Angelika Schwarz

* 1975 in Feldkirch, ist Journalistin, studierte Germanistin und Anglistin, langjährige ORF-Redakteurin und -Moderatorin (Radio und Fernsehen). Angelika Schwarz arbeitet in der Unternehmenskommunikation der Landeskrankenhäuser Vorarlberg.

Etappensieg im Kampf gegen Lungenkrebs

März 2024

Wissenschaftler und Ärzte haben im Kampf gegen Lungenkrebs weitere Fortschritte erzielt, die die Behandlungsstrategie bei nicht kleinzelligen und operablen (ohne Fernmetastasen) Lungenkarzinomen verändert haben: Eine Immuntherapie, die bereits vor der Operation zum Einsatz kommt, hat in einer aktuell noch laufenden internationalen Studie statistisch bemerkenswerte Wirksamkeit gezeigt.
Maßgeblich beteiligt an dieser Studie ist ein interdisziplinäres Studienteam der Vorarlberger Landeskrankenhäuser unter Studienkoordinator Prim. Priv.-Doz. Dr. Thomas Winder, PhD. Der Onkologe ist Leiter der Abteilung „Innere Medizin II“ an den LKH Feldkirch und Rankweil. Aufgrund der richtungsweisenden Bedeutung der Studie sind die ersten Forschungsergebnisse Ende 2023 auch im „New England Journal of Medicine“ publiziert worden. „Die medizinische Fachzeitschrift genießt weltweit höchstes Ansehen“, freuen sich die Co-Autoren aus Vorarlberg.

Immuntherapie entlarvt und verdrängt Krebszellen 
Pro Jahr erhalten zwischen 180 und 200 Menschen in Vorarlberg die Diagnose „Nicht kleinzelliger Lungenkrebs“. Der überwiegende Teil ist zu diesem Zeitpunkt zwischen 60 und 70 Jahre alt. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate ist abhängig vom Stadium der Krebserkrankung. Wird das Lungenkarzinom im frühen Stadium entdeckt, beträgt sie zwischen 50 und 90 Prozent. Generell hält die heutige Schulmedizin im Kampf gegen diese Krebsart mehrere Optionen bereit. Die Vorgehensweise, sofort zu operieren und danach mit einer Chemotherapie ein neuerliches Auftreten bösartiger Krebszellen zu verhindern, galt dabei bislang als Standard. Das hat sich nun geändert: „Wir haben in unserer Studie erfolgreich untersucht, ob es in den operablen Stadien II bis IIIb noch effektiver wäre, wenn wir schon vorab mit modernen Substanzen medikamentös behandeln. Erstens, um den Tumor zu verkleinern und zweitens, um beobachten zu können, wie der Krebs auf bestimmte Behandlungen anspricht“, erklärt Primar Dr. Thomas Winder die Ausgangslage der Studie. 
Die Immuntherapie vor der Operation (neoadjuvante Therapie) wirkt gegen entartete Strukturen in unserem Körper, im konkreten Fall gegen jene des nicht kleinzelligen Lungenkrebses. Sie entlarvt die Tumorzellen, die sich ansonsten recht gut tarnen können und quasi „undercover“ unterwegs sind. Das menschliche Immunsystem greift in der Regel körpereigene Strukturen ja nicht an – außer etwa bei Autoimmunerkrankungen. Die Krebszellen werden durch die Medikation für das Immunsystem sichtbar und können unschädlich gemacht werden.“ Nach der Operation wird noch eine Zeit lang weiter medikamentös behandelt (adjuvante Therapie). „Wir haben also versucht, mit einer modernen Therapie das Immunsystem so zu aktivieren, dass es den Krebs bekämpfen kann. In unserer Studie haben wir gesehen, dass bei manchen Patienten allein schon nach der Immuntherapie die Krebszellen komplett verschwinden! Im danach herausgeschnittenen Präparat, das sich die Pathologen nach dem Eingriff unter dem Mikroskop angesehen haben, waren teils überhaupt keine Krebszellen mehr vorhanden“, betont der Primar: „Daher waren und sind wir überzeugt davon, dass der neoadjuvante Ansatz Sinn macht.“ 

15 Patientinnen und Patienten aus Vorarlberg 
Beteiligt waren Teams aus Krankenhäusern und Studienzentren weltweit. Diese haben jeweils eine unterschiedliche Anzahl an Patienten eingeschlossen. „Wir haben als kleines Land überdurchschnittlich viele Menschen in die Studie einschließen können“, sagt Primar Winder in seiner Funktion als Studienleiter für Vorarlberg. „Wir sind sehr dankbar, dass sich 15 unserer Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkrebs eingebracht haben.“ Weltweit sind im Jahr 2022 insgesamt 802 Menschen im Rahmen der Studie rekrutiert worden. In der sogenannten Doppel-Blindstudie sind die Teilnehmer per Zufallsgenerator entweder mit Placebo oder eben mit moderner Immuntherapie vorbehandelt worden. 
Die Erforschung der neuen Behandlungsmethode zeichnet sich nicht nur durch eine Länder- und Spitäler-übergreifende Kooperation aus, sondern auch durch interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Einrichtungen. Mit dabei sind vor allem die Bereiche Pulmologie, Thoraxchirurgie und Pathologie sowie die Abteilungen für Radiologie, Nuklearmedizin und besonders auch die Spitalsapotheke. „Diese sehr enge Kooperation ist essentiell. Es braucht viele Player, um bei so einer Studie erfolgreich mitmachen zu können. Es ist ein Riesenaufwand, aber er lohnt sich“, bringt es der Studienkoordinator auf den Punkt.

Höhere Überlebenschance ohne Rückfall
Denn schon vor Abschluss der Studie verdeutlichen erste Zahlen, dass die Chance, die Krankheit gesund zu überleben, mit dem neuen Therapieansatz signifikant gestiegen ist: „Nach den ersten zwölf Monaten betrug in der Gruppe mit Vorab-Immuntherapie die Rate der Überlebenden ohne Rezidiv 73,4 Prozent im Vergleich zu 64,5 Prozent in der Placebo-Gruppe. Dazu kommt, dass bei 17,2 Prozent der Teilnehmenden mit moderner Therapie überhaupt keine Tumorzelle mehr nachweisbar war, bei der Gruppe mit herkömmlicher Behandlungsstrategie waren es nur 4,3 Prozent.“ Ein weiteres Zwischenergebnis: Jene Patienten, die doch ein Tumorrezidiv bekommen, bekommen es bei moderner Behandlungstherapie deutlich später. „Wir sehen also, die neue Strategie führt zu einem besseren Outcome. Das bedeutet, dass mehr Menschen ihre Krankheit rezidivfrei und damit gesund überleben“, fasst Primar Thomas Winder zusammen. Bereits diese ersten Ergebnisse haben einen neuen Standard in der Behandlung von operablen nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen hervorgebracht. 
Entscheidend sind nun die kommenden fünf Jahre, in denen die Teilnehmer der Studie regelmäßig zu Kontrollen eingeladen sind. „Es wird Nachfolgestudien geben, die unter anderem das Ziel haben, individuelle Therapien daraus zu entwickeln. Jeder Mensch, jeder Krankheitsverlauf ist einzigartig. Es gilt, in einem gesicherten Setting mit moderner Diagnostik individualisierte Behandlungen zu entwickeln und sie zum Wohl der Patienten zu professionalisieren. Das alles motiviert, bei solchen klinischen Studien auch weiterhin ganz vorne mit dabei zu sein.“

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