
„Ich bin sicherlich ein Feindbild“
Thilo Sarrazin (69), Autor des umstrittenen Buchs „Deutschland schafft sich ab“, im „Thema Vorarlberg“-Interview über Migration, den Islam und die Frage, ob ihn – einen deutschen Sozialdemokraten – die Zustimmung des rechten Lagers irritiert.
Wie fühlt es sich an, Feindbild der Linken zu sein, Herr Sarrazin?
THILO SARRAZIN: Ich habe Zweifel, ob ich Feindbild der Linken bin. Ich bin aber sicherlich ein Feindbild jener, die meinen, das Bessere zu verkörpern, und die glauben, dass die Welt genau so funktioniert, wie sie nach ihren Wunschvorstellungen funktionieren sollte.
Wir nehmen an, dass Sie sich selbst nicht zu den Gutmenschen zählen.
Nein. Ich bemühe mich auch, diesen platten, abgetretenen Ausdruck für andere zu vermeiden. Ich spreche stattdessen von jenen, die meinen, ein Interpretationsmonopol auf die Welt zu haben.
In Ihrem Buch „Der neue Tugendterror“ thematisieren Sie die Verbotsgesellschaft.
Der Tugendterror ist eine sehr indirekte und sublime Angelegenheit, dafür ist er umso stärker fühlbar: Wir Menschen haben seit der vorsteinzeitlichen Urhorde die Tendenz, uns in unseren Ansichten von der Gemeinschaft, auf die wir angewiesen sind, nicht zu entfernen. Das macht uns alle anfällig, den politisch korrekten Mehrheitsmeinungen zu folgen. Weil es opportun ist, nicht anzuecken.
Da sind Sie anders. Sie schrieben in Ihrem umstrittenen Buch „Deutschland schafft sich ab“ unter anderem: „Bleibt die Geburtenrate der Migranten dauerhaft höher als die der autochthonen Bevölkerung, werden Staat und Gesellschaft im Laufe weniger Generationen von den Migranten übernommen.“
Das ist eine mathematische Wahrheit. Die einheimische Bevölkerung reduziert sich innerhalb von 150 Jahren auf rund ein Zehntel ihres Altbestands. Deutschland hatte 1965 noch 1,4 Millionen Geburten, jetzt sind es 860.000 Geburten. Nimmt man nur die Geburten all jener, deren Vorfahren 1965 bereits in Deutschland lebten, bleiben noch 450.000 Geburten übrig. Das ist innerhalb von 50 Jahren eine Reduktion auf ein Drittel. Der Prozess ist in vollem Gange. Und er vollzieht sich in ähnlicher Weise auch in Österreich. Blicken Sie nach Berlin-Neukölln. Dort hatten wir vor 30 Jahren einen Anteil an Türken und Arabern von vielleicht 20 Prozent, mittlerweile beträgt dieser Anteil in den Schulen bereits 70 Prozent. Schreiben Sie derartige Trends fort – dann werden Sie sehen, dass das keine Schwarzmalerei ist. Das ist schlicht und ergreifend angewandte Mathematik.
Sie kritisieren, dass eine Diskussion darüber, ob kulturelle Unterschiede zwischen den Migrantengruppen Integrationswillen und Integrationsfähigkeit beeinflussen, politisch nicht gewünscht sei.
Das ist richtig. Wir haben überbordende Evidenz aus Deutschland, Österreich, Schweden, England, egal woher, dass sich unterschiedliche Gruppen von Migranten unterschiedlich entwickeln. Und sie verhalten sich in allen aufnehmenden Ländern gleich: Japaner und Chinesen liegen immer ganz vorne, Einwanderer aus muslimischen Ländern immer ganz hinten. Das ist eine empirische Tatsache. Ich habe mir anhand der verfügbaren Daten den Integrationserfolg von Migrantengruppen angeschaut. Ergebnis? Türken und Araber sind in der dritten, vierten, mittlerweile schon fünften Generation in höherem Umfang von Arbeitslosigkeit geprägt, können die Sprache weniger gut, haben eine geringere Bildung, niedrigere Einkommen. Und was ist das gemeinsame Merkmal aller Einwanderungsgruppen, die ein Integrationsproblem haben? Der Islam.
Ergo ist in Ihrer Lesart die Religion die Wurzel allen Übels.
Das wäre eine Übertreibung. Religion an sich ist weder gut noch böse. Ich sage, dass die kulturelle Prägung durch den Islam offenbar den Bedingungen einer modernen Gesellschaft nicht förderlich ist. Dafür haben wir Indikatoren, etwa die im Islam weit verbreitete mindere Rolle der Frau, ihre Unterdrückung, ihre Bildungsbenachteiligung.
Kritiker sagen, Sie nehmen nur die Statistiken, die Ihnen ins Feindbild passen.
Ja dann sollen mir diese Kritiker doch bitte andere Statistiken nennen und eine andere Erklärung, wieso in allen Staaten des westlichen Abendlandes die Einwanderer aus islamischen Ländern besondere Probleme machen. Und dann sollen sie mir einen anderen Grund nennen als den Islam. Das sollte die Aufgabe dieser Kritiker sein, und nicht, die Dinge wegzureden.
Die Parallelgesellschaft existiert. Aber wer hat sie geschaffen?
