
„Väter können nicht stillen – aber präsent sein“
Josef Christian Aigner, Professor für Psychosoziale Arbeit und Psychoanalytische Pädagogik
an der Universität Innsbruck, erklärt im Gespräch mit „Thema Vorarlberg“, wie sich die Rolle der Väter in der Familie verändert hat, vor welchen Herausforderungen Männer in diesem Zusammenhang stehen und warum es mehr „echte“ Familienpolitik braucht.
Über 6000 Google-Suchergebnisse erhält man wenn man „Kind ohne Vater“ eintippt, 72.800 Ergebnisse sind es beim Suchbegriff „Vaterlosigkeit“. Die Gründe, warum Kinder ohne ihre Väter aufwachsen, sind so individuell wie die Familien selbst. Einer kann die Trennung der Eltern sein: Für Vorarlberg vermeldeten die Gerichte im vergangenen Jahr laut Statistik Austria eine Scheidungsrate von 41 Prozent, nur rund ein Prozent unter dem Österreichschnitt. Österreichweit waren von den 2014 geschiedenen Ehen 18.960 Kinder betroffen, 12.646 davon minderjährig. Parallel dazu gibt es aber auch eine steigende Zahl an Männern, die sich bei Familienarbeit und Kindererziehung engagieren wollen. Nicht selten stehen sie aber vor Hindernissen, die ihnen eine zugewandte Vaterrolle erschweren. Erst in den letzten 15 Jahren hat sich der Fokus der Forschung dahingehend verändert. Prof. Josef Christian Aigner lehrt an der Universität Innsbruck Psychosoziale Arbeit und Psychoanalytische Pädagogik und widmet sich dabei auch der Vaterforschung und Erforschung des Verhältnisses Mann – Kind.
Der Vater als Repräsentant einer anderen Welt
Der auch als Psychotherapeut tätige Aigner betont die psychologische Bedeutung von Vätern in Familien: „Da nur Frauen schwanger werden können, ist der Vater ein wichtiges Element im Sinne von ,da ist jemand außerhalb der Mutter-Kind-Einheit‘.“ In dieser Konstellation steht der Vater für das andere, die andere Welt. Und das ist nicht erst in der mittleren Kindheit, sondern schon sehr früh in der Entwicklung des Kindes wichtig: „Väter können nicht stillen, aber sie können präsent sein.“ Für Kinder sei es bedeutend, einen Spielpartner zu haben, der anders ist, einen Herausforderer, jemanden, der zu Neuem animiert und auch als Repräsentant anderer Gewohnheiten und Normen als die der Mutter auftritt. Deshalb sei ein „Mapi“ – mit dem Begriff wird die Kopie der Mutter durch den Vater beschrieben – keine erstrebenswerte Figur, wenn es um die Rolle der Eltern geht.
Die Dreiecksbeziehung zwischen Vater, Mutter und Kind hat Siegmund Freud schon in den 1920er-Jahren entdeckt. Für Aigner hat diese Theorie viel zu spät Einzug in das psychologische Wissen erhalten. Demnach ist der Vater der Garant für das Leben außerhalb der Mutter-Kind-Beziehung. „Es soll kein Drama sein, wenn die Mutter einmal nicht da ist“, sagt der Wissenschaftler lakonisch und nennt das die „Separierung von der Abhängigkeit der Mutter“.
„Bemuttern oder Bevatern“
Aigner berichtet, dass über 35 Prozent der Kinder über viel zu wenig oder zu wenig Zeit mir ihren Vätern klagen, rund 11 Prozent vermissen mehr Zeit mit ihren Müttern. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen auf die Gleichheit der Geschlechter bedachten und sehr traditionellen Familien: „Die Vater-Kind-Beziehung wird in egalitären Familien positiver bewertet, wohingegen Kinder aus traditionellen Familien den Wunsch nach mehr Vater und weniger Mutter äußern.“ Lange Zeit dominierte laut Aigner ein Bild des „defizitären Vaters“. Erst das Infragestellen der Vaterrolle führte zur Auflösung althergebrachter Rollenbilder. Heute reiche es nicht mehr, der traditionell gute Vater zu sein, der die Familie materiell versorge, nicht trinke und keine Gewalt anwende. Erst in jüngster Zeit sei ein positiver Einschlag in der Thematik der Vaterrolle zu erkennen.
Warum es mehr Familienpolitik braucht
Der Professor für Psychosoziale Arbeit und Psychoanalytische Pädagogik kritisiert die als Familienpolitik deklarierte Frauenpolitik. „Weil familienfreundliche Maßnahmen fast immer frauenfreundlich meinen, muss es hier Änderungen geben.“ Denn die Balance zwischen Familien- und Erwerbsleben zu halten, sei auch für Väter ein großes Problem, sagt Aigner und fordert die Förderung von Teilzeitarbeit für beide Geschlechter: „Eltern, die ihre Arbeitszeit zu gleichen Teilen reduzieren, sollte man steuerlich begünstigen, damit sie sich egalitär um ihre Kinder kümmern können.“ In diesem Zusammenhang stellt er auch klar, dass die Voraussetzung dafür die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern ist: „Frauen bleiben in vielen Fällen bei den Kindern daheim, weil die Familienkasse sonst nicht stimmt. Wenn sich das nicht ändert, ändert sich auch sonst nichts.“ Einen weiteren wichtigen Aspekt in der Diskussion um die Rolle der Väter bringt Aigner mit folgendem Zitat von Peter Turrini ein: „Ich freue mich auf den Tag, und sei es ein halber, an dem die Väter den Platz neben ihren Kindern einnehmen. Ich freue mich auf den Tag, an dem die Mütter, ohne ihr Ansehen zu verlieren, den Vätern diesen Platz geben.“
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