Herbert Motter

Der Teilkrankenstand: Lichtblick in einer Entweder-oder-Diskussion

März 2015

In Österreich wird seit Jahren kontrovers darüber diskutiert. Lösung war lange Zeit keine in Sicht. Erst der Tod von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und die Erkrankung von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser hat die Debatte um den Teilkrankenstand neu entfacht.

Derzeit lassen die gesetzlichen Rahmenbedingungen wenig Spielraum, um Mitarbeiter nach längerer Krankheit langsam und schrittweise wieder ins Berufsleben zu integrieren. „Hierzulande gibt es nur Licht oder Schatten – gesund oder krank bzw. arbeitsfähig oder nicht arbeitsfähig“, erklärt Christoph Jenny, Stellvertretender Direktor der Wirtschaftskammer Vorarlberg.

Doch nicht jeder Krankenstand ist mit völliger Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen. In manchen Fällen wäre es für den Genesungsprozess sogar förderlich, wenn für den Arbeitnehmer der Kontakt zur Arbeitswelt nicht gänzlich verloren ginge und ein behutsames Wiedereingliedern in den Arbeitsprozess ermöglicht würde. Das Thema Teilkrankenstand ist nun nach dem Tod von Nationalratspräsidentin Prammer und der Krebserkrankung von Ministerin Oberhauser wieder in die öffentliche Debatte zurückgekehrt. Selbst der dafür zuständige Sozialminister Rudolf Hundstorfer kam damit ungewollt in Berührung. Nach einem Skiunfall Ende Jänner 2014, bei dem er sich einen Beckenbruch zugezogen hatte, nahm er eine Art Teilkrankenstand in Anspruch und damit die Amtsgeschäfte erst nach und nach wieder auf.

Flexibles System nützt allen

Andere Länder haben sich den veränderten Rahmenbedingungen längst angepasst und flexible Modelle entwickelt. In Schweden zum Beispiel können Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit maximal ein Jahr lang auf 75, 50 oder sogar 25 Prozent verringern. Sie bekommen dann einen entsprechenden Anteil des Lohns vom Arbeitgeber, den Rest über das Krankengeld vom Sozialversicherungssystem.

Das ist das eine, doch noch wichtiger erscheint Jenny die psychologische Komponente dahinter. Es gehe um die Integration jener, die länger krankheitsbedingt vom Berufsleben ausgeschlossen waren, und damit um die schrittweise Heranführung in ein wohltuendes berufliches und damit soziales Umfeld.

Dem kann die Arbeitsmedizinerin Dr. Christine Klien aus Erfahrung nur zustimmen. „Ein Hochfahren von null auf hundert nach einer längeren, schweren psychischen Krankheit oder aufgrund von unfallbedingten Einschränkungen des Bewegungsapparats ist illusorisch. Es braucht immer eine Zeit der Rekonvaleszenz. Mit einem Teilkrankenstand, wie er auch in der Schweiz oder Liechtenstein gehandhabt wird, wäre das möglich, ohne den Anschluss zu verlieren“, erklärt Klien. Längerfristiges krankheitsbedingtes Fehlen könne zu psychischen Problemen, sozialer Ausgrenzung und frühem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt führen.

Auch Ärztekammer-Präsident Dr. Michael Jonas kann der Idee etwas abgewinnen: „Teilkrankenstand bzw. Teilarbeitsfähigkeit ist medizinisch durchaus vorstellbar und nach meiner Meinung bei entsprechender Rücksichtnahme auf die bestehende gesundheitliche Beeinträchtigung und die erforderliche Behandlung auch für die Dienstnehmer sinnvoll für das Leben und die Genesung. Vorbildliche Beispiele dafür gibt es in jüngster Zeit in der Bundespolitik.“

Behutsames Vorgehen

„Jede Situation muss natürlich individuell betrachtet werden. Immer unter Einbeziehung des Arztes, der sich dann mit der Arbeitssituation des Patienten auseinandersetzen muss“, sieht Klien Vorteile. Idealerweise wird der Fall von einem Team aus Patient, Arzt, Vorgesetztem und Arbeitsmediziner bewertet, wobei letztendlich immer die Freiwilligkeit des Mitarbeiters im Vordergrund stehen müsse. Schließlich spiele Verlässlichkeit, Sicherheit und Vertrauen eine große Rolle. Für Klien dürfe sich ein Teilkrankenstand allerdings nicht nur auf langwierige Wiedereingliederungsfälle beschränken, sondern sollte für alle gelten. „Ein solches – nennen wir es – Schonarbeitsverhältnis bringt viel mehr Klarheit und Flexibilität für alle Beteiligten“, sagt die Arbeitsmedizinerin.

Auch die Betriebe wären gefordert, die Arbeitsbedingungen dem Leistungszustand des Mitarbeiters anzugleichen, während sich die Ärzte ganz konkret mit den Arbeitsbedingungen ihren Patienten beschäftigen müssten. Klien sieht darin auch eine Chance, die Kooperation der niedergelassenen Ärzte mit den Arbeitsmedizinern zu verbessern.

Wesentlich für eine Umsetzung eines solchen Modells ist es, dass die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch Ärzte erfolgt, die über ein ausreichendes arbeitsmedizinisches Fachwissen verfügen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Einschätzung der möglichen Tätigkeiten in der Zusammenschau von Art der Erkrankung und den mit der Arbeitsaufgabe verbundenen Anforderungen vorgenommen wird.

Individuelle Betrachtung

So führt, um ein simples Beispiel zu nennen, ein gebrochener Knöchel bei einem Büroangestellten nicht automatisch zur vollständigen Arbeitsunfähigkeit bis zur völligen Heilung, bei einem Lkw-Fahrer hingegen schon. Keinesfalls ginge es darum, akut Erkrankte – etwa Patienten mit einer Grippe – möglichst rasch wieder an den Arbeitsplatz zu bringen.

„Wir erleben aber immer wieder, dass Mitarbeiter von sich aus trotz Handicap in einem gewissen Maß arbeiten wollen. Daher müssen wir von diesem rechtlichen Graubereich weg hin zu einer vernünftigen gesetzlichen Lösung einer Teilarbeitsfähigkeit kommen“, betont Jenny. Die Arbeitswelt habe sich nun einmal verändert. Die derzeit gültige Regelung werde diesem Umstand aber keineswegs gerecht.

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