Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Vorarlbergs Freiwilligenheer – der Einsatz von 164.000

März 2015

Vorarlbergs Freiwillige erbringen eine Leistung, die der von 26.000 Vollzeitarbeitsplätzen entspricht. Das Ehrenamt ist damit, salopp gesagt, Vorarlbergs größtes Unternehmen. Der Nutzen ist immens, für den Einzelnen und für die Gesellschaft. Studien zeigen verblüffende Zusammenhänge.

Wer seinen Dienst bei einer der 120 Ortsfeuerwehren oder einer der 25 Betriebsfeuerwehren im Land versieht, der geht die Verpflichtung ein, Tag und Nacht rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen, um im Notfall ausrücken zu können. Trotzdem haben Vorarlbergs freiwillige Feuerwehren knapp 7000 Mitglieder im aktiven Dienst. Dieses System der freiwilligen Feuerwehr gibt es nur in Österreich, in Deutschland und in wenigen Teilen Italiens. Ansonsten gibt es in Europa ausschließlich Berufsfeuerwehren, die allerdings nicht nur wesentlich teurer, sondern nach Angaben von Landesfeuerwehrkommandant Hubert Vetter auch bei Weitem nicht so effektiv sind: „Verglichen mit Berufsfeuerwehren hat unser Freiwilligen-System eine um den Faktor zehn tiefere Todesrate bei Brandopfern.“ Nur das Freiwilligenheer der Feuerwehr kann im Brand- und Katastrophenfall schnellstmöglich reagieren und vor Ort sein. Vetter sagt schlicht: „Ohne Ehrenamt gäbe es im Land keine Feuerwehr. Und ohne Feuerwehr keinen Brand- und Katastrophenschutz.“ Die Feuerwehr ist ein Beispiel für das Ehrenamt in Vorarlberg, ein Beispiel von vielen, in einem Land, in dem sich die Hälfte der Menschen ehrenamtlich engagiert, also Dienst an der Allgemeinheit leistet – freiwillig und ohne Bezahlung.

Ein verblüffender Zusammenhang

Forschern zufolge gibt es einen Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsstärke eines Landes und dem freiwilligen Engagement seiner Einwohner. „Es existiert eine verblüffende Korrelation“, sagt Manfred Hellrigl. Der Leiter des Zukunftsbüros beruft sich dabei auf eine Studie, in der das Freiwilligen-Engagement in europäischen Staaten miteinander verglichen wurde. Ergebnis? In finanzschwachen Ländern, in Griechenland etwa, in Italien, Bulgarien oder Litauen engagieren sich weniger als zehn Prozent der Einwohner. In den finanzstarken Ländern Österreich, Schweden, in den Niederlanden oder in Großbritannien sind dagegen mehr als 40 Prozent der Menschen ehrenamtlich engagiert. Natürlich ist die Wirtschaftsleistung eines Staates nicht ausschließlich auf das Freiwilligen-Engagement seiner Einwohner zurückzuführen. „Aber das Ehrenamt ist ein wesentlicher Faktor“, berichtet Hellrigl. Seit den späten 1970er-Jahren ist in der Wissenschaft übrigens anerkannt, dass Sozialkapital, zu dem auch das ehrenamtliche Engagement zählt, einer der Faktoren ist, um das Wirtschaftswachstum eines Landes erklären zu können.

Ein Land, zwei Systeme

Robert D. Putnam, renommierter US-Soziologe an der Universität Harvard, hatte beispielsweise in einer Langzeitstudie bewiesen, dass der Unterschied zwischen dem reichen Norden Italiens und dem armen Süden des Landes maßgeblich mit dem freiwilligen Engagement seiner Einwohner zusammenhängt – Norditaliener sind laut Putnam engagierter, auch in größerem Rahmen, während Süditaliener nur im Rahmen ihres eigenen Familienclans halfen. Österreich? Ist anders. Beim Roten Kreuz in Vorarlberg sind nach Angaben von Direktor Roland Gozzi „Nacht für Nacht landesweit 70 Männer und Frauen elf, zwölf Stunden, je nach Schichtplan, im Dienst, gratis und ehrenamtlich“. 800 Freiwillige sind im Land für den Rettungsdienst zertifiziert. Nur wenige Länder haben dieses Freiwilligen-System. In der Schweiz etwa gibt es zwar auch ein freiwilliges Rotes Kreuz, das sich allerdings nur auf Randaufgaben konzentriert. In Deutschland wurde Mitte der 1980er-Jahre das Freiwilligen-System durch diverse Maßnahmen abgeschafft und auf Berufsfüße gestellt. „In Europa gibt es kein System, das mit dem österreichischen vergleichbar ist“, sagt Gozzi.

