Herbert Motter

Zehn Jahre Wählen mit 16: Österreichs Vorreiterrolle in Europa

Oktober 2017

Vor zehn Jahren hat Österreich als bisher einziges Land Europas „Wählen mit 16“ eingeführt. Die Aufmerksamkeit der internationalen Medien und Öffentlichkeit war damals groß. Auch in Österreich selbst wurde die Wahlrechtsreform als wichtiger demokratiepolitischer Schritt gefeiert. Was ist von dieser Euphorie geblieben?

Österreich hat im Jahr 2007 eine demokratiepolitische Vorreiterrolle eingenommen und das Wahlalter gesenkt. Seither können alle Österreicherinnen und Österreicher, die am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben, an Nationalratswahlen und anderen Urnengängen teilnehmen. Ein Novum in Europa. Bis heute. Einzig Norwegen experimentierte mit Probeläufen bei Gemeinderatswahlen, und Schottland hat das Wahlalter für das Unabhängigkeitsreferendum im September 2014 auf 16 Jahre gesenkt. Debatten darüber laufen auch in Deutschland schon länger. Noch ist man sich bei unserem Nachbarn über Auswirkungen und Folgen nicht im Klaren. International weichen die meisten Länder nicht vom Mindestalter 18 ab. Lediglich Brasilien, Kuba und Nicaragua lassen ab 16 Jahren wählen, Nordkorea und die Seychellen ab 17. Argentinien hat das Wahlrecht für 16-Jährige erst kürzlich eingeführt. In Indonesien darf man mit jedem Alter wählen – vorausgesetzt, man ist verheiratet.

Wahlrechtsreform 2017

Die österreichische Wahlrechtsreform von 2007, in der zudem eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre und die Erleichterung der Briefwahl beschlossen wurden, war Teil einer von der großen Koalition angekündigten „Demokratiereform“. Einer immer weiter sinkenden Wahlbeteiligung sollten gezielte Gegenmaßnahmen folgen. Die Zahlen sind jedenfalls alarmierend. Bei der NR-Wahl 2013 sank die Wahlbeteiligung, nach Abschaffung der Wahlpflicht 1992 für Nationalratswahlen, auf den Tiefstwert von 74,9 Prozent. An der Europawahl 2014 nahmen gar nur 45,4 Prozent der Bevölkerung teil. Die Wahlbeteiligung bei der Vorarlberger Landtagswahl 2014 lag bei 64,8 Prozent. Nur 2004 war sie mit 60,1 Prozent noch niedriger.

„Wahlbeteiligung wird in vielen Ländern als Zeichen einer gesunden Demokratie gesehen. Daher wurden Überlegungen angestellt, was man dagegen tun könnte, um besonders die Wahlbeteiligung bei den jungen Wahlberechtigten zu steigern“, erklärt Sylvia Kritzinger, Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft in Wien.

Die Wahlalterssenkung hatte daher eine bewusstes Zielsetzung, nämlich die Wahlbeteiligung nachhaltig und damit langfristig zu erhöhen. Politologin Kritzinger: „Je früher Personen in den Wahlzyklus hineinkommen, desto eher schreiten sie bei künftigen Wahlen zur Wahlurne. Wenn man jemanden erreicht, während er sich noch in einem gesellschaftlichen, familiären, schulischen Umfeld befindet, und ihn dazu bringt, sich politisch zu interessieren und zur Wahl zu gehen, dann hat das einen langfristigen positiven Effekt.“ Unterstützt wird diese These auch von einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2015. Demnach ist das Senken des Wahlalters entscheidend für eine höhere Wahlbeteiligung auf lange Sicht. Die Studie sieht wie andere Erhebungen ebenfalls in der Schule den Ort, wo Erstwähler am besten begleitet und interessiert werden können. Kaum verwunderlich, dass die Wahlrechtsreform mit einem politischen Bekenntnis zu mehr politischer Bildung und entsprechenden Begleitmaßnahmen einherging, um die Jugendlichen auf die Wahlteilnahme besser vorzubereiten. Doch ist hier wirklich etwas passiert?

Die Euphorie nach den positiven Erkenntnissen der ersten NR-Wahl seit Einführung der Wahlalterssenkung ist jedenfalls verflogen. Die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen (63 Prozent) lag 2013 deutlich unter der allgemeinen Wahlbeteiligung.

Investitionen in Politische Bildung

„Offenbar war die Aufmerksamkeit für die jüngsten Wähler vonseiten der Politik und der Medien 2013 nicht mehr so stark wie fünf Jahre zuvor. Zudem haben wir in Untersuchungen zwei Problemgruppen ausgemacht: Wenig interessierte junge Frauen und gravierende Unterschiede zwischen Lehrlingen und Schülern“, sagt Universitätsprofessorin Kritzinger, die eine sich damit befassende Studie im Auftrag der Parlamentsdirektion 2014 durchgeführt hat. Hier tue sich bereits in einem sehr jungen Alter eine große Kluft in der Gesellschaft auf. „Wir haben damals der Parlamentsdirektion dringend empfohlen, auf diese Gruppen nicht zu vergessen. Das ist kein Selbstläufer. Will man den positiven Effekt der Wahlalterssenkung haben, gilt es, weiterhin in Bildungsangebote zu investieren.“

Über den Status der Jugendlichen lassen sich keine gesicherten Aussagen treffen. Kritzinger: „Wird sozialer Status aber mit Bildung abgeleitet, dann sehen wir, dass Akademikerkinder grundsätzlich eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, zur Wahl zu gehen.“ Bei der kommenden Nationalratswahl am 15. Oktober sind in Vorarlberg 268.473 Personen wahlberechtigt. Rund 7600 von ihnen sind zwischen 16 und 18 Jahre alt. Macht 2,8 Prozent der Wahlberechtigten aus. Auch österreichweit sind es weniger als drei Prozent. Eine für die Politik wohl vernachlässigbare Größe. Im Vergleich dazu gibt es mehr als doppelt so viele Wahlberechtigte über 80 Jahre. Marketingstrategien der Parteien sind eher auf diesen Umstand ausgerichtet. Es bleibt die Skepsis, ob die Programminhalte der Parteien aktuell besonders auf Jugendliche zugeschnitten sind.

Zwar hält Sylvia Kritzinger es für zu früh, um positive Auswirkungen an sich von „Wählen mit 16“ auf die Wahlbeteiligung ableiten zu können. In die richtige Richtung gehe es allemal. In eine Vorwahlstudie zur kommenden NR-Wahl habe sie ein enorm hohes Interesse der 16- und 17-Jährigen festgestellt. Das liege vor allem an der letztjährigen Bundespräsidenten-wahl. Damals sei genau diese Gruppe der Erstwähler ganz zentral in den Fokus der Medien und viele öffentlicher Debatten gerückt. „Aufgrund der Aufhebung im April durften sie nach einer Gesetzesänderung im Oktober wählen, obwohl sie vorher nicht wahlberechtigt waren. Somit sind 30.000 zusätzliche Wähler dazugekommen, nämlich die, die inzwischen 16 Jahre alt wurden. Mediale Aufmerksamkeit hat das Interesse der Jugendlichen geweckt. Das nährt die Hoffnung auf eine sich steigernde Wahlbeteiligung von diesen jungen Erstwählern.

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