Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

Handel im Dorf – geht’s noch?

Oktober 2024

Alexander Mais aus Hörbranz führte erfolgreich ein Fahrradgeschäft im Zentrum von Hörbranz. Bis jetzt. Und das seit 2010. 14 Jahre, in denen er der Bevölkerung im Leiblachtal Zweiräder verkauft, sie repariert hat, in denen er ein wichtiger Teil einer dörflichen Infrastruktur war.

Und jetzt ist alles vorbei. Paradox, will man meinen. Mais hatte in einem Einzugsgebiet von circa 15.000 Menschen rund 3000 Kunden, denen er mit Rat und Tat zur Seite stand. Kunden, die immer wieder kamen. Kunden, denen er auch „schnell einmal was flickte“. Trotzdem sieht er sich nicht mehr im Stande, das Risiko, das er alleine mit seiner Frau trägt, zu stemmen.
Was sind die Gründe für das Sterben eines Geschäftes, das exemplarisch ist für das Verschwinden des (Einzel)Handels in dörflichen Strukturen? „Das, was ich mache, mache ich mit Leidenschaft“, erklärt Mais. Es ist also nicht die fehlende Motivation, die ihn zu diesem schmerzlichen Entschluss zwingt. Die Gründe sind mannigfaltig.

Immense Lagerhaltung 
Als zentrale Ursache nennt er eine Lagerhaltung, die für einen Einzelnen kaum mehr zu stemmen sei. Mais ist ein „kleiner“ Fahrradhändler mit circa 70 m2 Ausstellungsfläche und einer Werkstatt von circa 65 m2 . Sein Geschäft liegt im Zentrum von Hörbranz, er selbst hat die Flächen angemietet. „Um im Folgejahr gewappnet zu sein, muss ich im August die neuen Fahrräder ordern“, erklärt der Händler sein Business. Zahlungsziel seien 60 bis 90 Tage, das heißt, die Bikes müssen vorfinanziert werden. Bis dato habe er immer weit über 100 Räder für das Folgejahr geordert, der Rest sei dann im Jahresverlauf bestellt worden. 
Das habe bisher ganz gut funktioniert, doch in den vergangenen Jahren hat sich vieles verändert. Zum einen ist das Modell Jobrad seit 2020 ein großer Frequenzbringer. Corona hat das Seine dazu beigetragen, einen regelrechten Boom auszulösen. Zum anderen sei das Kundenverhalten deutlich anders geworden. Auf den ersten Blick sind das alles Faktoren, die einem Fahrradhändler eigentlich in die Karten spielen müssten.

Zweischneidig 
„Eigentlich“, gibt Mais zu, relativiert dann aber: „Durch die Jobrad-Initiative werden heute deutlich mehr und höherpreisige Fahrräder, hauptsächlich E-Bikes, gekauft.“ Lagen die Durchschnittsausgaben dafür früher zwischen 3000 und 5000 Euro, so würden die Bikes heute im Rahmen von 6000 bis 8000 Euro liegen. Kunden kommen, so Mais, vielfach nicht mehr, um ein Rad für ihre Ansprüche zu kaufen, sondern um das Budget, das ihnen zur Verfügung steht, voll auszunützen. Und sie wollen das Rad auf der Stelle. Ein mehrwöchiges Warten sei oft keine Option mehr. Wenn also das Bike nicht lagernd sei, dann ginge der Kunde eben zu einem anderen Händler.
Das bedeutet, dass der einzelne Händler dann eben noch mehr Räder auf Lager haben müsse. Und damit würde der Wert des Lagers und damit die Vorfinanzierung exorbitant steigen. „Wenn wir von einer halben Million Euro sprechen, dürfen wir uns nicht erwarten, dass wir eine riesige Auswahl haben.“ Dazu kämen die vielen Spezifikationen, was Antrieb, Material und Bestückung betrifft. Und zu guter Letzt will jeder natürlich die richtige Größe für sich, die bei Männern wie bei Frauen von XS bis XL reiche.

