werden, kann man da noch an jeden Menschen den Anspruch stellen, er habe etwas zu leisten?“

Wie wird die Digitalisierung Wirtschaft und Gesellschaft verändern? Im Rahmen eines Wirtschaftsgipfels an der FH Vorarlberg sprach Philosoph Richard David Precht dieser Tage über seine Utopie einer digitalen Gesellschaft. Und sagte dabei einleitend: „Ich bin der festen Überzeugung, dass die messbare Seite der Welt nicht die Welt ist.“ In einer Zeit, in der der Glaube an eine messbare Welt stetig steige und sich so manch einer anmaße, mit Daten aus der Vergangenheit die Zukunft vorhersagen zu können, sage er, der Philosoph: „Ich kann maximal mit einer Taschenlampe in den Nachthimmel leuchten.“

„Mitten drin in einer Revolution“

Und was sieht Precht? Eine Menschheit, die in der zweitgrößten Revolution der letzten 250 Jahre steht. Das erste Maschinenzeitalter hatte gigantische Veränderungen technischer, ökonomischer, gesellschaftlicher Natur gebracht. „Es änderte sich die Art, wie Menschen leben, wie Menschen denken.“ Im ersten Maschinenzeitalter entstand: die bürgerliche Leistungsgesellschaft. Damals wurde die menschliche Hand ersetzt. Heute werde das menschliche Hirn ersetzt. Doch könne man nicht Innovationen in Technik und Ökonomie befürworten und gleichzeitig an dieser bürgerlichen Leistungsgesellschaft festhalten wollen: „Das ist eine Illusion! Ein Umbruch dieser Größenordnung wird niemals die alte Gesellschaftsform in allem Bestehenden erhalten.“ Neue Antworten seien zu finden, etwa auf die Frage: Wenn immer mehr Routinejobs durch Maschinen ersetzt werden, kann man da noch an jeden Menschen den Anspruch stellen, er habe etwas zu leisten?

Gesellschaftliche Akzeptanz

In einer 2013 publizierten Oxford-Studie zur Zukunft der Arbeit heißt es, dass 49 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse in den USA eine hohe bis sehr hohe Wahrscheinlichkeit hätten, binnen 20 Jahren wegrationalisiert zu werden. Zwei essenzielle Überlegungen, sagte Precht, seien da allerdings nicht berücksichtigt worden. Erstens? Die Frage, ob und aus welchem Digitalisierungs-Umwandlungsprozess auch ein Geschäftsmodell werden könne, ein entscheidender Punkt. Und zweitens? Die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz. Denn realisiert wird nach dieser Lesart nur, was Akzeptanz findet.
Es werde daher flächendeckend kein Roboter die Kindergärtnerin ersetzen, kein „Thermomix mit künstlicher Intelligenz“ den Koch, kein Roboter den Rezeptionisten in guten Hotels, kein Roboter den Hausarzt, das ist die Sache mit Emotion und Empathie. Und ersetzt werde auch in anderen Berufen nur, wenn die Rechnung stimme, der Einsatz eines Roboters also billiger sei als der eines Menschen. Ob das flächendeckend der Fall sein wird? Zweifelhaft. Die Annahme, die Hälfte aller Jobs würden wegfallen, sei ergo: „Quatsch.“ Also alles gut? Bei weitem nicht. Zwar würden auch alle diejenigen irren, die davon ausgehen, dass technischer Fortschritt in Summe stets mehr neue Arbeit schaffe, als alte vernichte. Das Angebot deckt heute schon die Nachfrage nicht. Es wird sich künftig noch weniger decken, der Arbeitsmarkt, sagte Precht, „ist kein Nullsummenspiel“.
Doch gebe es massenhaft Jobs, die tatsächlich ersetzbar sind, „diese Jobs werden deshalb auch tatsächlich ersetzt werden“. Precht nannte da beispielhaft „Bürokaufmann, Fahrdienstleister, Mitarbeiter in Verwaltungen, Banken, Versicherungen, Steuerberater, Fertigungsarbeiter in der Industrie“. Künstliche Intelligenz werde auch durchschnittliche Jobs im IT-Bereich überflüssig machen. Und die Annahme, dass sich da massenhaft Menschen zu Big-Data-Analysten und Virtual-Reality-Designern umschulen lassen, sei, um denselben Ausdruck nochmals zu bemühen: genauso Quatsch.

Das Handwerk, ein Profiteur

Dagegen werde das Handwerk „einer der ganz großen Profiteure der Digitalisierung“ sein. Die größte Wachstums-Perspektive aber werden die Empathie-Berufe haben, Precht formulierte das so: „All die Berufe, in denen Wert darauf gelegt wird, dass das ein Mensch macht und keine Maschine, werden eine Zukunft haben.“ Altenpfleger? Ein gutes Beispiel. Dennoch: Neue Fragen werden neue Antworten erfordern. Denn auch zum Altenpfleger werden sich nicht massenweise Menschen umschulen lassen.

Die Demografie

Und die demografische Entwicklung wird alles weiter verschärfen, da seien sich alle einig: „Immer weniger Menschen, die arbeiten, werden immer mehr Menschen, die nicht oder nicht mehr arbeiten, finanzieren müssen, das funktioniert nicht.“ Ausweg? Ein anderes Steuersystem, weg von der Besteuerung von Arbeit, hin zu Umweltsteuern, CO2-Steuern, Maschinensteuern. Er habe sowieso nie eingesehen, warum man „den Makel der Besteuerung an Arbeit heftet, wo doch so vieles besteuert werden könnte“. Man könne aus einer ordentlichen Besteuerung von Finanztransaktionen unfassbar viel Geld lukrieren und „damit etwa in Deutschland locker jedem einzelnen Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen geben. Und das bedingungslose Grundeinkommen wird Realität“.
Precht zufolge sind sich da Politiker aller Fraktionen hinter den Kulissen bereits sehr sicher, selbst im Silicon Valley „und dort bei Typen, die noch rechts von Trump stehen“, werde ein solches Grundeinkommen befürwortet, wenn auch aus recht zynischen Überlegungen: „Die Daten eines Armen sind nichts wert.“ Nur dass eine Welt, in der die Masse ein solches Grundeinkommen bezieht, aber nur noch wenige Privilegierte einen kreativen, empathischen Beruf ausüben, auch nicht die Lösung sein könne. Sondern bestenfalls ein Zwischenschritt auf dem Weg zu seiner Utopie einer digitalen Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft gäbe es viele Menschen in kreativen, in empathischen Berufen. Dringender denn je sei also eine Revolution unseres Bildungssystems samt einer Abkehr der alten Doktrin aus Maria Theresias Zeiten, man müsse jedem Kind im selben Alter dasselbe Programm verpassen. Precht will Begabtenförderung, er will, dass auswärtige Wissenschaftler an den Schulen unterrichten, er will Kreativität gefördert sehen, er will ein „Ende der künstlichen Trennung zwischen der Schulwelt und der Wirtschaftswelt“. Mit Blick auf das von Precht Gesagte ließe sich das auch so sagen: Kinder routinemäßig für Routinejobs zu erziehen, heißt, sich der Zukunft zu verweigern.

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