Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Warum Vorarlberg pro Jahr 117 Millionen Euro entgehen

März 2025

Mangels eigener Universität und außeruniversitärer Strukturen lukriert Vorarlberg jährlich nur 0,13 Prozent der nationalen Mittel für Forschung und Entwicklung. Für Expertin Gerlinde Pöchhacker-Tröscher (57) ist das „ein Debakel“. Ihr zufolge soll der Bund im Land entsprechende Strukturen aufbauen. Gelingen werde das aber nur, wenn eine gemeinsame Vorarlberger Offensive in Wien einfordert, was dem Land zusteht, sagt Pöchhacker-Tröscher im Interview. Ihr Rat? „Tretet härter auf, seid nicht so bescheiden!“

Frau Pöchhacker-Tröscher, kann man Vorarlberg als Innovationsstandort bezeichnen? 
Absolut! Die Vorarlberger Wirtschaft ist getrieben von Innovation, Produktivität und Export, daher sind die Unternehmen auch so erfolgreich. Verschiedene Umfragen, etwa vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, bringen klar zum Ausdruck, dass Innovation ein Schlüsselfaktor für die Vorarlberger Wettbewerbsfähigkeit ist.

Um im harten Wettbewerb im Vierländereck bestehen zu können, ist Innovation …
Definitiv unerlässlich. Vorarlberg liegt in einer hochinteressanten, attraktiven Wirtschaftsregion. Aber diese Region ist hart umkämpft: Nur die Besten machen das Geschäft. Und da muss man natürlich immer ganz vorne dabei sein, muss stets Neues anbieten, muss also zwingend innovativ sein. Besser sein. Schneller sein. 

Welche Stärken, welche Schwächen hat der Standort Vorarlberg im Hinblick auf seine Innovationskraft?
Zu den Stärken des Innovationsstandortes zählt eindeutig die Unternehmensstruktur. Die Betriebe sind sehr innovationsfreudig, sie liegen mit ihren Patenten europaweit im Spitzenfeld. Auch die Forschung ist ausgebaut worden, an der Fachhochschule, aber auch mit dem AIT, mit der Digital Factory, es hat sich da sehr viel getan. Der große Schwachpunkt sind die sehr, sehr geringen Bundesmittel, die in Vorarlberg ankommen.

Sie sagten bei der Standortkonferenz der WKV in Rankweil, dass Vorarlberg lediglich 0,13 Prozent der nationalen Mittel für F&E lukriert. Das ist in Ihren Augen: Ein Debakel.
Diese 0,13 Prozent entsprechen drei Millionen Euro. Dabei würden Vorarlberg 120 Millionen Euro pro Jahr zustehen, gemäß dem Anteil an der gesamtösterreichischen Bevölkerung. Das ist ein riesiges Manko. 

Was ist der Grund? Wie lässt sich das erklären?
Das ist historisch bedingt. Vorarlberg ist kein Universitätsstandort. Und die Bundes-F&E-Mittel sind vorrangig an universitäre und außeruniversitäre Strukturen gebunden. Deswegen können viel weniger Förderungen eingeworben werden; es fehlt schlicht die Grundlage für die Einwerbung vieler weiterer Bundesmittel, die forschungs- und innovationsrelevant sind. 

Das Land wird also dafür bestraft, dass es keine Universität hat. Das ist ungerecht.
Sehe ich genauso. Es ist nicht einzusehen, warum ein Bundesland so wenige Bundesmittel bekommt. 

Sie raten dringlich zu einer Vorarlberger Offensive in diesem Bereich.
Es braucht einen gemeinsamen Auftritt aller Vorarlberger Akteure aus Politik, Wirtschaft, Sozialpartnerschaft und Fachhochschule. Im Rahmen dieser Offensive ist ein detaillierter Plan auszuarbeiten. In diesem Plan ist genau zu definieren, welche Universitäts-Institute, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Transferstrukturen das Bundesland Vorarlberg braucht. Der Bund muss diese Forschungsstrukturen in Vorarlberg aufbauen. Das kostet unterm Strich im Idealfall diese 120 Millionen Euro. Das muss man einfordern. 

Sie sagten in Rankweil, Vorarlberg müsse „selbstbewusster, lästiger in Richtung Wien“ sein.
Fordernder und beharrlicher, ja! Ich kenne das Land schon lange, habe hier viel zu tun, deswegen kann ich wirklich sagen: Vorarlberger sind sehr tüchtige, anständige, gerade Menschen, die in Wien nicht um Geld betteln wollen. Das aber ist kein Betteln: Das ist ein Einfordern von Mitteln, die Vorarlberg zustehen würden. Da müsst ihr härter auftreten! Ihr dürft nicht so bescheiden und verbindlich sein. Das sind andere Bundesländer ja auch nicht. Die holen sich, was ihnen zusteht. Warum macht ihr das nicht? Vorarlberg muss die Mittel einwerben, die der Innovationsstandort für die Zukunft ganz dringend braucht.

Forschung und Entwicklung liegen in Vorarlberg in den Händen der Unternehmen.
Von den 400 Millionen Euro, die in Vorarlberg jährlich für F&E ausgegeben werden, werden mangels vorhandener öffentlicher Strukturen 350 Millionen von den Unternehmen getragen. Die Vorarlberger Unternehmen sind zwar äußerst innovationsgetrieben und darin auch sehr erfolgreich. Aber bei besseren Strukturen und mit mehr Bundesmitteln könnten sie eben noch besser forschen und entwickeln. Und damit noch erfolgreicher sein. Ein Unternehmen betreibt F&E ja nicht aus Lust und Laune, sondern deswegen, weil es ständig neue Produkte, neue Verfahren, neue Prozesse, neue Dienstleistungen entwickeln muss. Forschung heißt, über den internationalen Stand der Technik zu gehen, also ins Neuland und dort für die Kunden Neues zu entwickeln, mit dem man am Markt Pionier ist. 

Könnten denn Vorarlbergs Unternehmen selbst auch mehr Bundesförderungen lukrieren?
Ja. Vorarlberger Unternehmen nützen nur in sehr geringem Umfang Programme der FFG und der AWS*. Auch da gilt: Seid nicht so bescheiden. Holt, was Euch zusteht!

Vielen Dank für das Gespräch!

* gemeint sind Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und Austria Wirtschaftsservice (AWS).

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