Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Der geistige Boden, der unser Überleben sichert“

Juli 2020

Vorarlbergs freie Kunstszene wurde von der Pandemie schwer getroffen. Der von Vorarlberger Künstlern aller Sparten gegründete Verein zur Investition in Kunst und Kultur „locart“ will da helfen, er sammelt Spenden, die steuerlich absetzbar sind und ausschließlich an lokale Künstler und Kulturschaffende gehen. Obfrau Maria Simma und Philipp Lingg erklären im Interview, warum diese Unterstützung so wichtig ist – und was schon vor der Pandemie falsch gelaufen ist.

Wie schwer hat die Corona-Krise die freie Vorarlberger Kunst- und Kulturszene getroffen? 

Simma Sehr schwer. Es gibt in Vorarlberg eine große freie Szene von Künstler*innen und Kulturschaffenden, das sind jene Menschen, die da und dort aktiv sind, in aller Regel aber nirgendwo fest angestellt sind, höchstens einmal geringfügig. Sie haben selten normierte Arbeitsverhältnisse und erfahren deshalb schwer Unterstützung durch verschiedene Fonds, da Standard-Lösungen bei ihnen einfach nicht greifen. Es gibt Fälle, in denen Künstler*innen seit März ganze 500 Euro bekommen haben. Und zugleich hatten alle Ausfälle ohne Ende, es fanden keine Ausstellungen mehr statt, keine Lesungen, keine Konzerte, nichts. Programme wurden – mit Glück – verschoben, viele ersatzlos gestrichen, bis Ende Jahr und darüber hinaus. Die Künstler*innen in Österreich wurden vergessen, bis schließlich die Staatssekretärin zurückgetreten ist.

Lingg Wir sammeln Spenden. Wir wollen, dass Künstler, die finanzielle Unterstützung brauchen und nicht die Auftragslage wie andere haben, die Möglichkeit bekommen, ihre Kunst nach ihren Vorstellungen umzusetzen. Es geht um Menschen, die wirklich Unterstützung brauchen, aber ansonsten kein Gehör finden. Es geht bei uns nicht um die großen und größeren Häuser, es geht um die Künstler vor Ort, es geht um die freie Szene.

Wie kam es zur Gründung dieses Vereins, was waren die Beweggründe?

Simma Der ausschlaggebende Grund war, privates Engagement zu bündeln. Schon wenige Wochen nach dem Lockdown erhielten wir Anrufe von Menschen, die finanziell helfen wollten. Gemeinsam mit Kulturarbeiterin Mirjam Steinbock und Regisseurin Barbara Herold, wir arbeiteten bereits seit Beginn des Lockdowns zusammen, überlegten wir, wie wir eine solide Basis dafür schaffen können. Ich habe viele Jahre in den USA gelebt, und dort ist diese Form privater Kulturfinanzierung gang und gäbe. Wir müssen jedoch auf umliegende Länder blicken, hier gibt es sehr viele schöne Stiftungen, die Kunst und Kultur finanzieren. Bei uns in Vorarlberg ist das leider kaum der Fall. Wir möchten mit unserem Verein diese weitere Facette der Kulturfinanzierung öffnen. Unser Verein ermöglicht nun jedem, einen solidarischen Beitrag zu leisten. Dabei geht es nicht um wer und wieviel. Jeder gibt, was er möchte. Die Spenden gehen zu 100 Prozent in die lokale Kulturlandschaft. 

Hat Corona nur sichtbar gemacht, was auch früher schon falsch gelaufen ist?

Simma Ja. Ein Künstler-Honorar, das ist beispielsweise keine Selbstverständlichkeit. In einem Ausstellungshaus werden zwar Technik und Öffentlichkeitsarbeit und der Transport bezahlt, aber die, die den Inhalt liefern, also die Künstler*innen, häufig nicht. Man sagt, eine Ausstellung sei eine schöne Plattform, das müsse reichen, sie können ja dort ein Kunstwerk verkaufen. Aber oftmals nicht gesehen und nicht honoriert wird all die Arbeit, die dahintersteckt. Ich bin seit zwei Jahren im Künstlerhaus, wir haben heuer Künstlerhonorare wieder eingeführt. Das ist immens wichtig.

