
Lokalaugenschein in einer Verkehrten Welt
Hamsterkäufe von Schweizer Kunden in Vorarlberg führen zu Handelseinbußen bei unserem Nachbarn. Das lässt Schweizer Verbände langsam, aber bestimmt den moralischen Zeigefinger heben. Die wollen das wilde Treiben ihrer sonst so heimattreuen Konsumenten nicht länger dulden.
Da werden Kindheitserinnerungen wach: Es war ein monatliches Highlight, mit Vater, Mutter, Schwester und Großmutter – je mehr Personen im Auto waren, desto mehr durfte bei der Rückfahrt nach Österreich eingeführt werden – bei Höchst über die Schweizer Grenze und dann links Richtung Rheinpark unterwegs zu sein. Der Rheinpark in St. Margrethen gilt als Wegbereiter für Schweizer Einkaufszentren. Er ist 1974 nach amerikanischem Vorbild auf der „grünen Wiese“ entstanden und wurde 2009 nach intensiven Umbauarbeiten neu eröffnet.
Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dieses Einkaufserlebnis mit Nudeln, Gebäck und Schokolade … Unvergesslich sind die für mich damals als Kind so großartige Wunderwelt Migros, die Zoohandlung, der Lichtbildautomat und die Möglichkeit für Mädchen, früher als bei uns sich im Schmuckgeschäft Ohrringe stechen zu lassen. Im Gedächtnis geblieben sind mir auch die Menschenmassen – davon unzählige Landsleute, die sich durchs Einkaufszentrum schlängelten.
Verkehrte Welt
Der Schauplatz ist der gleiche, nur liegen rund 30 Jahre dazwischen. Es ist Freitagnachmittag, 15 Uhr. Doch heute zeigen nur wenige Menschen Sinn für dieses hochmoderne Einkaufszentrum mit seinen 38 Fachgeschäften auf drei Verkaufsebenen. Liegt es am schönen Wetter, an den Parkgebühren, am Franken? Die ersten Schritte im Rheinpark, und es wird schnell klar: Die, die da sind, schauen eher, als zu kaufen. Und wenn dann doch etwas erworben wird, ist es meist eine „Schweizer Gewohnheit“, so wie beim St. Margrethener Ehepaar, das gerade Unmengen davon im Kofferraum ihres Kleinwagens verstaut: „Kaffee kaufen wir natürlich hier in der Schweiz, da sind wir heikel, aber Produkte wie Fleisch, Milch, Butter oder Eier über der Grenze. Weil Preis und Qualität dort einfach stimmen.“ Bedenken, damit der Schweizer Wirtschaft zu schaden, haben sie keine.
Moralische Mission
Für zehn Milliarden Franken haben Schweizer 2014 im Ausland eingekauft. Nach der Franken-Aufwertung dürften jedoch noch mehr Eidgenossen ihr Geld ins Ausland tragen und mit vollen Einkaufstaschen zurückkehren, schließlich kaufen sie durch die neue Situation im Ausland um 15 Prozent günstiger. Bei unserem Nachbarn stellt sich nun immer häufiger die Frage nach der Moral dieser Schnäppchenjagd.
„Gerade die grenznahen Gebiete in unserem Kanton spüren das deutlich“, meint Felix Keller, Geschäftsführer des Kantonalen Gewerbeverbandes St. Gallen (KGV). Und er macht klar, dass man nicht weiter zuschauen will, wie immer mehr Schweizer Käufer abwandern. Maßnahmen zur Eindämmung dieser Kaufkraftabwanderung werden jedenfalls gerade geprüft. Preissenkungen oder eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten stehen im Raum.
Eine Etage höher treffe ich dann doch noch auf welche, die aus Prinzip nicht in Österreich einkaufen, auch wenn es billiger wäre. Das ältere Ehepaar aus dem Ort legt gerade eine Kaffeepause ein und betont: „Allein schon, wenn man den Benzinverbrauch rechnen würde, rentiert sich das nicht mehr.“ Und mit dem Einkauf über der Grenze gefährde man schließlich Stellen im Inland.
Was auffällt, sind die vielen Rabattierungen, mit denen in fast allen Geschäften gegen die Abwanderung gekämpft wird. In einem Modegeschäft verdeutlicht eine Verkäuferin: „Was sollen wir auch sonst tun. Wir gehen an die Grenzen des betriebswirtschaftlich Vertretbaren.“ Ein Schaufensterplakat im Corporate Design der Europäischen Union macht eben Gesagtes unübersehbar klar: „Wir haben die Preise angepasst. Profitieren Sie vom günstigen Euro-Kurs.“ Hinter vorgehaltener Hand heißt es dann aber doch, dass seit dem Umbau vor einigen Jahren die Frequenz im ganzen Rheinpark spürbar weniger geworden ist. Das bleibt auch an diesem Tag so.
Auf unserer Seite des Rheins
Schauplatzwechsel. Rheincenter Lustenau, 16.30 Uhr. Der Parkplatz quillt über. Fahrzeuge mit Schweizer Kennzeichen reihen sich aneinander. Drinnen im Spar-Laden herrscht Hochbetrieb. Lebensmittelhortung auf eidgenössische Art. Beinahe jeder zweite Kunde kommt bereits aus der Schweiz. „Freitag ist es besonders erfreulich“, lächelt die Kassiererin im Supermarkt. Beinahe verlegen wirkt sie ob der Hamsterkäufe, die täglich über die Grenze geschafft werden.
Ein Kunde aus Widnau mit zwei vollen Einkaufswagen hat wenig Verständnis für die moralischen Aufrufe des Schweizer Gewerbes und Handels. „Die Schweiz ist selbst schuld, lange genug wurde die Hochpreisinsel am Leben gehalten, jetzt bekommt sie dafür die Rechnung präsentiert.“ „Unser schlechtes Gewissen hält sich in Grenzen, sollen sie doch endlich die Preise senken“, stimmt eine dreifache Mutter aus Berneck spontan mit ein und legt ihre drei vollen Einkaufstaschen zwischen die Kindersitze im SUV.
Das Einkaufserlebnis Rheinpark war einmal. Aus einem Kindheitstraum ist längst ernüchternde Realität geworden – und die Erkenntnis, dass nichts so bleibt, wie es einmal war, diesseits und jenseits des Rheins.
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