Claudio Bechter

Claudio Bechter * 1985 in Feldkirch, hat Germanistik mit Schwerpunkt Literaturwissenschaft sowie Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck studiert und ist freier Journalist und Literaturvermittler. 

Warum schenken?

Dezember 2020

Weihnachten und Schenken – längst untrennbar miteinander verbunden. Man investiert und das oftmals nicht zu knapp – rund 360 Euro gaben die Österreicher und Österreicherinnen im letzten Jahr im Schnitt für Geschenke aus. Was die Wirtschaft freut, bedeutet aber für viele persönlichen Stress; denn beim Schenken geht es um Beziehung – nicht nur ums Geld.

Ein junges, frisch verliebtes Paar. Seit einigen Wochen im siebten Himmel. Eine emotionale und im Normalfall schöne Ausnahmesituation. Doch nun kommt Weihnachten. Was schenken nach so kurzer Zeit? Ist es nicht überhaupt zu früh, um zu schenken? Überfordert es das Gegenüber? Ist es zu sehr ein Zeichen für Bindung? Ist es unaufmerksam und unsensibel, wenn ich nichts schenke oder gar etwas Nützliches? Fragen über Fragen, die manch einem oder manch einer vertraut erscheinen. Für andere mögen sie jedoch banal sein. Stets dieses sinnlose „Hin-und-her-Geschiebe“ von Geld ist immer wieder zu hören. Doch dieses „Hin-und-her“ ist keineswegs sinnlos; denn der Akt des Schenkens zwischen Menschen ist beinahe so alt wie diese selbst und hat seit jeher eine soziale Funktion.
Bereits die indigenen Völker an der nordwestlichen Pazifikküste Amerikas praktizierten das Schenken: der sogenannte Potlatch – ein Fest, bei dem auf rituelle Art und Weise Geschenke getauscht und verteilt wurden, sozusagen ein „Fest des Schenkens“. Je wertvoller dabei die gereichten Gaben ausfielen, desto höher galt das Ansehen sowohl der Abstammungslinie als auch der Person selbst, die die Gaben verteilte. Das Schenken konnte für den Geber dementsprechend einen enormen Einfluss auf dessen gesellschaftliche Stellung innerhalb des Stammes haben. Dies konnte in manchen Fällen gar so weit führen, dass das komplette Erbe einer verstorbenen Person durch die Nachfahren verschenkt wurde, um ihrem Andenken und dem Wert ihrer Abstammung zu huldigen. Neben der Sicherung des Wohlwollens durch den Beschenkten hatte das rituelle Fest einen nicht unangenehmen Nebeneffekt: soziales Gleichgewicht; denn der Potlatch hatte zur Folge, dass es nur in wenigen Ausnahmefällen zu größeren Anhäufungen von Reichtürmen durch einzelne Personen oder Familienverbände kam – ein gesellschaftsstrukturierender Akt letztlich, der sozialer Ungleichheit vorbeugte.
Doch kehren wir wieder ins Hier und Jetzt zurück. Viel hat sich seit der indianischen Praxis des Potlatch verändert. So sind – wie auch die Geschenke selbst – Beziehungen und gesellschaftliche Strukturen in unserer modernen Welt vielfältiger, überraschungsreicher und bisweilen vielleicht auch komplizierter geworden. Die heutige Schenkpraxis zwischen einzelnen Personen kennt jedoch (oder gerade deswegen) eine präzise Ökonomie mit der Grundregel „Do ut des“, also „Ich gebe, damit du mir gibst“ – eine Gegenseitigkeit eben – auch Reziprozität genannt. Eine Gabe erweckt also immer die Erwartung an eine Gegenleistung. Der Beschenkte ist am Zug. Eine Drucksituation, die nicht selten zu misslungenen Geschenken und schiefhängendem Haussegen führen kann. Doch dabei wird oft vergessen, dass das Schenken keineswegs nur eine materielle Seite haben muss; denn nicht nur aus der Welt des deutschen Schlagers wissen wir, auch Liebe und Herzen können verschenkt werden, wie der bekannte Volkskundler Utz Jeggle in seinen Überlegungen „Vom Schenken“ bereits in den 1990er festhielt. Er wusste: Der Gabentausch kann zu einem mitunter unerkannten Transfer führen, der materielle Dinge in affektive Energien wie Zuneigung oder positive Gefühle umwandelt.
Das Schenken also ein Akt der Liebe? Ja, gewissermaßen; denn die Gegenseitigkeit der modernen Geschenkökonomie scheint auf der Sachebene und auf der Gefühlsebene meist gegenseitig aufrechenbar. Eltern achten beispielsweise oft akribisch darauf, dass der Kaufpreis der Geschenke für ihre Kinder gleich hoch ist, was ihre gleichwertigen Gefühle zu diesen symbolisieren soll. Dass dies in manchen Fällen zu absurden Rechenspielen führen kann, zeigte Jeggle am Beispiel einer Mutter, die eine Preisdifferenz von zwei Mark (heute umgerechnet ein Euro) bei den Geschenken an ihre Kinder mit einem Birnenbrot für 1,95 Mark für das scheinbar benachteiligte Kind zu kompensieren versuchte. Diese auf den ersten Blick kurios wirkende Geschichte verdeutlicht nur, dass wir Geschenke berechnen und mit gewissen Erwartungen füllen. Diese Transformation folgt jedoch nicht rein der Logik von Banknoten, sondern auch jener der Gefühlskultur. Oder anders gesagt und um in der Sprache der Ökonomie zu bleiben: Materielle Geschenke sind auch immer Investitionen in Beziehungen. Sie spiegeln Ränge und unterschiedliche Formen zwischenmenschlicher Bindungen wider.
Diese Logik scheint nachvollziehbar. Man schenkt seiner Mutter etwas anderes als einer flüchtigen Bekanntschaft als Reaktion auf die Einladung zu einem Geburtstagsumtrunk, seinem Kind etwas anderes als seiner Nichte oder – um nochmals auf unser frisch verliebtes Paar zurückzukommen – der neuen Liebe etwas anderes als der langjährigen Partnerin. Das Schenken folgt also – ohne es oft zu merken – einer gewissen Regelhaftigkeit. Gerade in Situationen der Verhaltensunsicherheit gibt es bestimmte Muster: Blumen, Wein oder Pralinen sind Klassiker. Bei engeren Beziehungen scheinen derart vergängliche Dinge jedoch eher unangebracht. Hier dominieren vielmehr länger währende Dinge wie gemeinsame Zeit oder Schmuck. Letzterer erfüllt oftmals auch einen intergenerativen, also generationenübergreifenden Wert. Und wenn es dann ganz eng wird (die Beziehung versteht sich), kommt die Nützlichkeit ins Spiel – also etwas, „das man brauchen kann“. Nur keine Arbeit (Küchengeräte) bitte! Aber wie war das nochmals mit dem geschenkten Gaul?

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