Diejenigen, die sich nicht in die herrschende Gesellschaft integrieren wollen. Und wir haben sie beispielsweise dadurch geschaffen, dass wir den Zuzug von Ehepartnern zugelassen haben. In jeder Generation wird so erneut die andere Kultur importiert, kommen erneut Ehepartner, die nicht Deutsch können, und wird die ganze Integrationsmaschine auf null zurückgestellt. Mich sprach jüngst im Rahmen einer Veranstaltung eine Grundschullehrerin aus Vorarlberg an und berichtete mir, von ihren 20 Kindern, allesamt österreichische Staatsbürger, würden acht den islamischen Religionsunterricht besuchen. Und von diesen acht Kindern mit muslimischem Hintergrund könnten sechs gar nicht oder nicht richtig Deutsch – und das, obwohl ihre Urahnen bereits vor einem halben Jahrhundert zugewandert sind. Diese Probleme haben nichts mit der aufnehmenden Gesellschaft, sondern alles mit den Einwanderern selbst zu tun. Es ist eine große Legende, zu glauben, dass die aufnehmende Gesellschaft auch nur irgendeinen Einfluss hat auf den Integrationserfolg der Einwanderer. Über ihren Status in der Gesellschaft bestimmen ausschließlich die Einwanderer selbst – durch ihr Verhalten, ihren Bildungshunger, ihren Fleiß und ihre Tüchtigkeit.
Sie haben eine große Debatte über Migration ausgelöst. Aber mit fragwürdigen Mitteln.
Wieso?
Wieso? Sie haben gesagt: „Der Großteil der Araber und Türken ist weder integrationswillig noch integrationsfähig. Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue Kopftuchmädchen produziert.“ Das, Herr Sarrazin, ist eine Pauschal-verurteilung am äußerst rechten Rand.
Nein. Dieses Zitat stammt aus einem Interview von September 2009 in der Zeitschrift „Lettre International“ über Berlin 20 Jahre nach dem Mauerfall, ein Jahr vor Erscheinen meines Buchs. Es ging um Berlins spezifische Probleme, unter anderem um die Bildungs- und Integrationsdefizite der großen türkischen und arabischen Minderheit in dieser Stadt. Der Interviewer fragte, ob es nicht auch um Anerkennung gehe. Und ich habe in meiner Antwort die Anerkennung, die ich jemandem gebe, von dessen Verhalten abhängig gemacht. Jemand, der sich so verhält, wie in diesem Relativsatz beschrieben, hat keinen Anspruch auf meine Anerkennung. Dies gälte auch dann, wenn er Deutscher wäre oder Österreicher. Aber das zeigt die Wehrlosigkeit meiner Kritiker: Jedes Interview dieser Art endet damit, dass mir dieser eine Satz vorgehalten wird.
Mag sein. In unserem Fall ist aber noch nicht Schluss. Sie wurden in deutschen Medien als radikal rassistischer Populist bezeichnet.
In einer seriösen Zeitung finden Sie das nicht. Was soll ich mit einem solchen Vorwurf machen? Das ist gegenstandslos und stimmt nicht, diese Äußerung erledigt sich von selbst.
In einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ stand dagegen durchaus wohlwollend, Sie würden unbequeme Wahrheiten ansprechen.
Man setzt etwas in die Welt, in diesem Fall ein Buch, und wie die Menschen darauf reagieren, sagt viel aus über sie selbst.
In der Polarisierung fühlen Sie sich aber wohl, oder?
Ich würde sagen: If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.
Heiligt der Zweck alle Mittel?
Natürlich nicht. Aber wenn man bestimmte Zwecke verfolgt, muss man auch die Mittel ergreifen, die geeignet sind. Es gibt keine Wahrheit, ohne dass man sie ausspricht. Aber ich sprach ja eingangs von jenen, die glauben, dass die Welt genau so funktioniert, wie sie nach ihren Wunschvorstellungen funktionieren sollte. Das ist falsch. Jeder muss seine eigene Position zu gesellschaftlichen Fragen selbst bestimmen.
Sie sind Mitglied der SPD. Wie kommt ein Sozialdemokrat eigentlich zu solchen Ansichten?
Meine Ansichten stehen nicht in Widerspruch zu den Grundwerten der Sozialdemokratie. Ich teile sie mit geschätzten 50 bis 70 Prozent der Parteimitglieder und mit 80 Prozent der Bevölkerung. Und was meinen Sie, wieso ich noch in der SPD bin? Weil auch die Parteiführung erkannt hat, dass es ein Desaster gewesen wäre, hätte man mich ausgeschlossen.
Irritiert es Sie denn nicht, dass Sie Zustimmung am äußerst rechten Rand finden?
Die Frage, welche Randfiguren auch einer Sache zustimmen, entscheidet doch nicht über die Wahrheit einer Sache, oder?
Eines können wir uns nicht verkneifen: Der Name Sarrazin deutet nun nicht unbedingt auf eine urdeutsche Abstammung hin …
Das ist richtig. Unser Urahne kam aus Lyon, war Anfang des 16. Jahrhunderts der Stadtschreiber in Genf. Nachfahren wanderten weiter nach Basel, schließlich kam ein Urahne nach Westfalen. Und von dem stammen alle deutschen Sarrazins ab.
Vielen Dank für das Gespräch!
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