Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Das ist ein Staatsgeheimnis …

Juli 2017

... So die Aufschrift auf einem kleinen Fotoalbum aus dem Besitz der Vorarlberger Landesbibliothek mit dem Titel „Baubildbericht, Kraftwerksneubauten Obervermunt und Rodund der Vorarlberger Illwerke“, das 1940 erschienen ist. Das Datum der Aufnahmen erklärt die Geheimhaltung, da in Kriegszeiten Kraftwerksanlagen natürlich als mögliche Ziele für einen Angriff einen erhöhten Schutz genossen.

Nach dem Ersten Weltkrieg stieg der Energiebedarf in Österreich dermaßen stark an, dass in den Bundesländern Gesellschaften gegründet wurden, die Maßnahmen gegen die Energienot ergreifen sollten. In Vorarl­berg wurde schon sehr früh erkannt, dass mit dem Ausbau der Wasserkraft zusätzlich zur Eigenversorgung auch Exporterlöse zu erwirtschaften waren. Die Aktivitäten im Montafon führten daher 1924 zur Gründung der Vorarlberger Illwerke, die – in Partnerschaft mit schwäbischen Energieversorgungsunternehmen – den Ausbau der Oberen Ill in Angriff nahmen: Die erste Ausbaustufe betraf den Vermuntstausee und das Vermuntwerk (1925 bis 1931), dann folgten das Obervermuntwerk mit dem Silvrettastausee und das Rodundwerk mit dem Zwischenkraftwerk Latschau (1938 bis 1948). Der Anschluss Österreichs an Deutschland hatte zwar den Baubeginn beschleunigt, die Planungen und Vorarbeiten hatten jedoch schon viel früher begonnen. Bereits in den Jahren 1925 und 1931 wurden im Bereich der Bielerhöhe umfangreiche Bohrungen durchgeführt und schon 1932 erteilte die Wasserrechtsbehörde die Bewilligung für den Bau der Stauanlage. Nachdem zur Erhöhung der Wassermenge die Bieltalbachüberleitung schon 1937 fertiggestellt wurde, folgte 1938 gleichzeitig der Baubeginn des Obervermunt- und des Rodundwerkes. Da der Bau somit größtenteils in die Zeit des Zweiten Weltkriegs fiel, hatte die Bauleitung permanent mit einem Mangel an Arbeitskräften, Maschinen und Geräten zu kämpfen. Auch die Höhenlage erschwerte den Bau, so waren Außenarbeiten doch nur in fünf oder sechs Monaten des Jahres möglich.

Sofort nach der Auftragserteilung am 15. Juli 1938 begannen die Bauarbeiten für die Silvrettastaumauer, federführend durchgeführt von Arbeitsgemeinschaften mit Sitz in München und Berlin. Nach dem mühsamen Transport von Maschinen und Baugeräten auf die Bielerhöhe startete der Aushub der Baugrube bereits im Oktober 1938. Die günstige Witterung erlaubte in diesem Jahr den Fortgang der Einrichtungsarbeiten bis zum 20. Dezember.

1939 wurden das Betonwerk und die Schrägaufzüge installiert sowie der Aushub der Staumauergrube vorangetrieben. Bis zum Beginn des nächsten Winters konnten trotz ungünstiger Witterung und des kriegsbedingten Arbeitskräftemangels 120.000 Kubikmeter Fels- und Erdaushub geleistet sowie die Gleisanlagen für den Transport von Beton, Kies und Dammschüttungen aus dem Ochsenboden installiert werden. Im Jahr 1940 erhöhte sich der Belegschaftsstand auf 700 Mann, was die Arbeiten deutlich beschleunigte. Nachdem die Transporteinrichtungen für die Einbringung des Betons fertiggestellt waren, konnte am 12. Oktober 1940 mit der Betonierung des Blockfundaments begonnen werden. Ein Wintereinbruch verhinderte im Herbst jedoch schon frühzeitig die Weiterführung der Arbeiten.

Somit lautete die Bilanz zum Zeitpunkt, als die Fotografien aufgenommen wurden: 190.000 Kubikmeter Sperrenaushub für die Staumauer waren geleistet und auch am Bielerdamm in Richtung Tirol waren die vorbereitenden Arbeiten so weit gediehen, dass mit der Dammschüttung auf der freigelegten Grundmoräne begonnen werden konnte. 1940 waren dort 47.000 Kubikmeter Dammschüttung und 1400 Kubikmeter Steinpackung an der Wasserseite angebracht worden.

Für die zahlreichen Arbeiter mussten umfangreiche Lager gebaut werden, sowohl in Rodund als auch das „Silvrettadorf“ im Bereich des Madlenerhauses. Obwohl aufgrund der Witterungsbedingungen nur im Sommer voll belegt, wurde auf betonierten Fundamenten in Holzstrick-Bauweise ein winterfestes Quartier errichtet. Es bot in elf Wohnbaracken zu je 80 Mann fast 1000 Arbeitern Platz. Zusätzlich zu den eigentlichen Wohngebäuden musste auf fast 2000 Metern die Infrastruktur einer kleinen Stadt gewährleistet werden. Dazu zählten etwa ein Küchengebäude, ein Waschhaus, die Gendarmerie sowie eine Wäscherei, eine Schneiderei und eine Schusterwerkstatt.

Ein Teil der eingesetzten Arbeiter waren Zwangsarbeiter, die vor allem aus der Ukraine und aus Polen stammten. Über ihre Rolle im Kraftwerksbau der Illwerke wurde vor einigen Jahren eine sehr kontroversielle Diskussion geführt, die sich an der Dissertation von Jens Gassmann („Zwangsarbeit in Vorarlberg während der NS-Zeit unter besonderer Berücksichtigung der Situation auf den Illwerke-Baustellen“) entzündet hatte. Die Arbeit, die im Auftrag der Illwerke entstanden war, musste lange unter Verschluss bleiben, ist aber jetzt seit einigen Jahren in der Landesbibliothek frei verfügbar. Kritiker aus Vorarlberg und von der Universität Innsbruck bezweifelten damals die Qualität der Arbeit, die die Illwerke größtenteils von der Verantwortung freisprach und die historische Schuld den Subunternehmern zuschob. Dennoch kam es später zu einer symbolischen Entschädigung von noch lebenden ukrainischen Zwangsarbeitern durch die Illwerke.

Die Fotos zum Stand der Bauten an den Kraftwerken Obervermunt und Rodund im Jahr 1940 wurden vor einigen Tagen in der Vorarlberger Landesbibliothek digitalisiert und sind online verfügbar: pid.volare.vorarlberg.at/

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.