Lingg Es gibt auch positive Beispiele. Aber meistens ist das Honorar für den Künstler der letzte Posten, der vom Veranstalter berechnet wird. Und das ist das eigentlich Absurde. Weil die Veranstaltung ja überhaupt erst durch den Künstler möglich wird. 

Simma Man muss das immer wieder erwähnen! Das ist entscheidend. Plattformen gibt es viele, und an den Plattformen scheitert das höchst selten. Es scheitert an den Honoraren, es scheitert daran, dass diejenigen, die die Inhalte liefern, keinen Gegenwert erhalten. Es ist falsch, wenn man Künstler*innen nicht bezahlt.

Haben Kunst, Kultur, Literatur nicht den Stellenwert, den sie haben sollten?

Lingg Der Stellenwert ist schon da. Aber dafür zu bezahlen, das ist etwas anderes. Ich rede jetzt von der Musik: Musik ist allgegenwärtig. Aber sie darf nichts mehr kosten. Wann hat man sich denn zum letzten Mal eine CD gekauft? Immer weniger Menschen haben das Verständnis, dass sie mit dem Kauf eines Albums auch etwas Wunderbares bekommen; die Chance nämlich, etwas Wunderbares zu hören und gleichzeitig mitzureisen in den Kosmos des jeweiligen Künstlers und zu dem Moment, in dem diese Musik geschaffen worden ist. Ich würde sagen: Der Mensch will schon gefüttert werden mit neuer kultureller Nahrung. Aber es darf nichts kosten. Liveauftritte? Das sind regelrechte Gagen-Kämpfe, die man da auszutragen hat. Der Musiker soll wenig kosten, aber er soll gut und möglichst lange spielen, dieses Verständnis herrscht heute vor. 

Der Verein „locart“ ruft ausdrücklich zur „Investition“ in Kunst und Kultur auf. Warum?

Simma Richard von Weizäcker hat einmal gesagt, es sei grotesk, Ausgaben im kulturellen Bereich ‚Subventionen‘ zu nennen, Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude aber als Investitionen zu bezeichnen. Denn Kultur „ist der geistige Boden, der unser Überleben sichert.“ Es sei also Aufgabe des Staates, dies in seinem Haushalt zu berücksichtigen. In Kunst und Kultur zu investieren, heißt, in uns selbst zu investieren.
Und der Verein will da sensibilisieren?

Lingg Ja. Es geht uns um die Sensibilisierung, dass Kunst allgegenwärtig ist und auch einen Wert hat. Wir leben nun einmal in einer Zeit, in der alles, was einen Wert hat, in Geld bemessen wird. Das ist seltsam, aber weil das nun mal so ist, muss man auch die Frage stellen, warum ausgerechnet Musik nichts wert sein soll. 

Simma Denken wir doch nur an diese Corona-Zeit! Was wäre ohne Kunst und Kultur gewesen? Was hätten wir dann gemacht? Ohne Film, ohne Musik, ohne Bilder, ohne Bücher? Da wird darüber gesprochen, was lebensnotwendig und essenziell ist und was nicht, aber viele, die Kunst und Kultur konsumieren, gehen diesen gedanklichen Schritt nicht. Auch da wollen wir mit unserem Verein aufklären. Also: Wer hauptberuflich als Künstler arbeitet oder selbstständig kulturschaffend ist, seinen Hauptwohnsitz in Vorarlberg hat und älter als 18 ist und Unterstützung braucht, soll sich bitte bei uns melden. Im Übrigen sind sämtliche Spenden an unseren Verein spendenbegünstigt. Das können wir als Gegengeschäft anbieten (schmunzelt). Spendenbegünstigungen im Kulturbereich sind sehr selten, wir kooperieren allerdings mit der Philanthropie Österreich, einer Stiftung in Graz. Die hat unsere Initiative von Anfang an sehr schön gefunden. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Spendenkonto lautet auf:
Philanthropie Österreich,
Capital Bank – GRAWE Gruppe AG,
IBAN: AT07 1960 0003 1505 7235
BIC: RSBUAT2K, Verwendungszweck: locart. Vorname, Nachname, Geburtsdatum

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