Vorarlbergs größtes Unternehmen

In Vorarlberg engagieren sich 164.000 Menschen ehrenamtlich, leisten im Durchschnitt sechseinhalb Stunden pro Woche Dienst für die Allgemeinheit. Vergleicht man dieses Freiwilligenheer mit dem Beschäftigungsstand der zehn größten Arbeitgeber Vorarlbergs, zeigt sich erst die wahre Dimension des Ehrenamts in unserem Bundesland: Denn die Arbeitsleistung des Freiwilligenheers entspricht nach Angaben des Zukunftsbüros umgerechnet 26.000 Vollzeitarbeitsplätzen, während Vorarlbergs größte Arbeitgeber im Vorjahr zusammen knapp 15.000 Personen beschäftigten. Die Ehrenamtlichen bilden also, um es ein wenig salopp zu formulieren, Vorarlbergs größtes Unternehmen. Welche volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Unternehmen für Vorarlberg hat, lässt sich freilich nur schätzen – Hellrigl etwa sagt, dass das Freiwilligenheer pro Jahr fiktive drei bis fünf Prozent des Bruttoregionalprodukts erwirtschafte. Im Jahr 2013 lag Vorarlbergs Bruttoregionalprodukt bei 14,9 Milliarden Euro.

Zurück zum Roten Kreuz: Die 800 Freiwilligen in Vorarlberg – beim Roten Kreuz sind auch 200 Hauptberufliche und 200 Zivildiener im Einsatz – erbringen pro Jahr eine halbe Million Leistungsstunden. Gegenwert? „Nehmen sie einen Stundensatz von nur 20 Euro und rechnen Sie es hoch“, sagt Gozzi. Österreichweit hatte eine Studie den monetären Wert der Freiwilligenarbeit vor längerer Zeit auf 8,8 Milliarden Euro im Jahr beziffert, aktuelle Studien zum Thema gibt es nicht.

Geld? Ein großes Tabu

Das mit dem Rechnen ist allerdings so eine Sache, auch in anderer Hinsicht: Würde der Staat etwa anfangen, einen Teil der freiwillig engagierten Menschen zu bezahlen, wäre das gesamte System gefährdet – derjenige, der nichts bekommt, dürfte sich fragen, warum der andere den Einsatz abgegolten bekommt. „Geld im Freiwilligen-Bereich ist ein Tabu“, warnt Hellrigl. Doch genau diesen unseligen Vorstoß hatte der frühere Minister Norbert Darabos unternommen, der Milizsoldaten eine Prämie für den Einsatz im Katastrophenfall zahlen wollte. Mit dem Ausgang der Bundesheer-Volksabstimmung war Darabos politische Geschichte und mit ihm auch die Milizprämie vom Tisch. „Zum Glück“, sagt Landesrat Erich Schwärzler, „diese Prämie wäre ein Anschlag auf das Ehrenamt gewesen und ein Affront gegenüber all jenen, die das ganze Jahr über in Hilfs- und Rettungsorganisationen freiwillig und unentgeltlich ihren Dienst versehen.“

