Herbert Motter

„Die Landwirtschaft im Alpenraum steht vor großen Herausforderungen“

Oktober 2024

Robert Finger, Professor für Agrarökonomie und -politik, ETH Zürich, referiert im Rahmen der Hittisauer Landgespräche am 19. Oktober 2024 zum Thema AgriKultur in der Bedeutung des Wortes und ihre Zukunft im alpinen Raum: „Landwirtschaftliche Betriebe werden in Zukunft auch von anderen Einkommenszweigen als nur primär von der Produktion von Lebensmitteln und deren Verkauf leben.“

Herr Professor Finger, gleich vorweg, welche Herausforderungen sehen Sie für die Landwirtschaft im Alpenraum in den kommenden Jahren? 
Die Anforderungen an die Landwirtschaft steigen. Wir erwarten von ihr eine starke Nahrungsmittelproduktion, aber auch sogenannte Ökosystemleistungen. Zudem geraten die Möglichkeiten zu produzieren, durch den Klimawandel sehr stark unter Druck. Aber auch Bodendegradation ist ein Problem. In Summe wird es heute immer schwieriger und teurer, das Gleiche zu produzieren. Zudem muss die Agrar- und Lebensmittelbranche generell ihren Fußabdruck massiv reduzieren, etwa in Bezug auf die Treibhausgasemissionen oder den Verlust von Artenvielfalt.

Daneben gewinnen die Themen Tierwohl und die Produktion von regionalen Lebensmitteln an Bedeutung. Hat die Landwirtschaft überhaupt eine Chance, diesen Erwartungen gerecht zu werden? 
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Studien belegen, dass sich die Wünsche der Bevölkerung über die Zeit wandeln: Umwelt, Tierwohl und generell die Produktion von nachhaltigen, hochqualitativ regionalen Lebensmitteln spielen eine größere Rolle. Nur mit regionaler Produktion geht es aber in der Regel nicht. Landwirtschaft findet in einem sehr globalisierten Umfeld statt. Sehr viele Lebensmittel, aber auch Inputs in Produktion, wie zum Beispiel Futtermittel, werden importiert. Aber die regionale Produktion kann einen wichtigen Beitrag leisten für die regionale Versorgung, für den Erhalt von vielen Ökosystemleistungen. 

Von welchen Leistungen sprechen Sie da genau?
Ich spreche von drei verschiedenen Aspekten. Das eine ist die Produktion von Lebensmitteln und anderen Produkten. Das zweite sind kulturelle Ökosystemleistungen; dass eben gerade im alpinen Raum Kulturlandschaft durch die Landwirtschaft kreiert wird. Das erfordert entsprechend Wertschätzung. Und drittens sind es die regulierenden Leistungen, wie Klimaschutz, damit Ressourcen, wie Wasser, in ausreichender Quantität und Qualität vorhanden bleiben. 

Das klingt nach Multifunktionalität der Landwirtschaft.
Landwirtschaftliche Betriebe werden in Zukunft auch von anderen Einkommenszweigen als nur primär von der Produktion von Lebensmitteln und deren Verkauf leben; vom Tourismus, von der Pflege von Kulturlandschaften, auch von der lokalen Verarbeitung und Vermarktung der Produkte. Zudem werden Landwirte dafür kompensiert, dass sie gewisse Ökosystemleistungen erbringen, die nicht primär am Markt abgegolten werden. 

Wie nehmen Sie Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft aktuell wahr?
Eine Studie unter der Schweizer Bevölkerung zu den Zielen der Agrarpolitik belegt die Bedeutung von Tierwohl und Umweltschutz, aber die Menschen möchten eben auch, dass Landwirte ein gutes Einkommen haben und Nahrungsmittel in der Schweiz produziert werden. Das heißt, es gibt durchaus eine gesellschaftliche Nachfrage nach lokaler Produktion, die ökonomisch tragfähig sein muss. Mehr Umweltschutz durch Auslagerung der Produktion in andere Regionen und eine Beschränkung ausschließlich auf Landschaftsmanagement können nicht die Lösung sein. 