Rabatte als ökonomischer Suizid?
Als weiteren Faktor sieht Mais die Rabattschlachten, die teilweise ausgefochten werden. „Unsere Einkaufsbedingungen hängen natürlich von der Stückzahl ab, die wir bei den einzelnen Herstellern ordern. Je mehr Bikes, desto bessere Konditionen“, erklärt er. Er als kleiner Händler könne natürlich nicht solche Mengen ordern, dass er optimale Konditionen erhält. Daher sei es für ihn unmöglich, mit den Rabatten der Größeren, die teilweise schon an die Selbstkostengrenze gingen, mitzuhalten, ohne sich in die Gefahr des ökonomischen Selbstmordes zu begeben.

Werkstatt als Anker?
Dass Mais seine Fahrräder nicht nur verkauft, sondern sie auch bestmöglich betreut und für seine Kunden immer in Schuss bringt und hält, ist für den Hörbranzer Ehrensache. Er verbringt also viele Stunden in der Werkstatt, um jedes Wehwehchen des Draht-, Alu- oder Karbonesels zu heilen. Er ist so beschäftigt, dass er das nur mehr auf Termin mache. Die Werkstatt also eine Cashcow? „Nicht ganz“, meint er. Handel und Werkstatt zusammen funktionieren. Würde er aber nur mehr als „Schrauber“ arbeiten, müsse er in eine Garage umsiedeln, da ihn sonst die Betriebskosten seines Geschäftslokals auffressen würden. Dazu komme auch der Online-Handel, der gerade in diesem Bereich ein wichtiger Faktor sei. 
Die Menschen kaufen ein Fahrrad eher beim Händler als online, das sei Fakt. Was die Ersatzteile betrifft, sei der Onlinehandel aber sehr wohl maßgeblich. Viele Teile, die er selbst über den Fachhandel beziehe, seien irgendwo online – aus welchen Gründen auch immer – ständig erhältlich und mitunter wesentlich günstiger, als er sie jemals beziehen könne. Und damit wird es für ihn auch in der Werkstatt immer schwieriger, hier mithalten zu können. „Um jeden Preis Fahrräder zu verkaufen und zu reparieren, macht dann irgendwann auch keinen Spaß mehr“, zeigt sich Mais resigniert.

Handel im Dorf – ein Auslaufmodell?
Sein Schicksal sieht der erfahrene Einzelhändler aber nicht als „lonestanding“. Gerade der Handel habe es in Zeiten der Teuerung, der steigenden Zinsen, Mieten und Energiekosten immer schwerer, sich in einer Branche zu behaupten, in der so viele Große mitspielen. „Und mittlerweile, kann der Kunde sein E-Bike auch im OBI und in allen möglichen Kaufhäusern bekommen“, so Mais. Denn offensichtlich wollen alle an diesem Kuchen mitnaschen.
„Fahr nicht fort, kauf vor Ort.“ Dieser Slogan verliere mehr und mehr an Bedeutung, denn alles müsse für jeden sofort verfügbar sein. Das erfordere eben eine hohe Lagerhaltung, was wieder steigende Kosten und damit ein höheres Risiko zur Folge habe. Und dieses Risiko wolle er nicht eingehen, um nach einer schlechten Saison mit nichts dazustehen. Lösung sieht Mais aktuell keine. Vielleicht sei es nötig, dass sich das Konsumverhalten der Bevölkerung zu mehr Nachhaltigkeit ändere. Denn die meisten hätten nur eine Rabattierung ihres Wunschprodukts vor Augen, dächten aber nicht über die Folgekosten nach. Denn für jedes Produkt, das er selbst verkaufe, stehe er auch gerade. Könnte das nicht ein Mehrwert sein, der uns Konsumenten das Gesamtpaket betrachten lassen sollte? Schlussendlich wohnen wir vielfach in ländlichen Strukturen. Und wenn die Infrastruktur stirbt, stirbt das Dorf.

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