3,3 Millionen in Österreich

In Österreich hat das Ehrenamt generell eine hohe Bedeutung. Erhebungen des Bundes zufolge leisten 46 Prozent der österreichischen Bevölkerung formelle oder informelle Arbeit, also in Vereinen, in Organisationen oder im Rahmen der Nachbarschaftshilfe. Hochgerechnet verrichten in Österreich 3,3 Millionen Menschen Freiwilligenarbeit. Männer sind dabei stärker in Sportvereinen sowie im Katastrophen- und Rettungsdienst im Einsatz, Frauen insbesondere im Sozial-, im Bildungs- und im kirchlichen Bereich. Apropos kirchlicher Bereich: In Ländern mit einem starken Einfluss der katholischen Kirche ist das freiwillige Engagement der Menschen signifikant niedriger. Internationale Studien zeigen laut Hellrigl, dass protestantische Länder generell ein höheres Sozialkapital haben als katholische Länder. Vorarlberg fällt mit seinen hohen Sozialkapital-Werten aber aus diesem Raster heraus, sagt Hellrigl: „Es schaut so aus, als seien wir in Vorarlberg zwar katholisch von unserem Glaubensbekenntnis, aber protestantisch, was unser Sozialkapital und unsere Arbeitsmoral betrifft.“

Das erste Vereinsgesetz im deutschsprachigen Raum dürfte laut Alois Niederstätter, dem Leiter des Landesarchivs, „in Bayern in der Zeit nach 1800
entstanden sein“. Vorläufer dieses Vereinswesens aber gibt es schon wesentlich länger. Niederstätter verweist auf Schützengesellschaften, die sich in Bregenz schon im 15. Jahrhundert nachweisen lassen. Auch Zünfte oder religiöse Bruderschaften würden sich heute wohl als Verein organisieren. Zu den ältesten Formen vereinsmäßiger Zusammenschlüsse zählt Niederstätter auch Lesegesellschaften oder Blasmusikkapellen, die im späten 18. Jahrhundert entstanden und mit dem Vereinsgesetz im beginnenden 19. Jahrhundert legalisiert worden sind. Zehn, fünfzehn Vereine dürften in Vorarlberg in dieser Zeit gegründet worden sein, wobei sich heute mangels entsprechender Unterlagen aber nicht mehr feststellen lässt, welches denn Vorarlbergs ältester noch existierender Verein ist. Der 1907 gegründete FC Lustenau, das sei an dieser Stelle vielleicht erwähnt, nimmt für sich in Anspruch, Vorarlbergs ältester Fußballverein zu sein.

Ohne Fleiß kein Preis

Im Sport hat das Ehrenamt generell eine hohe Bedeutung. 61.000 Vorarlberger engagieren sich den Erhebungen des Zukunftsbüros zufolge in diesem Bereich. Eckart Neururer ist Präsident des Lustenauer Karate-Clubs Shotokan. Anfang der 1990er-Jahre begann Neururer, selbst Träger des schwarzen Gürtels, sich in diesem Verein zu engagieren. Damals bestand der Club aus 20 Personen. Heute trainieren rund 120 Kinder und Jugendliche bei den Lustenauer Karatekas, mit großem Erfolg – 2014 errangen die Lustenauer bei diversen Wettbewerben insgesamt 85 Medaillen. Möglich ist das nur, weil sich Neururer und andere ehrenamtlich einbringen. Gerade in einer Sportart wie Karate, die in Österreich nicht zu den bekanntesten Sportarten gehöre, gehe es auch gar nicht anders, sagt Neururer. Als Präsident des ASKÖ (Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich) ist der Polizist zudem auch für den Breitensport in Vorarlberg zuständig und kann deswegen abschätzen, was Sache ist: „Ohne Ehrenamt würde der Sport in Vorarlberg de facto nicht funktionieren.“

Freiheit und Selbstverwirklichung

Warum aber engagieren sich Menschen überhaupt freiwillig? Klar, Engagement bedeutet auch eine gewisse Freiheit – die Freiheit, etwas tun zu können, was man nicht tun muss. Im Arbeitsalltag hätten viele Menschen oft gar nicht die Möglichkeit, selbstbestimmt tätig zu sein, erläutert Max Preglau, Soziologie-Professor an der Universität Innsbruck. Ergo würden viele Menschen ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten auch als Selbstverwirklichung betrachten: „Menschen haben das Bedürfnis, sich selbst bestimmen zu können. Im Ehrenamt ist dieses Bedürfnis erreichbar.“ Zumal man da freiwillig Sinnvolles tue und oft auch Anerkennung dafür ernte. Und schließlich ist Freiwilligenarbeit oft auch ein Erlebnis, in dem man Gemeinschaft erfahren kann. Vetter weist beispielsweise auf die Kameradschaft der Feuerwehren hin.