Sie haben auch das Thema Biodiversität angesprochen. Wie muss die Pflanzenschutzpolitik aus Ihrer Sicht besser gestaltet werden? 
Die Risiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes sind für Mensch und Umwelt momentan zu groß sind und müssen reduziert werden. Ich sehe hier drei Aspekte. Das erste ist die Effizienzerhöhung der Produktion. Etwa durch digitale Lösungen wie Präzisionslandwirtschaft, sprich ein präziser Einsatz von Pflanzenschutzmittel, um trotzdem die gleiche Menge zu produzieren. Zweitens wollen wir Produkte substituieren, die knifflig für Mensch und Umwelt sind, hin zu denen, die weniger kritisch sind. Ein Beispiel ist der Wechsel von toxischen Produkten hin zu biologischen Schädlingsbekämpfungen. Drittens müssen die landwirtschaftlichen Systeme so umgestaltet werden, dass der derzeitige Pflanzenschutzmitteleinsatz überflüssig wird. So können beispielsweise diversere Produktionssysteme, aber auch Züchtung, Krankheits- und Schädlingsdruck reduzieren.

Das hört sich gut an, ist aber wohl gerade für einzelne, kleine Betriebe schwierig umzusetzen.
Die große Chance liegt in der Zusammenarbeit von Betrieben in Region. Um sich zu koordinieren, und um vielen kleinen Betrieben die Möglichkeit zu geben, mit neuen digitalen Technologien oder mit neuen Anbauverfahren zu arbeiten. Die Politik kann das Ganze unterstützen. 

Inwiefern?
Zuallererst, indem sie dafür sorgt, dass Landwirte echte Alternativen haben. Sie brauchen alternative Sorten, sie brauchen alternative Kulturen, alternative Technologien. Diese werden häufig nicht genutzt, zum Beispiel weil regulatorische Hürden da sind oder weil sie zu teuer sind.

Jetzt kennen wir eigentlich nur zwei Wege: Die konventionelle Landwirtschaft, und die Biolandwirtschaft. Sie sprechen von einem dritten Weg.
Letztlich ist die Diskussion um Bio oder nicht Bio nicht zielgerichtet, weil die große Masse immer eine nicht biologische, konventionelle Produktion sein wird. Ziel der Politik, aber auch der Gesellschaft sollte sein, eben diese konventionelle Produktion sukzessive besser zu machen, besser im Sinne von produktiver, aber eben auch nachhaltiger. Wir sehen viele Ansätze wie integrierter Pflanzenschutz, eine Agrarökologie, die in diese Richtung geht und die konventionelle Produktion besser machen kann. Der Fokus nur auf Bio allein wäre irreführend. Bio hat pro Kilogramm Produktion nicht zwingend immer den besseren Fußabdruck als eine konventionelle, nicht biologische Produktion. Aber es gibt Möglichkeiten dazwischen. Ein Beispiel ist die Produktion ohne Pflanzenschutzmittel, die nicht Bio ist. In der Schweiz, in Deutschland, in Frankreich werden von Politik und Markt bereits solche Produktionsverfahren unterstützt. Diese Betriebe haben mehr Flexibilität ein- und auszusteigen, erzielen höhere Erträge als in der biologischen Produktion. 

Herr Professor Finger, Sie referieren am 19. Oktober bei den Landgesprächen in Hittisau. Dort wir die Fragen wohl auftauchen: Was wäre der Idealzustand einer alpinen Landwirtschaft in 20, 30 Jahren? 
Dann sollte eine alpine Landwirtschaft immer noch produktiv sein. Betriebe werden in Zukunft noch diverser produzieren, diverser Einkommen generieren, um sich anzupassen, auch an sich ändernde klimatische Bedingungen. Jetzt braucht es aber nicht nur bei den landwirtschaftlichen Betrieben eine Anpassung, sondern unser Agrar- und Ernährungssystem muss sich ändern, sprich der Konsum muss nachhaltiger werden. Wir benötigen andere Businessmodelle, wie etwas in Wert gesetzt werden kann; und unsere landwirtschaftlichen Betriebe brauchen echte Alternativen, die sich lohnen. Dies ist eine Aufgabe für alle, die Betriebe, die Bevölkerung, für andere vor- und nachgelagerte Marktfaktoren und die Politik.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Land_Gespräche Hittisau 

Dem Thema „Zukunft der Landwirtschaft im alpinen Raum“ widmen sich am 19. Oktober ab 13.30 Uhr im Ritter-von-Bergmann-Saal in Hittisau unter anderem ETH-Professor Robert Finger, Landwirtschaftsminister a.D Franz Fischler, Franz Tiefenbacher Geschäftsführer ‚Waldland‘, Josef Rupp, Privat­käserei Rupp und Yvon Bochet, Präsident der Herkunftsmarke „Fromage Beaufort“. Die Teilnahme ist kostenlos, Anmeldung unter: 05513-6209-250, tourismus@hittisau.at

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