Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Wir sind umzingelt von Freiheit, aber wir machen uns selber unfrei“

März 2024

Jonathan Robin Meese wurde 1970 in Tokio geboren. Er ist einer der vielseitigsten, meist diskutiertesten und auch radikalsten deutschen Künstler seiner Generation. Er malt, modelliert, performt, hält Lesungen, erschafft Bühnenbilder und führt Regie. In Interviews und Manifesten rief er zu einer „Diktatur der Kunst“ auf. Gleichzeitig präsentierte er sich ganz bescheiden als „Ameise der Kunst“. Gerald A. Matt traf ihn anlässlich seiner Performance „Kosmische Miniaturen im Weltenraum De Large“ im Wiener Volkstheater zu einem Gespräch.

Kosmische Miniaturen im Weltenraum De Large, ein spannender, ironischer und gleichzeitig neugierig machender Titel für Deine Aufführung im Wiener Volkstheater. Erwartet uns ein Gespräch über die Zukunft der Kunst und welche Rolle die Oper in der Kunst spielen wird? 
Es geht natürlich um Kunst, und es geht um die Freundschaft zwischen mir und Alexander Kluge. Wir kennen uns seit Jahrzehnten und wahrscheinlich schon vorgeburtlich. Wir sind ja überzeitliche Wesen und wollen einfach, dass die Kunst geliebt wird. Und ich natürlich, dass sie an die Macht kommt. Er gehört wie meine Mutter auch einer älteren Generation an. Und ich liebe diese Leute, weil sie so viel zu sagen haben und ein Rückgrat haben. Und er hat erkannt, ja der Meese, das ist halt auch so ein eigenständiger, hermetischer und ziemlich eigenartiger Typ. Und deshalb verstehen wir uns so gut. Und als ich damals den Parsifal machen sollte in Bayreuth, wo ich rausgeschmissen wurde aus politischen Gründen, da hat er mich sehr unterstützt – und ist, genauso wie ich immer noch, beseelt von Rache. Wir wollen denen die rote Karte zeigen. Bayreuth ist ein alter Hut und hat mit Richard Wagner nichts mehr zu tun, weil Richard Wagner hat was riskiert und hat auch Neues, hat Kunst geschaffen. Bayreuth ist heute nur noch ein Lakai der Politik. Bayreuth ist tote Hose.
 
Du hast den Parsifal auch in Wien gemacht.
Ja, das war faszinierend. Wien liebt halt die Extreme. Hier bin ich willkommen. Und hier rede ich mit Kluge über die Zukunft. Und Richard Wagner spielt da wieder eine Riesenrolle. 
 
Da finden wir neben der Miniatur den Weltraum, neben dem Kleinen das Große, neben der Ferne das Nahe. Ist das die Dialektik, die die Kunst braucht?
Ja, richtig. Wenn man nicht zu Hause Klarschiff macht, kann man auch nicht groß denken und die Kunst schätzen und ohne Zensur leben und die Zukunft aushalten. 
 
Wie kann man sich Euren Auftritt vorstellen? Gespräch und Performance?
Es ist alles sehr spontan. Lass‘ Dich überraschen.
 
Zur letzten Aufführung hier im Volkstheater. Da war nichts theatralisch Lautes. Das war Meese is(t) back. Mutterzsöhnchen im Kunstglück. Du hast mit Deiner Mutter gesprochen, über ihr Leben, über Euer gemeinsames Leben. Welche Bedeutung hat Deine Mutter auch für die Arbeit? Und wie hat die Arbeit dann Deine Mutter beeinflusst?
Ich zäume das Pferd von hinten auf. Also meine Mutter lebt, weil ich sie in die Kunst einbaue. Deshalb lebt sie noch. 
 
Sie ist 94.
Sie ist 94 und sie wird 150, weil die Kunst jung hält. Und wir müssen die Alten wieder lieben. Meine Mutter hat mich in die Welt gebracht, ohne dass ich sie gewählt habe. Sie ist unwählbare Macht. Bei wählbarer Macht bin ich immer sehr skeptisch. Meine Mutter ist von derselben Generation wie Alexander Kluge. Die haben uns so viel zu erzählen und die bringen uns besser in die Zukunft, wenn wir sie befragen und wertschätzen.
 
Das heißt, Muttersöhnchen ist bei Dir jetzt nichts Abwertendes, Negatives. 
Das ist Natur. Meine Mutter ist eine Naturgewalt und ohne sie wäre ich ja auch nicht da. Ich war immer gerne Muttersöhnchen und ich möchte auch, dass meine Mutter glücklich ist und stolz ist auf ihren Sohn. Sie hat mir die Kraft gegeben, weiterzukämpfen. Und ich wurde ja bekämpft, zensiert oder man wollte mich unter den Teppich kehren. Ich war auch vor Gericht in der Kunst. Was ich jetzt als Ehre empfinde. 
 
