Selbst Obama interessiert sich für unser System
Vorarlberg trotzt mit seiner dualen Berufsausbildung der Jugendarbeitslosigkeit. Sogar zum globalen Exportschlager avanciert die Lehre. Und doch sehen Experten die Lehre bedroht und warnen vor dem zunehmenden Akademisierungswahn im Bildungssystem.
Exakt 2143 Betriebe in Vorarlberg bilden aktuell aus. Das war schon einmal anders: Vor vier Jahren waren es noch 200 Lehrbetriebe mehr. Für Christoph Jenny, Bildungssprecher in der Wirtschaftskammer Vorarlberg, sind die Gründe allerdings schnell erklärt. Zum einen fehle es heute an geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten. Bei manchen mangelt es schon an den einfachsten schulischen Grundkenntnissen, andere wiederum verfügen einfach nicht über die nötige soziale Reife. Zum anderen haben Umstrukturierungen in den Betrieben zur Aufgabe der Lehrlingsausbildung geführt. Und dann sind da noch die Betriebe, denen die Ausbildungsvoraussetzungen grundsätzlich fehlen. 2143 Betriebe bedeuten aber auch, dass rund 20 Prozent aller Betriebe mit mindestens einem Beschäftigungsverhältnis das Heft selbst in die Hand nehmen und für eigene Fachkräfte sorgen. Für 2015 prognostiziert das AMS einen Anstieg auf etwa 20,5 Prozent. Kein anderes Bundesland hat damit einen höheren Anteil an ausbildungsaktiven Betrieben. Zum Vergleich: Tirol liegt bei 14,6 Prozent, Niederösterreich bei 11,4 Prozent und Wien gar nur bei 7,2 Prozent.
Ein weltweit gefragtes System
Die meisten Vorarlberger Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, haben eine sehr lange Lehrtradition. Lehrlinge (in Kleinbetrieben oft auch nur ein Lehrling) gehören zum Betriebsalltag einfach dazu. Für diese Einsicht spielen sowohl die (selbst auferlegte) gesellschaftliche Verantwortung der Wissensweitergabe als auch der wirtschaftliche Nutzen, den Lehrlinge erbringen, eine Rolle. Mit Lehrlingen können Betriebe ihren zukünftigen Bedarf an qualifizierten Fachkräften am besten decken. Derzeit gibt es in Österreich 204 gewerbliche und 14 land- und forstwirtschaftliche Lehrberufe, 160 davon werden in Vorarlberg angeboten. Das System der dualen Ausbildung ist auch der Grund für eine verhältnismäßig niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Die weltweit steigende Jugendarbeitslosigkeit rückt das duale System in vielen Ländern in den Mittelpunkt des Interesses. Selbst US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Regierung oder ganz aktuell die EU-Kommission und China liebäugeln mit der dualen Ausbildung, wie sie etwa in Vorarlberg exzellent praktiziert wird. Auch wenn demografisch bedingt die absoluten Lehrlingszahlen zurückgehen, entscheiden sich weiterhin jedes Jahr über 50 Prozent der Jugendlichen in Vorarlberg für das duale System mit betrieblicher und schulischer Schiene. Das liegt am intensiven Engagement der Betriebe, am hohen Niveau der Ausbildung und an den guten Verdienstmöglichkeiten. Einkünfte aus erster Erwerbstätigkeit sind bei Lehrabsolventen höher als bei anderen Ausbildungsabschlüssen. Die im Österreich-Vergleich höchste Lehrlingsquote hat aber auch mit dem gravierendsten Vorteil der dualen Ausbildung gegenüber dem vergleichsweise starren Schulsystem zu tun: der Flexibilität. Durch den permanenten Wettbewerb wird in den Unternehmen am Puls der Zeit ausgebildet. Veränderungen am Markt oder in technischen Belangen wird schnell Rechnung getragen. Modularisierungen haben ihren Teil dazu beigetragen. Vergleichsweise steif entwickeln sich dagegen die Lehrpläne in den weiterführenden Schulen. Die sind auch die größte Konkurrenz für die Lehrbetriebe und wollen aus rein finanziellem Kalkül den sinkenden Geburtenraten trotzen. „Da werden Jugendliche aufgenommen, obwohl von Anfang an klar ist, dass die den Abschluss nicht schaffen werden“, bemängelt etwa Michael Landertshammer, Institutsleiter des WIFI Österreich.
Bildungsexperten in Österreich, in Deutschland und in der Schweiz warnen inzwischen vor einem Akademisierungswahn. Der Ökonom und Schweizer Alt-Nationalrat Rudolf H. Strahm beschreibt in seinem Buch „Die Akademisierungsfalle“ das Drama der Jugendarbeitslosigkeit in Europa und die Fallstricke einer arbeitsmarktfernen akademischen Ausbildung. Laut Strahm müsse die Bildungsstruktur mit der Wirtschaftsstruktur zusammenpassen. Ein erfolgreicher Standort brauche eben nicht nur die klugen Köpfe im Forschungs- und Entwicklungsbereich, sondern auch intelligente Umsetzer in der Produktion. Die „Pseudo“-Akademisierung hat unerwünschte Nebenwirkungen: Bleiben irgendwann nur noch die Schwächsten aus „bildungsfernen Schichten“, wie es politisch korrekt heißt, für die Lehre übrig, dann wird das „Ausbilden im Betrieb“ zu einer kaum bewältigbaren Aufgabe für unsere heimischen Firmen.
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