
Zwei Stimmzettel – ein Gemeindeoberhaupt
Vor 20 Jahren wurde in Vorarlberg die Bürgermeister-Direktwahl eingeführt.
Das System habe sich laut Politologen durchaus bewährt.
In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde in vielen politischen Systemen Westeuropas über eine Reform der Bürgermeisterwahl diskutiert. Die Reform über die Art der Bürgermeisterwahl führte überall zu einer einzigen und gleichen Lösung: zur Direktwahl durch das Volk. Bislang sah die große Mehrheit der politischen Systeme – nach dem Vorbild der parlamentarischen Systeme – eine indirekte Wahl durch die Mitglieder des Gemeinderates bzw. der Gemeindevertretung vor.
In Österreich wurde 1990 die Bürgermeister-Direktwahl eingeführt, ebenso in Deutschland, Ungarn, der Slowakei und Slowenien. Italien übernahm das System 1993, und Griechenland kennt die Direktwahl bereits seit 1864, ein einzigartiger Fall. Hingegen sind vor allem die skandinavischen Länder der indirekten Wahl bis heute treu geblieben.
Die Gründe für die Einführung der Direktwahl waren in den verschiedenen Ländern ziemlich ähnlich. „In erster Linie sollte die exzessive Macht der Parteien eingeschränkt, aber gleichzeitig deren Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen wieder wettgemacht werden. Darüber hinaus hoffte man die Zunahme der Nichtwähler aufhalten zu können und die Wahlkämpfe aufgrund der direkten Auseinandersetzung zwischen wenigen Kandidaten lebhafter zu gestalten. Dies führte unweigerlich zu einer Personalisierung des politischen Wettbewerbs, der auch durch die neuen Massenmedien hervorgerufen wurde“, hielt Prof. Mario Caciagli von der Universität Florenz in einem Buchbeitrag „Die Bürgermeisterdirektwahl im europäischen Vergleich“ 2013 fest. Sein Fazit: Bürgermeister sind dadurch unabhängiger von ihren Parteien, deren Apparaten und Dogmen geworden.
Nachhaltige Stärkung der Rolle
Direktwahl und Auswahl der Mitglieder im Gemeindevorstand rückten den „neuen“ Bürgermeister ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Bevölkerung. Man rechnete auch damit, die Bürger den Institutionen wieder näher zu bringen. Caciagli: „Sie hatten ihren Bürgermeister gewählt, konnten mit ihm eine direkte Beziehung aufnehmen und ihn ohne Zwischeninstanzen, wie etwa durch die beanstandeten Parteien, beurteilen.“ Zudem wissen die Wähler bereits kurz nach Schließung der Wahllokale, wer künftig der Gemeinde vorsteht und müssen nicht mehr wie früher die langen, komplexen und teilweise im Geheimen geführten Verhandlungen abwarten.
Die direkte Legitimierung durch das Volk haben Figur und Rolle des Gemeindechefs nachhaltig gestärkt, „zumal die Wahl des Gemeinderats klar im Schatten des Bürgermeisters steht. Wohl aber kann der Gemeinderat, insbesondere wenn der Bürgermeister sich auf keine Mandatsmehrheit stützen kann, die Handlungsfähigkeit des Bürgermeisters und seiner Fraktion empfindlich einschränken“, sagt Univ.-Prof. Ferdinand Karlhofer vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck.
Professor Karlhofer erkennt in dem mit der Direktwahl verbundenen „Personalisierungseffekt“ und dem daraus ableitbaren Anspruch, alle Gemeindebürger über die Parteigrenzen hinweg zu vertreten, eine weitere Stärkung des Bürgermeisteramtes. Direkt wählbar zu sein, bedeute auch einen personalisierten Wahlkampf zu führen. Daraus resultiere ein gewisser Geltungsdrang der Kandidaten. An den Wahlergebnissen ließe sich laut Karlhofer ablesen, „dass der Parteienwettbewerb auf Gemeindeebene seit Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters dynamischer geworden ist.“
Die meisten Bundesländer – Ausnahmen sind Wien, Niederösterreich und Steiermark – haben sich im Verlauf der neunziger Jahre für die Direktwahl des Bürgermeisters entschieden.
Tirol (1991, ohne Innsbruck) zählte neben Kärnten (1990) und Burgenland (1992) zu den Vorreitern. In Vorarlberg kam die Bürgermeister-Direktwahl erstmals im Jahr 2000 zur Anwendung und zwar in 66 Vorarlberger Städten und Kommunen. Damals mussten sich die Wähler in Bludenz, Bludesch, Lustenau und Weiler per Stichwahl für den Bürgermeister entscheiden. Nach der Gemeindewahl 2005 standen in Dalaas, Bregenz, Hard, Lustenau und Satteins Stichwahlen an und vor zehn Jahren kam es in Thüringen, Hörbranz und Göfis zu Stichwahlen. 2015 traf es die Gemeinden Hörbranz, Bludenz und Hohenems.
Vorarlberger Gemeinderatswahl 2020
Bei der Vorarlberger Gemeinderatswahl 2020 am 13. September findet in 65 (2015: 60) der 96 Vorarlberger Gemeinden eine Bürgermeisterdirektwahl statt, dabei treten in 40 (2015: 34) dieser Kommunen mehrere Kandidaten an. In 25 Orten (2015: 26) steht nur eine Person zur Wahl. In jenen Orten, in denen keine Bürgermeisterdirektwahl angemeldet wurde, bestimmt die Gemeindevertretung, wer Bürgermeister wird. Das wird heuer in 31 Gemeinden (2015: 36) so gehandhabt. Insgesamt sind 301.572 Personen bei den diesjährigen Wahlen wahlberechtigt.
Ein Novum wird es dieses Jahr auf alle Fälle geben: Bei den Urnengängen werden die Gemeindevertretungen und Gemeindeoberhäupter erstmals mit separaten Zetteln gewählt. Bisher gab es stets nur einen Stimmzettel, was viele ungültige Stimmen zur Folge hatte. Heuer ist also so manches anders. Man wird sehen.
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