„Ich möchte Gutes tun“

Caroline Hechenberger ist seit 14 Jahren beim Roten Kreuz in Lustenau, arbeitet dort ehrenamtlich im aktiven Rettungsdienst und als Schriftführerin in der Vereinsleitung. Warum? „Ich bin beim Roten Kreuz, weil ich gerne gemeinsam mit anderen Menschen Gutes tun möchte, es für mich eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung ist – und man von den Patienten sehr viel zurück bekommt“, sagt Hechenberger.

Ein anderes Beispiel ehrenamtlichen Engagements ist der Verein „Integration Vorarlberg“. Lehrerin Claudia Niedermair ist seit fünf Jahren ehrenamtliche Obfrau dieses Vereins. Der Verein berät Eltern und Pädagogen und auch andere in sämtlichen Fragen der Inklusion. Dass es heute in Vorarlberg in regulären Betrieben etwa 300 Arbeitsplätze für junge Menschen mit erheblicher Behinderung gibt, nennt Niedermair schlichtweg „ein Highlight“.

Und noch ein Beispiel: Doris Maccani ist quasi neu im Geschäft. Seit heuer ist sie ehrenamtliche Finanzreferentin beim Chorverband Vorarlberg. Als die Anfrage kam, habe sie „spontan zugesagt“. Warum? „Weil ich es als Glücksgefühl empfinde, andere Menschen beim schönsten Hobby der Welt zu unterstützen und dabei etwas bewegen zu können.“ Ohne Engagement wäre unsere kulturelle und damit auch identitätsstiftende Umgebung um vieles ärmer, „und dieser Gedanke spornt mich an“.

Starker Staat? Kontraproduktiv

Das Zukunftsbüro hat erhoben, wa­rum sich die Vorarlberger freiwillig engagieren – und eine Vielzahl von Gründen zutage gefördert: Die Menschen wollen die Gesellschaft mitgestalten, wollen mit Menschen zusammenkommen, Kenntnisse erweitern, Anerkennung finden, Verantwortung übernehmen. Stichwort Verantwortung übernehmen: Je zentraler ein Staat regiert wird, desto niedriger ist in aller Regel das Engagement seiner Einwohner. Auch wenn es Ausnahmen gibt – Österreich vor allem –, belegen Studien diesen Aspekt. Je mehr ein Staat regelt, je stärker ein Staat den Bürger versorgt, desto weniger Menschen engagieren sich freiwillig. Gerade in diesem Bereich lässt sich beobachten, was Sozialwissenschaftler Meinrad Miegel „Thema Vorarlberg“ zuletzt sagte: „Der Einzelne hat sich da­ran gewöhnt, umfänglich vom Staat versorgt zu werden. Dass man damit zugleich auch entmündigt wird, nehmen die meisten hin.“ Doch sei der Staat auf Dauer nicht in der Lage, alles zu regeln und auf dem gewohnten Niveau zu halten. „Dieses Niveau“, sagt Hellrigl, „wird auf Dauer nur zu halten sein, wenn die Zivilgesellschaft wieder stärker in die Verantwortung genommen wird.“ Ein Umdenken muss stattfinden: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem immer mehr Menschen stöhnen und auch nicht mehr bereit sind, noch höhere Steuern zu zahlen. Gleichzeitig haben die Menschen aber immer noch den Reflex, sofort nach dem Staat zu rufen, wenn irgendetwas nicht funktioniert.“ Eigenverantwortung und Mündigkeit jedes Einzelnen werden in dieser Lesart also immer wichtiger – Vorarlberg hat mit der immens hohen Bereitschaft seiner Einwohner, sich ehrenamtlich zu engagieren, allerdings beste Voraussetzungen für die Zukunft.

Ende März veröffentlicht das Zukunftsbüro eine große Studie zum Thema Ehrenamt. Noch werden die Daten ausgewertet. Aber der Trend zeichnet sich laut Hellrigl bereits ab: „Das Engagement bleibt auf hohem Niveau.“

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