Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Von heutigen und künftigen Herausforderungen

Juli 2018

Die Geschichte des Vorarlberger Sozialfonds ist die Geschichte einer rasanten finanziellen Entwicklung: Ein Budgetpfad soll ein weiteres Ausufern des aktuell mit 266 Millionen Euro dotierten Fonds bremsen. Doch so einfach ist die Sache nicht: Es gibt kaum gesellschaftliche Herausforderungen, die den Sozialfonds in seiner Zuständigkeit nicht treffen.

Auch das ist ein Jubiläum: Vor 20 Jahren war in Vorarlberg der Sozialfonds zur Finanzierung sozialer Agenden eingerichtet worden, konzipiert als Instrument zur Herstellung eines wirtschaftlichen Interessensausgleichs zwischen Land und Gemeinden. Man habe Vorsorge zu treffen, dass die Finanzierung längerfristig gesichert bleibe, hatte es geheißen, „angesichts der demografischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen und der wachsenden Anspannung der öffentlichen Haushalte ist dies zu einer vordringlichen Aufgabe geworden“.

Enorme Herausforderungen

An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert. Nur sind die Aufgaben heute umfassender geworden. Eine alternde Gesellschaft, belastete Familien, Menschen in Armut, steigende Ausgaben im Sozial- und Gesundheitswesen, bundesrechtliche Veränderungen etwa im Bereich der Pflege, teures Wohnen – es gibt kaum gesellschaftliche Herausforderungen, die den Sozialfonds in seiner Zuständigkeit nicht treffen. 350 Leistungspakete werden heute über den Fonds abgewickelt, von Schwangerschaftsdiensten bis hin zur Altenbetreuung. 4500 Menschen erbringen Dienstleistungen, die aus dem Fonds zumindest mitfinanziert werden. „Der Sozialfonds“, sagen die Verantwortlichen, „ist die Drehscheibe zwischen Menschen mit Hilfebedarf und operativ tätigen Einrichtungen.“

Eine dramatische Entwicklung

Doch das hat seinen Preis. War der Sozialfonds bei seiner Gründung noch mit 101 Millionen Euro dotiert gewesen, lag der Finanzierungsbedarf im Jahr 2017 bereits bei 266 Millionen Euro. Wobei sich der Landesbeitrag gemäß Vereinbarung auf 159,7 Millionen Euro, der kommunale auf 106,4 Millionen belief. Mit Steigerungen war gerechnet worden, aber nicht in diesem Ausmaß. Selbst der Landesrechnungshof hatte sich in seinen Warnungen geirrt, ihm zufolge hätte der Fonds im Jahr 2024 mit 200 Millionen Euro die Grenze der Finanzierbarkeit erreicht. Jahre vor Ablauf dieser Prognose hat der Sozialfonds ein Ausmaß erreicht, mit dem selbst die strengen Prüfer damals nicht rechneten.

Wie konnte es zu dieser Dynamik kommen? Katharina Wiesflecker, zuständige Landesrätin, sagt, dass sich infolge all der zuvor erwähnten gesellschaftlichen Veränderungen auch die Qualität der Leistungen habe verbessern müssen. Das eine bedingt das andere. Ein Beispiel? Demografie und Pflege: „Kommen Menschen heute ins Pflegeheim, sind sie in der Regel schon hoch betagt und schwer pflegebedürftig. Früher  hatte es in den Pflegeheimen eine viel größere Durchmischung an Pflegestufen gegeben.“ In einer Beurteilung des Sozialen müssten daher zwingend all die vorgelagerten Bereiche mitgedacht und entsprechend berücksichtigt werden. „Oft genug“, sagt Wiesflecker, „wird der Sozialbereich zu eng gesehen.“

Soll heißen: Versäumnisse im Bildungsbereich müssen im Sozialbereich später kompensiert werden. Eine Verkürzung der Belagstage im Gesundheitsbereich erzwingt eine verstärkte Nachsorge in der ambulanten Pflege. Der Arbeitsmarkt, je nach Entwicklung, wirkt stark. Detto der Wohnungsmarkt. Und das Wegbrechen familiärer Strukturen. Wobei das nur einzelne Beispiele sind. Schwierigkeiten wirken nachgeordnet; was im vorgelagerten oder angrenzenden Bereich getan, nicht getan oder verändert wird, hat wiederum Auswirkungen auf den Sozialbereich. Und von neuen Herausforderungen, auf die sich der Sozialfonds stets einzustellen hat, ganz zu schweigen: Die Flüchtlingswelle oder die aktuelle Abschaffung des Pflegeregresses, obwohl mit dem Bund noch keine Kompensationszahlungen vereinbart sind, wären hier zu nennen.

Trotz allem stellt sich die Frage nach der künftigen Finanzierbarkeit dieses Systems. Auch im Hinblick auf die finanzschwachen Kommunen. Seit Jahren fordern die Oppositionsparteien, der Finanzierungsschlüssel, wonach das Land 60 und die Gemeinden 40 Prozent zu tragen haben, müsse zugunsten der Kommunen gesenkt werden. Schwarz-Grün hat sich stattdessen auf die Einhaltung eines Budgetpfades geeinigt. Der Sozialfonds darf demnach nur noch in einem Ausmaß steigen, der der durchschnittlichen Steigerung der Ertragsanteile der vergangenen fünf Jahre entspricht. Das bedeutet ein jährliches Wachstum von maximal vier Prozent, „das ist sehr ambitioniert“, sagt Wiesflecker. Allerdings unumgänglich. Vor allem für die Gemeinden. Denn der Sozial- und Gesundheitsbereich mache inzwischen fast schon 30 Prozent der laufenden Ausgaben in den Gemeinden aus, berichtet Gemeindeverbandspräsident Harald Köhlmeier, „das bereitet uns große Sorge“. Stellt man den Finanzierungsschlüssel mit dem Land infrage? „Weniger wäre immer besser.“ Man habe mit dem Land allerdings zumindest vereinbart, dass der Gemeindeanteil mit 100 Millionen Euro plus dieser Steigerung der Ertragsanteile jährlich gedeckelt sei.

Man setzt also auf Kostendämpfung, „nicht zulasten der Qualität – wobei man das eine oder andere Produkt durchaus kritisch hinterfragen darf“. Sozialraumorientierung soll laut dem Harder Bürgermeister verstärktes Motto werden. Auch die Landesrätin erklärt, man könne nicht mehr länger Leistungen immer nur additiv hinzuzufügen, „wir werden auch die Anstrengung unternehmen müssen, genauer hinzuschauen, ob bestimmte Dienstleistungen nach wie vor stimmen“.

Die Landtagsdebatte vor 1996 hatte vieles vorweggenommen, Manfred Dörler, der spätere Landtagspräsident, beispielsweise gesagt: „Sozialpolitik darf sich aber nicht auf die Gegenwart beschränken. Sie muss gerade im Interesse einer langfristigen Absicherung des sozialen Netzes auch zukünftige Entwicklungen beobachten. Wir müssen im Interesse dieser langfristigen Absicherung daher auch kostendämpfende Akzente setzen.“ Eine treffende Einschätzung – auch nach 22 Jahren.

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