Was zum Teufel ist das Anthropozän?
Ich musste den Vortragstitel mehrfach lesen. So simpel er auch erscheint – verstanden
habe ich ihn bis heute nicht. Über „Unsere Gärten im Anthropozän“ soll da referiert werden. Doch was unsere Gärten und die geologische Zeitskala miteinander zu tun haben,
kann auch die beigefügte Kurzfassung nicht erhellen.
Über Sinn und Unsinn, das Anthropozän als eine neue Epoche in die Zeitskala unserer Erde einzufügen, entbrennen derzeit in der Geologenschaft heftige Diskussionen. Dass der Mensch zur beherrschenden Spezies auf diesem Planeten geworden ist, daran besteht kein Zweifel. Er hat die Macht, das Antlitz der Erde nachhaltig zu verändern. Und die Spuren seiner Tätigkeit werden unweigerlich in den derzeit abgelagerten Gesteinen dauerhaft konserviert. Damit erscheint für manche die Einführung einer neuen geologischen Epoche gerechtfertigt. Weniger anthropozentrisch fixierte Wissenschaftler sprechen von einer maßlosen Selbstüberschätzung. Homo sapiens ist eine Nebenlinie der Evolution, eine Spezies, die über kurz oder lang wieder von diesem Planeten verschwinden wird. Die wenigen Jahrhunderte, in denen er gestaltend in die Abläufe der Natur eingreift, sind nichts angesichts der unvorstellbaren Existenz der Erde vor und nach seinem kurzfristigen Auftreten. Aufgrund seiner terrestrischen Lebensweise taugt der Mensch nicht einmal als brauchbares Leitfossil. Zu wenig erhaltungsfähig sind Gesteine, die auf dem Land abgelagert werden. Und sollten in 20, in 100 Millionen Jahren intelligente Lebewesen aufs Neue versuchen, die Geschichte dieses Planten zu entschlüsseln, so wird das, was heute Anthropozän genannt werden soll, nicht mehr sein als ein wenige Milli- bis allenfalls Zentimeter mächtiger Leithorizont innerhalb der marinen Schichtfolge.
Hier ist es angebracht, eine Klammer aufzumachen. Eine der Säulen der modernen Geologie ist die Erkenntnis, dass die Gesteine keinesfalls wirr verteilt sind. Sedimente spiegeln ein Ablagerungsgeschehen wider. Immer neue Schichten von Kalk, Schlamm und Sand türmen sich im Lauf der Zeit übereinander. Dass das Älteste zuunterst, das Jüngste ganz oben liegen muss, erscheint uns heute banal, und nur religiöse Fundamentalisten behaupten, dass ein Gott die Gesteinsschichten gemischt habe wie die Karten in einem Pokerspiel. Seit der Erkenntnis, dass in den Ablagerungsgesteinen Zeit dokumentiert ist, versuchen die Geologen, diese Zeit in einzelne Abschnitte zu gliedern. Bald war evident, dass gleich alte Gesteine durch die Überreste gleicher Lebewesen charakterisiert sind. Über diese Leitfossilien gelang es, die Gesteinsabfolgen auch über größere Entfernungen zu korrelieren. Aus bruchstückhaften Teilabschnitten wurde so eine Gesamtabfolge rekonstruiert. Änderungen im globalen Ablagerungsgeschehen und vor allem markante Faunenschnitte wurden als Grenzen von Zeiteinheiten definiert. Jene wiederum werden über ihren Fossilinhalt fassbar. So entstand eine relative Zeitskala, die nur ein „jünger“ und „älter“ kennt, aber keine absoluten Zeitangaben. Die kamen dann später.