Du wurdest freigesprochen. Da ging es um Hitler und den Hitlergruß.
Ich wurde freigesprochen, natürlich, weil ich der Kunst verpflichtet bin. Ich bin nicht der Realität verpflichtet. Die Realität interessiert mich nur in dem Sinne, dass sie verdrängt werden und durch Kunst ersetzt werden muss. Und da bin ich wieder bei Richard Wagner und Ludwig II. von Bayern und Caligula. Die haben auch die Kunst an erste Stelle gestellt. Das Politisch-Religiöse überlebt halt nicht. Es ist zu schwach. Es ist zeitgebunden. Kunst ist zeitlos und wird uns alle überleben.
 
Das kommt vielleicht auch im zweiten Begriff dieses Titels zum Ausdruck, nämlich das Kunstglück. Ja, Kunst und Glück. Ist Kunst Dein Glück und ist Deine Kunst unser Glück? 
Ja, also Kunst beglückt mich, indem ich sie zum Chef mache. Und ich mich nach ihr richte. Und sie gibt mir die totalste Freiheit. Aber ich muss sie auch aushalten können. Menschen können heutzutage kaum noch Freiheit aushalten. Deshalb wollen sie unfrei werden und im Zwangskollektiv unfrei leben. Und Kunst ist die totale Freiheit. Daher der ständige Versuch, sie zu zensurieren. Wir müssen die politische, religiöse, ideologische, zwangskollektivistische Brille wegschmeißen, um frei zu sein.
 
Also jetzt aber die Frage: Was brachte Dich zur Kunst? Ab wann wusstest Du, Kunst ist mein Leben?
Ich wollte immer Unabhängigkeit. Das war für mich das Wesentliche in meinem Leben. Und ich wollte zu keiner Seilschaft gehören. Und ich wollte zu keiner Politik gehören, zu keiner Religion gehören, zu keiner Gemeinde gehören. Ich wollte eigenständig in der Sackgasse meines Lebens spielen. 
 
Also Freiheit. 
Freiheit in meiner Sackgasse. Ich liebe das Abseits. Damit fühle ich mich sauwohl. Und ich habe in Ahrensburg damals in einem Haus gewohnt, in einer Straße, wo es eine Sackgasse gab. Und in dieser Sackgasse war ein Spielplatz. Und da habe ich gespielt ohne Ende. Und so will ich mein Leben leben, bis zum Ende. Ich will in diesem Abseits, in der Sackgasse spielen. Ich möchte das erledigen, was ich zu erledigen habe, ohne auf Kosten anderer zu leben, ohne Guru zu sein, ohne Mitläufer zu sein. Ich will auch keine Macht haben. Die Macht gehört der Kunst.
 
Geht es Dir um eine Einheit von Kunst und Leben oder ist Dir die Kunst mehr Schutzraum, Möglichkeitsraum? Wie siehst Du das Verhältnis von Kunst und Leben? 
Ich möchte, dass die Kunst das schreckliche Leben und vor allem Politik und Religion verdrängt. Der Pharao und seine politische Welt hat nicht überlebt. Aber die Pyramide, die Kunst sehr wohl. Die Kunst ist die stärkste Kraft. Sie wird niemals Machtmissbrauch betreiben, weil sie das gar nicht auf der Agenda hat. Und das Universum ist schon ein Gesamtkunstwerk. Da gibt es gar keine Politik. Da gibt es auch keine Parteien und auch keine religiösen Gemeinden. Wir sind umzingelt von Freiheit, aber wir machen uns selber unfrei. 
 
Gibt es so etwas wie ein Signaturwerk, ein Werk, in dem sich Deine Haltung, Deine ganzen Ambitionen sozusagen verdichten? Ich habe da an den Parsifal gedacht.
Ich habe schon eine Fixierung auf Richard Wagner. Ich halte den bei all seinen Irrwegen für den größten Künstler, der jemals diesen Planeten betreten hat. Er hat etwas so Unfassbares geschaffen, das Gesamtkunstwerk. Er wollte auch, dass die Kunst alles andere ersetzt und dass wir in der Kunst leben. Und auch ein Staat kann ein Gesamtkunstwerk werden, genauso wie die gesamte Welt.
 
