Teresa Egle

Vorarlbergerisch verbindet

September 2016

Sprache beeinflusst, wie wir denken, und prägt unsere Identität – ganz besonders jene der Vorarlberger. Kein anderes Bundesland in Österreich zeigt sich so verbunden mit seinem Dialekt wie die Gsiberger. Diese Verbundenheit ist oftmals mit der Angst des Dialektschwunds verknüpft.

"Vorarlbergerisch ist für Ostösterreicher ja fast exotisch“, erklärt Manfred Glauninger, Soziolinguist an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und an der Universität Wien, schmunzelnd und weiß: „Jede Sprachform hat ein bestimmtes Image. Dieses ist – abhängig vom Betrachter – teilweise sehr ambivalent.“ Die Vorarlberger haben jedoch Glück: Umfragen zufolge gehört der heimische Dialekt immer wieder zu den beliebtesten Mundarten in ganz Österreich. „Sprache ist ein wichtiger Identitätsfaktor, also ein Gruppensymbol, das zusammenschweißt“, weiß Glauninger. Das gilt auch für jeden Dialekt. Die Verbundenheit der Vorarlberger untereinander zeigt sich gegenüber Restösterreich nicht nur in der Grundverschiedenheit des Dialekts, wird dadurch aber verstärkt.

Oliver Schallert von der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt, warum sich Dialekte verändern: „Sprach- bzw. Dialektwandel sind allgegenwärtige Erscheinungen, die vielfältige Ursachen haben. Sie spiegeln zum einen den kulturellen und gesellschaftlichen Wandel wider. Auf der anderen Seite gibt es Veränderungen in grammatischen Bereichen, beispielsweise im Satzbau oder der Morphologie – also der Struktur und dem Aufbau von Wörtern –, die weniger offensichtliche Ursachen haben.“ Laut Schallert gibt es gewisse Parallelen zwischen Sprachwandel und Evolution: „Die jeweilige Kindergeneration stimmt sprachlich in vielen Bereichen mit der Elterngeneration überein, aber es gibt zum Teil auch sehr subtile Abweichungen – das sind quasi die Mutationen.“ Die entscheidenden Fragen für den Junior-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München sind in diesem Zusammenhang, welche Faktoren bestimmen, welche dieser Mutationen sich durchsetzen und welche nicht.

Sprache im Wandel

Aktionen wie die Initiative „Rettet das Gsi“ zeigen, dass den Menschen der Sprachwandel bewusster wird. Sie versuchen ihren Dialekt in seiner heutigen Form zu konservieren. Glauninger erklärt, dass es für die Vorarlberger aber keinen Grund zu Sorge gebe. Zwar verschwinden Dialekte immer wieder, das ist aber ein natürlicher Prozess des Sprachwandels. „Insgesamt werden Dialekte im deutschen Sprachraum zunehmend weniger gebraucht, das ist aber von Region zu Region unterschiedlich. In der Deutschschweiz und in Vorarlberg werden die Kinder nach wie vor im Dialekt sozialisiert“, meint der Soziolinguist. Außerdem ist die Vorarlberger Mundart nicht so stigmatisiert wie etwa jene der Wiener, die in der jungen Generation fast kein Wienerisch mehr sprechen. Die Gründe für Sprachwandel sind vielschichtig, erklärt Glauninger: „Entscheidend ist sicher die Urbanisierung, denn in großstädtischen Räumen zeigt sich das Phänomen des Dialektabbaus am deutlichsten. Die Veränderungen stehen aber auch mit dem Prestige und Stigma der Formen einer Sprache in Verbindung.“ Als grobe Tendenz ist festzuhalten, dass der Dialekt eher bei den Jungen als bei den Älteren, eher in der Stadt als auf dem Land und eher im Norden als im Süden des deutschsprachigen Raums verschwindet.

Dialekt 2.0

Auch die digitale Kommunikation beeinflusst die Sprache, und gerade dort erlebt der Dialekt derzeit ein Revival. Es handelt sich dabei um eine neue Form der Schriftlichkeit. In Online-Medien wird oft dialektähnlich geschrieben, weil die Menschen kommunizieren, als würden sie sprechen und nicht tippen. „In der Linguistik nennt man das ‚geschriebene Mündlichkeit‘“, erklärt Glauninger und meint: „Vor dem Internet hat es das in dieser Form noch nicht gegeben.“ Gleichzeitig geht aber die Verwendung des Dialekts als Alltagssprache insgesamt zurück. Die Auswirkungen zeigen sich in den Medien, der Werbung oder auch in Kunst und Literatur. Der Dialekt wird dabei gerne genutzt, um gewisse Assoziationen wie Regionalität oder Heimatverbundenheit auszulösen.

Das „gsi“ stirbt nicht

Der Vorarlberger Dialekt gilt als einer der am besten erforschten Sprachräume. Auch junge Wissenschaftler beschäftigen sich vermehrt mit der Thematik des Sprachwandels, nicht zuletzt aufgrund der Angst, das „gsi“ und somit der Vorarlberger Dialekt würden vermehrt von anderen sprachlichen Einflüssen verdrängt. Der Wolfurter Lukas Österle hat mit einem Generationenvergleich aufgezeigt, dass die ältere Bevölkerung über den größten dialektalen Wortschatz verfügt. Die Studie beweist auch, dass der Dialekt vor allem für Jugendliche wieder an Bedeutung gewinnt. Die Germanistin Elena Fürst analysierte an der Universität Wien das Sprachphänomen „gsi“ und kommt zum Ergebnis: „Auch wenn das ‚gsi‘ zusehends aus unserem Wortschatz verschwindet, für gewisse Satzkonstruktionen, wie im Konjunktiv Perfekt oder Plusquamperfekt, brauchen wir es immer noch. Das ‚gsi‘ stirbt also noch nicht so bald.“ Glauninger erklärt: „Viel eher als das ‚gsi‘ verschwinden Wörter für Arbeitsgeräte oder andere Dinge, die im Alltag nicht mehr gebraucht werden.“ Die Vorarlberger dürfen sich also wohl noch ein paar Jahrzehnte „Gsiberger“ nennen.

Mundart mit Geschichte

In Vorarlberg werden generell alemannische Dialekte gesprochen, wodurch gewisse sprachliche Gemeinsamkeiten mit den schwäbischen, liechtensteinischen und Schweizer Nachbarn bestehen. Vorarlberg vereinigt mit zwölf verschiedenen Sprachregionen eine Vielfalt an Mundarten, wie sie innerhalb des Alemannischen nur selten anzutreffen ist.

Sprachliche Besonderheiten

Die Vorarlberger Mundart ist von wesentlichen Besonderheiten gekennzeichnet, wie beispielsweise dem Fehlen des Genitivs oder auch diversen Verben der Wahrnehmung. Wer sich artikulieren will, kann „schwätza“, „reda“ und „sega“, aber nur selten „sprechen“. Die Vielfalt zeigt sich auch bei anderen Sinnen, so kann man „schaua“, „seaha“ und „luaga“ sowie „höra“ und „losna“. Gerne wird auch alles verniedlicht. Wenn es jedoch um die Liebe geht, geben sich die Vorarlberger zurückhaltend. Man kann zwar „verliabt“ sein, etwas kann auch „liab“ sein, aber anstatt jemanden zu lieben, hat man sich im Ländle einfach nur „gerra“. Und dann gibt es noch die beiden wohl wichtigsten Wörter „ghörig“ und „odr“, ohne die sich Gsiberger kaum verständigen könnten.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.