Wie alles, was der Mensch definiert, ist auch diese menschgemachte Einteilung der geologischen Zeit einem steten Wandel unterworfen. Manche Ereignisse haben derart markante Spuren hinterlassen, dass sie sich als Zeitmarker geradezu aufdrängen. Der Meteoriteneinschlag, der die Dinosaurier dahinraffte, war gleichzeitig Ursache eines der größten Massensterben in der Geschichte des Lebens. Aber nicht nur das Fehlen alter oder das Auftreten neuer Tierarten machen diese Grenze fassbar. Im ungestörten Gesteinsstapel ist sie als eine dünne Lage mit seltenen Metallen, mit außergewöhnlichen Mineralen sichtbar – einer der wenigen glücklichen Fälle, wo auch im Gelände eine Zeitgrenze durch einen „Goldenen Nagel“ markiert werden kann. „Kreide“ und „Tertiär“ nannten die Geologen die beiden Zeitalter vor und nach dem Impakt. Die Grenze besteht weiter, doch das Tertiär ist inzwischen aus der geologischen Zeitskala verschwunden. Im Jahr 2000 hat die „Internationale Kommission für Stratigraphie“ diesen Zeitabschnitt in Paläogen und Neogen aufgetrennt. Gleichzeitig sollte der jüngste Zeitabschnitt, das Quartär, Teil des Neogens werden: Seine Dauer sei zu kurz, um eine eigene geochronologische Periode zu rechtfertigen. Doch fünf Jahre später wurde das Quartär als vollwertige Periode im selben hierarchischen Rang wie Paläogen und Neogen rehabilitiert.
Die geologische Zeitskala ist hierarchisch gegliedert. So zerfällt das Quartär in Pleistozän (das Eiszeitalter) und Holozän (die Nacheiszeit). Vom Holozän soll nun ein Anthropozän abgetrennt werden. Die Diskussion, ob diese neue Epoche gerechtfertigt ist, ist noch längst nicht entschieden. Ein Hauptgrund für das Zögern der Internationalen Kommission für Stratigraphie ist wohl die Tatsache, dass unter den Fürsprechern des Anthropozäns keinesfalls Einigkeit herrscht, wo denn nun der „Goldene Nagel“ platziert werden soll. Die Regeln verlangen, dass die Grenze im Gestein fassbar sein muss – und das möglichst weltweit. Damit entfällt die Definition über eine simple Jahreszahl, oder über den Beginn der Industriellen Revolution. Auch der letzte Gletscherhöchststand im Jahr 1850 markiert keine brauchbare Grenze: Dieses Phänomen ist auf die Alpen beschränkt. Das erste menschgemachte Ereignis, das weltweit Spuren hinterlassen hat, war die Zündung der ersten Atombombe. Und doch ist dies nicht der Zeitpunkt, ab dem der Mensch begonnen hat, der Erde seinen Stempel aufzudrücken. Schon der Aufstieg des Ackerbaus vor 8000 bis 10.000 Jahren lässt sich aus der Entwicklung der atmosphärischen CO2-Konzentration ablesen. Ein weiterer Vorschlag bringt erhöhte Bleiwerte in Eisbohrkernen aus Grönland und dem arktischen Kanada ins Spiel – deutliche Anzeichen für einen frühen Bergbau vor 3200 bis 2500 Jahren.
Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen. Wie auch immer die Internationale Kommission für Stratigraphie entscheiden wird: Das Anthropozän wäre nicht mehr als ein weiterer Abschnitt in der geologischen Zeitskala. Der Begriff gründet auf der Tatsache, dass der Mensch wesentlichen Einfluss auf das Ablagerungsgeschehen auf diesem Planeten nimmt, dass sich seine Anwesenheit im Gestein niederschlägt. Er ist beschreibend, aber nicht wertend. Doch damit könnte der eingangs zitierte Vortragstitel genauso „Der Garten im Quartär“, „Der Garten im Holozän“ oder (etwas mehr ins Detail gehend) „Der Garten im Post-Würm-Interglazial“ beziehungsweise „Der Garten im Subatlantikum“ lauten. Der Informationsgehalt wäre derselbe.
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