Alfons Dür

* 1948 in Lauterach, Studium der Rechts­wissenschaften in Wien, Richter, von 1998 bis 2008 Präsident des Landesgerichtes Feldkirch. Forschungen zur NS-Justiz und zu Fragen der Rechts- und Justiz­geschichte Vorarlbergs.

Der Austria-Kopf am Landesgericht Feldkirch

November 2023

An der Fassade des Landesgerichtes Feldkirch befindet sich über dem Haupteingang am Giebel „ein Mosaikbild, darstellend den Austria­kopf mit Wappen von Vorarlberg und Feldkirch und den Emblemen des Krieges und Friedens“. So steht es in einem Bericht über „Das neue Kreisgerichtsgebäude in Feldkirch“, den Ministerial­rat Emil Ritter von Förster 1908 in der „Allgemeinen Bauzeitung“ veröffentlicht hat. Förster war der Vorgesetzte von Ernst Dittrich, der als Architekt und Bauleiter für den Neubau und die von der Stadt verlangte „würdige äußere Ausgestaltung“ des Justizgebäudes verantwortlich war. 
Die „Austria“ ist die personifizierte weibliche Repräsentationsfigur Österreichs. Sie war jahrhundertelang auf Denkmälern, Bildern und Statuen ein Symbol, Wahrzeichen und Identifikationsobjekt der Monarchie. Im Zeitalter des Absolutismus wurde sie meist mit der rudolphinischen Hauskrone, nach der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848 hingegen mit der Mauerkrone dargestellt. Die Mauerkrone ist ein bürgerlich städtisches Symbol. Mit ihr sollte die Austria nicht mehr das Haus Österreich als Familienbesitz der Habsburger repräsentieren, sondern Wahrzeichen und Identifizierungsobjekt für den Gesamtstaat und seine Bürger sein.
Es ist ein bemerkenswertes Phänomen, dass Staaten, Länder und Städte seit früher Zeit durch Frauengestalten personifiziert wurden. Nicht nur die Austria, auch die Germania, die Helvetia, die Britannia, die Russia und viele andere sind nationale Repräsentationsfiguren. Die Kunsthistorikerin Selma Krasa Florian erwähnt in ihrem 2007 veröffentlichten Buch über die Allegorie der Austria, dass 1909 bei einem Festzug in Bregenz die Huldigung der „Austria“ durch die „Vorarlbergia“ und die „Brigantia“ zu sehen war. Bei der Generalversammlung des deutschen und österreichischen Alpenvereines 1907 in Innsbruck präsentierten sich die „Austria“, die „Tyrolia“ und die „Germania“ in Volkstracht. Und auf einer Feldkircher Schützenscheibe aus dem Jahre 1890 wurde die Vereinigung Feldkirchs mit Österreich ebenfalls durch Frauengestalten, die „Austria“ mit habsburgischem Hauswappen und die „Feldkirchia“ mit dem Stadtwappen von Feldkirch dargestellt.
All diese Darstellungen stammen aus Zeiten, in denen Frauen keine politischen Rechte hatten, ja rechtlich nicht einmal berechtigt waren, die eigenen Kinder zu vertreten. Zwischen Idealisierung und Realität der Frau bestand eine tiefe Kluft. Der Schweizer Historiker Georg Kreis kommt bei Betrachtung der Helvetia jedenfalls zu dem Schluss, dass die Allegorisierung der Frau „an die große, bereits etablierte, aber auch an die stets neu stattfindende Verdrängung der Frau als Subjekt aus Gegenwart und Geschichte gebunden“ war und diese allegorischen Darstellungen – ob sie nun die Erhöhung der Frau zur „magna mater“ oder eine Verniedlichung zum Püppchen vornehmen – die konkrete Existenz der Frau negieren. 
Bleibt die Frage, warum patriarchale Männergesellschaften für Staaten, Länder und Städte weibliche Repräsentations- und Identifizierungsfiguren hervorbrachten. Georg Kreis verweist auf Erkenntnisse der Semantik. Viele abstrakte Begriffe sind grammatikalisch weiblichen Geschlechtes, wie etwa die Freiheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit. Mit dieser semantischen Struktur könnte auch die weibliche Allegorisierung abstrakter Gebilde wie Staat, Land und Stadt zusammenhängen. Aber auch metaphorische Übertragungen weiblicher Eigenschaften können dazu beigetragen haben. Vielleicht haben sich weibliche Repräsentationsfiguren, wie Georg Kreis unter Berufung auf Silvia Bovenschen („Die imaginierte Weiblichkeit“) und Sigrid Weigel („Topographien der Geschlechter“) weiter meint, in erster Linie aus dem Bedürfnis der Männer entwickelt, den eigenen Zielen und Sehnsüchten mit dem Bild eines gegengeschlechtlichen Körpers ein animierendes Gegenüber zu geben. Die Reduzierung auf einen Zeichenkörper macht die Frau jedenfalls nutzbar zur Darstellung sowohl des zivilisierten Territoriums – der Stadt, des Landes, des Staates – als auch des wilden, unbezwingbaren und ausgegrenzten Lebens – der Zigeunerin, der Hexe oder der Hydra.
Der Austria-Kopf am Landesgericht Feldkirch ist ein bürgerlich-städtisch geprägtes Symbol des Gesamtstaates der Habsburgermonarchie. Das Wappen des Landes Vorarlberg mit der rudolphinischen Hauskrone und das mit einer Mauerkrone versehene Wappen der Stadt Feldkirch bringt die enge Verbindung von Land und Stadt mit der k. u. k. Monarchie zum Ausdruck, was durch die ornamental angebrachte Inschrift „Austria erit in orbe ultimo“ unterstrichen wird. Dieser Wahlspruch Kaiser Friedrichs III. mit seiner Vokalfolge AEIOU wurde vielfach mit „Alles Erdreich ist Österreich untertan“ oder „Auf Erden ist Österreich unersetzlich“ übersetzt.
Geschaffen wurde der Austria-Kopf am Landesgericht von dem aus Feldkirch stammenden Künstler Josef Huber (1858 – 1932), der in der Kunsttopographie „Huber-Feldkirch“ genannt wird. Huber-Feldkirch war von 1909 bis 1923 Professor für kirchliche Monumentalkunst an der Akademie in Düsseldorf. Er hat in Deutschland und Österreich ein umfangreiches Werk hinterlassen. Das Vorarlberger Landesmuseum, für das er ein Giebelfresko geschaffen hatte, würdigte ihn 1978 in einer Gedächtnisausstellung. Von ihm stammen ein monumentales Fresko und Mosaik in der Pfarrkirche St. Martin in Dornbirn, Wandmalereien in der Pfarrkirche Lauterach, das Giebelfeldmosaik am alten Landesregierungsgebäude in Bregenz, die Fassadenmalereien an der Weinstube Kinz in Bregenz und zahlreiche Glasgemälde und Mosaike. Obwohl Huber-Feldkirch stark dem Nazarener-Stil verpflichtet war, wird in der Gestaltung des Austria-Kopfes am Landesgericht der Einfluss des Jugendstils auf sein Schaffen sichtbar.

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