Sabine Barbisch

Viel mehr als ein Beruf

Mai 2019

Heute geht Elisabeth Neier in ihrem Beruf als Ärztin auf, gleich nach der Matura ein Medizinstudium zu beginnen, kam für sie aber nicht in Frage: „Das wäre mir zu viel Verantwortung gewesen. Wir waren 13 Kinder in der Familie, das gefiel mir und ich konnte mir den Beruf als Lehrerin gut vorstellen, so entschied ich mich für die Ausbildung an der Pädagogischen Akademie in Feldkirch.“ Nach dem Abschluss arbeitete sie zwei Jahre als Lehrerin und stellte sich immer öfter die Frage, ob sie sich nicht doch der Medizin zuwenden sollte: „Ich sah, dass meine Schüler oft gefährliche Spiele spielten und fragte mich, wie ich reagieren würde, sollte sich eines der Kinder verletzen. Nach einem Erste-Hilfe-Kurs in Bludenz wollte ich meinem Interesse für die Medizin weiter auf den Grund gehen und absolvierte über die Weihnachtszeit ein Praktikum an der Unfallabteilung im Krankenhaus Feldkirch.“ Neier bekam den gewünschten Einblick und gewann eine wichtige Erkenntnis: „Ich fühlte mich sehr am richtigen Platz und konnte mich sehr gut in die Skifahrer einfühlen, die statt auf der Piste im Spital landeten.“ Obwohl sie während des Praktikums hauptsächlich Hilfstätigkeiten ausübte, war die Arbeit im Krankenhaus Anlass genug, über ihren weiteren Berufsweg nachzudenken. „Ich hatte allerdings Zweifel, ob ich mich in Richtung Krankenschwester oder Ärztin bewegen sollte. Mein Gedanke war, dass ich meine Kompetenzen als Krankenschwester bestimmt überschreiten würde, sollte sich ein Arzt nicht genug um einen kranken Menschen kümmern. Die Nähe zu den Patienten war aber ohnehin in beiden Berufen gegeben und so entschied ich mich für das Medizinstudium in Innsbruck“, lässt Neier an ihren Gedanken zur damaligen Entscheidung teilhaben. Ihre Eltern akzeptierten, dass sie eine neue Ausbildung machen würde; ein Problem gab es allerdings, wie sie sich zurückerinnert: „Die berufliche Perspektive war schwierig: Es war die Zeit der sogenannten ‚Ärzteschwemme‘ und Berufsvertreter meinten, in irgendeinem Tal könnte man schon eine Stelle als Arbeitsmediziner schaffen. Mein Gedanke war: Wenn man mich hier nicht brauchen kann, schaue ich, in welchen Ländern dringend Ärzte gesucht werden.“
1988 ging Elisabeth Neier mit der Schweizer Version von „Ärzte ohne Grenzen“ für ein Jahr ins zentralafrikanische Kamerun und betreute dort Flüchtlinge aus dem Tschad.

Ärztin und Leiterin des Krankenhauses in Ngaoubela

Im darauffolgenden Jahr kam sie dann nach Ngaoubela, einer Art Missionsspital, das nahe der 30.000-Einwohner-Stadt Tibati liegt. „Das Spital im 500-Seelen Dorf Ngaoubela ist 1957 aus einer ehemaligen Leprastation entstanden. Als ich 1989 dort ankam, gab es 80 Betten für Patienten, heute haben wir 170.“ Seit sie dort angekommen ist, hat Elisabeth Neier die ärztliche Leitung inne und garantiert mit ihrem Team, das immer wieder durch Auslands-Zivildiener, Fachpersonal und Helfer aus unterschiedlichen Branchen unterstützt wird, die Versorgung vieler Menschen in einem riesigen Gebiet. Dabei versucht sie den Anteil administrativer Aufgaben so gering wie möglich zu halten und ist schwerpunktmäßig als Chirurgin tätig; aber auch den internistischen, gynäkologischen und pädiatrischen Bereich deckt sie ab. 
Auch privat fühlt sich die 66-Jährige in Kamerun sehr wohl: „Es ist ein fruchtbares Land, das flächenmäßig etwa fünf Mal so groß wie Österreich ist. Hier verschmelzen die Völker und Kulturen Afrikas.“ Als Ärztin ist sie aber auch mit den Schattenseiten konfrontiert: Etwa die Hälfte der rund 20 Millionen Einwohner Kameruns gelten als arm, bis zu zwölf Prozent sind HIV-positiv. „Auch wenn wir schon viel geschafft haben, unsere Arbeit hört nie auf. 2014 konnten wir durch tatkräftige Unterstützung auch aus Vorarlberg einen neuen OP-Trakt einweihen. 2016/2017 erfolgte ein weiterer großer Umbau, der unserem Spital zu einer neuen Intensivstation und einer Notfallaufnahme verhalf, und Unterkünfte für die Angehörigen der Patienten, die einen Teil der Pflege und Versorgung im Spital übernehmen, konnten 2018 fertiggestellt werden. Aber das Spital bleibt eine ewige Baustelle.“ Eine große Unterstützung in den drei Jahrzehnten ihres Engagements als Ärztin in Kamerun ist stets ihre Mutter, die vor kurzem ihren 90. Geburtstag gefeiert hat: „Im Hintergrund ist meine Mama vom ersten Tag an involviert: Von Bludenz aus koordiniert sie Hilfstransporte, Spenden und Unterstützung aller Art für das Krankenhaus und kümmert sich um unseren Unterstützerverein Entwicklungspartnerschaft für Kamerun. Damit wollen wir auf partnerschaftlicher Ebene im medizinischen und handwerklichen Bereich wirksame und nachhaltige Hilfestellung anbieten.“ Auch wenn ihr die Trennung von ihrer Familie nach einem Besuch in Vorarlberg besonders schwerfällt, freut sich Elisabeth Neier schon wieder auf Ngaoubela: „Wenn ich heimkomme, warten viele Menschen und viel Arbeit auf mich!“

Lebenslauf

Bis zu ihrem neunten Lebensjahr ist die am 8. März 1953 geborene Elisabeth Neier in Dornbirn aufgewachsen, danach zog Familie Neier nach Bludenz, wo ihre gerade 90 gewordene Mutter immer noch lebt. Elisabeth Neier ist die älteste von 13 Kindern, hat am BG Bludenz maturiert, danach die pädagogische Akademie in Feldkirch besucht und war dann zwei Jahre als Volksschullehrerin tätig, bevor sie sich für ein Medizin-Studium in Innsbruck entschieden hat. Seit 30 Jahren ist sie Ärztin und Leiterin des Krankenhauses in Ngaoubela. Elisabeth Neier wurde 2003 mit dem höchsten Verdienstorden der Republik Kamerun und 2007 mit dem Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und dem Silbernen Ehrenzeichen des Landes Vorarlberg ausgezeichnet. 

Elisabeth Neier und ihr Krankenhaus in Ngaoubela können unterstützt werden: „Entwicklungspartnerschaft für Kamerun“, Vorarlberger Hypothekenbank, IBAN AT33 5800 0123 5853 5117

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