Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Ein importierter Konflikt

Oktober 2014

Terrorismusforscher Franz Eder (34) im „Thema Vorarlberg“-Interview über die Hintergründe der Kurden-Demonstration in Bregenz und die verschiedenen Konfliktlinien zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten.

In Bregenz demonstrierten 500 Kurden, um auf das Schicksal ihrer Angehörigen in Kobane aufmerksam zu machen.

Dass die Kurden demonstrieren, verstehe ich. Die Weltöffentlichkeit schaut dem Massensterben in der syrischen Stadt Kobane und dem Vorrücken des IS tatenlos zu, die Bombardements der USA verzögern die Eroberung der Stadt nur. Den Eingeschlossenen wird nicht entschieden genug geholfen, dabei steht die hochgerüstete türkische Armee nur einige hundert Meter vor der Stadt. Kurdische Vereine und die kurdische Gemeinschaft versuchen deswegen, die Weltöffentlichkeit mit Demons­trationen zu sensibilisieren und zu erreichen, dass die Entscheidungsträger ihr Augenmerk endlich auf das Schicksal der Kurden in Kobane
legen. Es wurde ja auch zeitgleich in Innsbruck demons­triert. Demonstrationen hatte es auch schon in deutschen Städten gegeben, etwa in Hamburg.

Im Vorfeld der Demonstration in Bregenz kam es zu gewalttätigen Auseinander­setzungen, zwei Gegendemonstranten wurden mit Messern verletzt, einer schwebte kurzfristig sogar in Lebensgefahr, musste notoperiert werden …

Die Dimension der Gewalt schockiert. Ich würde die Initialzündung zu diesen Ausschreitungen aber nicht den Kurden unterstellen. Die Ausschreitungen sind gewiss nicht in ihrem Sinn, weil dann die Öffentlichkeit nicht mehr über die eigentlichen Ziele der Demonstration spricht, sondern eben nur noch über die Gewalttätigkeiten. Es handelte sich also vielmehr um Provokationen durch die radikale Seite der Gegendemonstranten – erst deren brutales Auftreten führte zu den Ausschreitungen. In Hamburg hat sich das deutlich gezeigt: Die Gegendemonstranten, in Hamburg Salafisten, versuchen die Kurden mit Gewalt von ihrem Demonstrationsrecht abzubringen und zeigen damit auch, wes Geistes Kind sie sind – anders lautende Meinungen werden nicht akzeptiert.

Wie setzen sich eigentlich diese Gegendemonstranten zusammen? Einer der beiden in Bregenz Verletzten war nach Angaben der Polizei ein türkischstämmiger Österreicher, der andere hatte einen thailändischen Pass.

Da kommen unterschiedliche Konfliktlinien zum Tragen: zum einen der alte Konflikt zwischen Türken und Kurden beziehungsweise deren bewaffnetem Arm, der PKK. Das zeigt sich unter anderem an der Teilnahme der grauen Wölfe (jener nationalistischen und extremistischen türkischen Organisation, die sich gegen die PKK stellt). Zum anderen aber, und das hat sich in Hamburg gezeigt und wohl auch in Bregenz, sind die Gegendemonstranten in erster Linie Muslime, die eine radikale Auslegung des Korans vertreten und mit der radikalen Linie des IS sympathisieren. Das können Türken sein, aber auch Syrer, Iraker, Algerier, Tunesier – und Tschetschenen. Da spielen Volksgruppen keine Rolle mehr, die Konflikte verschieben sich entlang der Religion.

In der Tat – wiederum sei die Polizei zitiert – waren unter den Gegendemonstranten in Bregenz auch Tschetschenen.

Man darf nicht verallgemeinern, natürlich nicht. Tschetschenen bekommen in Europa zu Recht Asyl, weil sie in ihrer Heimat politisch verfolgt werden. Aber oftmals sind unter ihnen Menschen, die durch ihre Erfahrungen und ihr Umfeld vielfach schon so traumatisiert und religiös radikalisiert sind, dass sie zu einem Problem werden. Und dann kommt der Fanatismus der Radikalen dazu – die eigene Meinung muss verteidigt und durchgesetzt werden, um jeden Preis, ohne Rücksicht.

Ergo handelt es sich um einen importierten Konflikt.

Ja. Allerdings mit der Einschränkung, dass nur der Auslöser des Konflikts ein importierter ist. Ich würde eher sagen: Man importiert ein Problem, das sich in Österreich weiterentwickeln und steigern kann. Warum sich Menschen radikalisieren, kann vollumfänglich nicht beantwortet werden. Aber ein Weg zur Radikalisierung ist jener, dass sich junge Menschen, wenn sie sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, alternativen Gruppierungen anschließen, in denen sie etwas gelten und in denen sie auf Gleichgesinnte stoßen.

Beide verletzten Gegendemonstranten sind 17 Jahre alt.

Das ist symptomatisch. Diese jungen Menschen, die durch ihr Alter – Stichwort Pubertät – sowieso schon in einer Identitätskrise stecken, haben oft keinen Bezug mehr zur Heimat und Kultur ihrer Eltern und fühlen sich von Österreichs Gesellschaft nicht aufgenommen. Und damit steigt das Risiko der Radikalisierung.

Eine spannende Facette des Konflikts ist auch die jeweilige Vernetzung der beiden Seiten. Wie haben sich Demonstranten und Gegendemonstranten organisiert?

Kurden sind traditionell gut vernetzt. Die Frage, was die Gegendemonstranten vernetzt hat, ist da schon spannender – sie werden durch die radikalisierte Interpretation des Islam zusammengeführt.

Und wie sieht die Lösung aus? Was können Österreichs Sicherheitsbehörden unter­nehmen?

Relativ wenig. Lösbar ist dieser Konflikt nur vor Ort und auch dort nur längerfristig. Österreichs Behörden können nur schauen, dass sich die Konflikte nicht zusätzlich ausweiten. Doch wäre es ein Irrglaube, anzunehmen, verschärfte Strafen oder eine noch rigidere Asylpolitik würden die Probleme beseitigen. Auch wenn man potenzielle Radikale verstärkt unter Beobachtung stellt, ist das kein Schutz davor, dass sie sich radikalisieren. Wenn sie wissen, dass sie unter Beobachtung stehen, treffen sie sich im privaten Bereich – und unterliegen dann keiner Kontrolle mehr.

Vielen Dank für das Gespräch!

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