Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Location Landesbibliothek

November 2021

Um sechs Uhr früh, die Sonne ist gerade aufgegangen, öffnete im Sommer 2021 an einem Samstagmorgen die Landesbibliothek schon sehr zeitig ihre Tore. Diesmal nicht für das allgemeine Publikum, sondern für ein Filmteam rund um Denis Mujovic, den multikulturellen bosnischen Niederländer, der sich vor einigen Jahren in Vorarlberg niedergelassen hat. Träger des Projekts ist der Kulturverein New:Ground, der sich zum Ziel gesetzt hat, innovative kulturelle Projekte zu initiieren. Bis das Team vollständig ist, sind es fast zwanzig Personen, die an einem dicht gedrängten Drehtag unterschiedlichste Funktionen einnehmen. Licht- und Tontechniker, Maske, Regisseurin, Produzentin, Kamerafrau … verwandeln den Kuppelsaal des Gallusstifts sowie die Baustelle vor dem Gebäude zur Location für die Bike-Stories Vorarlberg.
Es entstand an diesem Tag eine Szene des Pilotfilms, der nur der Auftakt sein soll für eine Serie von acht bis zehn Folgen, die im optimalsten Fall auch im lokalen Fernsehen ausgestrahlt werden könnte, aber eigentlich als Cross-Media Plattform geplant ist.

 

Klingt der Surround-Sound des Fahrtwindes erst am Ohr, zieht die Landschaft wie im Film an mir vorbei. Felix Kalaivanan Drehbuchautor

Bewusstsein schaffen

Die Bike-Stories beziehen ihre Inspiration aus niederländischen Vorbildern, in denen besonders in Amsterdam und Rotterdam laufend Filme zur Lebenskultur des Radfahrens entstehen. Wie in einer Filmserie eines niederländischen Museums sollen auch hier Fiktion, Interviews und Dokumentation miteinander verknüpft werden. Mit den Bike-Stories soll in Vorarlberg ähnliches versucht werden: Semi-fiktive Episoden über das Thema Radfahren in Vorarlberg sollen entstehen, in denen Informatives, Technisches, Abenteuer, Humor, Drama und pädagogische Aspekte Platz finden. Professionelle Schauspieler und Laien teilen sich die Bühne, es wird hinter die Kulissen geschaut, die Fahrradwerkstatt besucht und dem radelnden Briefträger gefolgt. Die Filme sind für ein Publikum aller Altersstufen geeignet, besonders werden aber Kinder und Jugendliche angesprochen, bei denen sich die Fahrradkultur noch zu einer echten Lebenseinstellung entwickeln könnte. Die Filme helfen mit, Bewusstsein für das Radfahren zu schaffen, eine Lobby zu unterstützen, die sich für den Ausbau der Radinfrastruktur stark macht. Das Team des Kulturvereins New:Ground hat sich zudem der Idee des GreenFilmMaking verschrieben, wonach Filme nachhaltig produziert werden und die Herstellung möglichst wenig Ressourcen verbrauchen soll.
Regisseurin der Bike-Stories ist die Vorarlbergerin Hanna Mathis, die erst neulich auch beim Alpinale-Wettbewerb mit Beiträgen aufgefallen ist. Sie studierte in Wien und Amsterdam Journalismus, wobei der Aufenthalt in den Niederlanden ihre Affinität zum Radfahren erklärt: „Durch mein Auslandsemester in Amsterdam habe ich selber das Radfahren lieben gelernt, und in Vorarlberg ist es immer noch mein bevorzugtes Transportmittel. Ich besitze drei Fahrräder an meinen verschiedenen Wohnorten, die sogar Namen und unterschiedliche ,Charakterzüge‘ aufweisen.“ Für sie ist Radfahren als Kernthematik ein sehr aktuelles Thema, nicht nur in Vorarlberg, sondern auch der aktuellen Klimadiskussion geschuldet genau am „Rad der Zeit“. Für das Drehbuch der Bike-Stories ist Felix Kalaivanan, der 2018 den Anerkennungspreis im Rahmen des Kulturpreises Vorarlberg gewonnen hat, verantwortlich. Dass Schreiben seine Stärke ist, beweist er in seinem geradezu poetischen Statement zu den Bike-Stories: „Das Fahrradfahren hat für mich etwas Meditatives. Klingt der Surround-Sound des Fahrtwindes erst am Ohr, zieht die Landschaft wie im Film an mir vorbei, vergesse ich mich dabei gerne selbst. Die Arbeit am Drehbuch für die Pilotfolge bestand aus viel Recherche und kindlichem Spiel mit den vorgefundenen Orten und Personen: Wie würde Fahrradhändler Ralph regieren, wenn ich seine ordentlich in Reih und Glied aufgestellten Räder durch einen kleinen Stoß und dem Domino-Effekt mit wenig Kraftaufwand, aber viel Lärm umwerfen würde?“
Die Hauptrolle, von Lisa Suitner gespielt, zeigt Fabricia, die anfangs nirgendwo hinein zu passen scheint, bis sie im Fahrrad und der dazu gehörigen Community aus Bastlern, Sportlern, Umweltschützern und freiheitssuchenden Hippies ihren Platz findet und mit dem Erforschen der Radkultur Vorarlbergs sich selbst verwirklichen und dabei auch neu kennenlernen kann, während sie ihren Freundeskreis aus Fahrrad-Freaks erweitert und vieles über urbane Mobilitätskonzepte erfährt. In der Pilotfolge erforscht die schrullige Fabricia die Entstehungsgeschichte des Fahrrads, baut selbst ein frühes Modell nach und lernt Menschen kennen, die ihr Leben ganz dem Drahtesel verschrieben haben. Die Rolle der Landesbibliothek in der ersten Folge aber auch den potenziell weiteren ist schnell erklärt. Wenn sich Fabricia Fragen stellen, die sie seriös beantworten will, findet sie immer wieder den Weg in die Bibliothek. So macht sie sich in der ersten Folge über die Funktionsweise einer Draisine kundig, die seit 1817 als Vorläufer des Fahrrads in Gebrauch war.
Immerhin ließen sich mit derartigen Laufrädern Entfernungen doppelt so schnell zurücklegen wie zu Fuß. Nach erfolgreichem Studium einschlägiger Literatur baut Fabricia aus Baumaterial spontan eine Draisine, die sie in einer waghalsigen Fahrt vom Gallusstift Richtung Tal erprobt.
Bei der Vorführung des Films im Kuppelsaal der Landesbibliothek, am 16. Dezember 2021, wird es den BesucherInnen wohl nicht erspart bleiben selber in die Pedale zu treten. Denn in einer der ersten Veranstaltungen nach dem Umbau der Landesbibliothek wird die Energie für die Projektion mit Muskelkraft erzeugt: Wie sollte es bei dem Thema anders sein: natürlich mit dem Fahrrad.
www.newground.at/bikestoriesvbg/

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