Du hast immer wieder von der Diktatur der Kunst gesprochen, was Dir auch heftige Kritik eintrug. Ein Missverständnis?
Ja, ich hasse und ich lehne Menschen-Diktaturen und Diktatoren ab. Die Sonne ist ein Diktator. Die Liebe ist auch ein Diktator. Liebe ist nie demokratisch. Die ist nicht abstimmbar, sondern sie überfällt mich, kommt über mich, nimmt mich mit auf eine Reise in die Zukunft. Und genauso ist es mit der Kunst. Wir haben lange genug die Welt in politisch-religiöse-ideologische Zonen eingeteilt. Und jetzt haben wir den Salat: Grauenhafte Kriege, grauenhafte Konflikte, die alle nur auf Ideologie, Religion und Politik basieren. Und ich sage: Nein, danke.
 
Da fragt es sich, wie es heute um die Kunst steht, wo die Kunst immer mehr politisch, ja politisch korrekt sein soll. Das äußert sich im Wokismus, in der Identitätspolitik. Alles völlig fremd für Dich?
Ja, vollkommen wahnsinnig. Es gibt ganz viele zwangskollektivierte Politaktivisten, die die Kunst durch Politik ersetzen wollen, Aber das ist ja sehr zynisch. Es gibt nur eine identitätsstiftende Kraft auf diesem Planeten. Und das ist Kunst, nicht die Politik, Religion oder Utopie. Nur Kunst gibt uns die Identität, die wir überhaupt aushalten können, die wir uns in die Zukunft führen. Und natürlich gibt es ein Verhältnis von Politik und Kunst. Politik hat sich der Kunst komplett unterzuordnen, Politik ist nur ein Zeitphänomen, Kunst steht über den Dingen. Die Kunst überlebt. Kunst ist der Urknall. Kunst hat es vor den Menschen gegeben, wird es nach den Menschen geben. Wir sind nur Gast auf diesem Planeten. Deshalb ist ja auch Caligula so interessant, der hat die Absurdität von Politik verstanden und hat deshalb Pferde zu Senatoren gemacht, um diesen Politikern zu zeigen, sorry, hier ist eure Grenze. Das Glas Wasser vor mir ist schon Kunst in sich, weil es keiner Ideologie angehört. Wir wollen aber immer das Wasser ideologisieren, politisieren, religiösisieren. Das ist aber gegen das Wasser gerichtet und auch gegen uns. Aber man kann doch ein Dorf, eine Stadt, ein Land, einen Wald nicht politisch in irgendein Korsett quetschen. Ein Wald will weder linkspolitisch noch rechtspolitisch sein. Ein Wald will nicht wählen gehen. Der will auch keinen Machthaber, sondern der will sich entwickeln. Der will evolutionär in die Zukunft wachsen. Dazu braucht man keine Parteien, dazu braucht man die Kunst.
 
Alles Kollektive ist Dir suspekt.
Ich habe mich nie organisiert. Ich bin in keiner Partei, in keiner Gemeinde, in keiner Gruppe, keiner Organisation. Viele werden jetzt sagen: Ach, der Herr Meese, der ist ja auch nur ein mieser Guru. Nein, ich habe keine Jünger. Ich lehne die ab und würde die immer nach Hause schicken. Ich will keine Anhänger. Ich will Liebende. Aber die sollen das lieben, was sie selber tun und nach Hause gehen. Also mir kann man das nicht vorwerfen. Ich bin viel zu naiv oder viel zu kindisch. Aber auf der anderen Seite auch gefährlich, ungefährlich gefährlich. Bisher hat man mich immer für einen Narren gehalten. Das finde ich ja gut. Und ich bin dafür, dass wir wieder das Einzelne komplett schätzen lernen. Alles, was geil war für das Leben, für andere, ist aus dem Einzelnen entstanden, aus dem Ei. Ist nie aus dem Kollektiv entstanden. Das Kollektiv war immer gegen das Einzelne. Und also dem vertraue ich nicht. Den Massen, dem Herdentrieb traue ich null. Also der Mehrheit traue ich null.
 
Das ist ein wunderbares Plädoyer für die Freiheit und für Radikalität. Baselitz hat über Dich gesagt: Er ist mir in seinem radikalen Denken sehr nah. Ich glaube, man kann diesen Beruf nur überleben, künstlerisch, wenn man radikal gegen sich selbst auch ist. Inwieweit sind Radikalität und Provokation verbunden?
Man muss sich selbst provozieren. Man muss seine eigene Radikalität aushalten und mit seinem Spiegelbild klären. Das Spiegelbild bin aber nicht ich, sondern das ist jemand anders. Wenn ich denke, dass ich das bin, bin ich schon politisch, religiös gefangen in der Vergangenheit. Ich muss mir darüber klar sein, dass ich nur eine Maske trage.
 
Vielen Dank für das Gespräch! 

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.