Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Wir spüren, ob uns jemand wohlgesonnen ist“

März 2025

Wie man am Lächeln erkennt, ob jemand einem etwas vormachen will, welcher Mensch in einem Raum die meisten Blicke auf sich vereint – und was die Gehgeschwindigkeit eines Menschen über dessen sozialen Stand aussagt, das erklärt der Wiener Verhaltensbiologe Gregor Fauma (52) im Interview. Ein Satz des Wissenschaftlers, Buchautors und Keynote-Speakers vorweg: „Gerade in Business Meetings, in denen Emotionen hochgehen, kommt die ehrlichste Botschaft vom Rumpf.“

Herr Fauma, Sie sagen von sich selbst: Als Verhaltensbiologe betrachte ich ein Unternehmen als Freigehege und ein Büro als Dschungel. Müssen wir denn weit in der Evolutionsgeschichte zurückblicken, um unsere Verhaltensweisen ergründen zu können? 
Da die Evolution der Menschheit lange vor der Menschheit begonnen hat, blicke ich als Evolutionsbiologe sehr weit zurück. Vor etwa vierhundertfünfzig Millionen Jahren sind die Wirbeltiere entstanden. Und das ist insofern von Bedeutung, als wir Wirbeltiere sehr, sehr viele Verhaltensmuster gemeinsam haben. Wenn Elefanten mit ihrem Rüssel zum Abschied nochmals einen sterbenden Mitelefanten berühren, dann verstehen wir das. Körpersprache funktioniert auf einer unbewussten Ebene. Denken Sie nur daran, wie eine Mutter und ein Baby bereits ohne Worte, ohne Sprache kommunizieren. Das ist evolutionär bedingt. Wenn sich vor mir jemand bedrohlich aufbaut, er also seine Körpergröße überbetont oder die Augenbrauen nach unten zieht, muss ich nicht erst darüber nachdenken, was das heißt. Man weiß auch, woran man ist, wenn man seinem Chef einen Vorschlag macht und der dann den Blickkontakt abbricht. Wir spüren, ob uns jemand wohlgesonnen ist, oder nicht. 

Können Sie als Verhaltensbiologe andere Menschen gut einschätzen?
Ich erkenne ganz gut, in welchem emotionalen Status jemand gerade ist. Ich erkenne als Redner, ob mir mein Publikum wohlgesonnen ist oder skeptisch gegenübersteht. Ich kann unterscheiden, ob mir jemand etwas vormacht oder nicht. 

Woran erkennen Sie das? Dass Ihnen jemand etwas vormachen will?
Unter anderem am Lächeln. Wir können das echte Lächeln vom unechten unterscheiden. Wenn hinter einem Lächeln die wirkliche Emotion der Freude steckt, dann sieht man an den Augen die Krähenfüßchen, diese kleinen Falten. Weil der Musculus orbicularis oculi kontrahiert. Auch werden beim echten Lächeln die Mundwinkel nach oben gezogen. 

Und beim unechten Lächeln?
Das kommt meistens ohne diese Fältchen um die Augenwinkel herum aus. Das ist ein reines Lächeln aus dem Mund, wobei dort die Mundwinkel mehr zur Seite denn nach oben gezogen werden. Dieses unechte, aber durchaus höfliche Lächeln sieht man beispielsweise bei Stars, wenn sie für Sponsor-Veranstaltungen bereitstehen oder für Selfies posieren müssen. 

Sie nennen das Gesicht ja den Bildschirm unserer Emotionen. 
Stimmt. Aber gerade in Business Meetings, in denen Emotionen hochgehen, kommt die ehrlichste Botschaft vom Rumpf. Unbewusste Rumpfbewegungen, die Ausrichtung der Oberkörper, das sind eindeutige Signale. Wir drehen uns unwillkürlich dem zu, den wir mögen, oder dessen Meinung wir teilen. Und wir drehen uns von denen weg, die wir nicht mögen. Und warum? Weil die Wirbelsäule evolutionär gesehen viel älter ist als unsere Gliedmaßen. Bereits bei den Urfischen wurden Bewegungsmuster festgelegt, die wir heute noch zeigen. Was sich über eine halbe Milliarde Jahre hinweg an die verschiedenen Selektionsmuster der Evolution angepasst hat, funktioniert. Diese Bewegungen lassen sich nur schwer kontrollieren, es sei denn, man wäre voll darauf konzentriert. 

Woran lässt sich der Status eines Menschen im Sozialgefüge erkennen?
An den Blicken der anderen. Meistens sind die Wichtigen in Meetings diejenigen, die von allen angeschaut werden. Das gilt nicht nur für die Berufswelt, das ist bereits in Kindergärten nachweisbar. Buben bauen dort relativ schnell vertikale Hierarchien auf, wobei alle um ihren Platz in dieser Hierarchie wissen. Der Chef der Gruppe ist der, den alle anschauen. Beginnt der mit Faxen, machen alle anderen auch Faxen. Steht der vom Tisch auf, stehen auch alle anderen auf. Man orientiert sich an ihm, passt sein Verhalten an ihn an, imitiert ihn. Ein Firmenessen ist ein gutes Beispiel, um das zu illustrieren: Was bestellt der Chef? Aha, der nimmt nur zwei Gänge, also werde ich auch nur zwei Gänge nehmen. Aha, der zieht das Sakko aus, dann kann ich das auch machen. Und nimmt man Platz, sitzt der Wichtigste stets auf der Schmalseite des Konferenztisches, sodass er von allen angesehen werden kann. Denken Sie an Mafia-Filme! Wo sitzt der Pate? In unserer Sprache heißt es ja so schön: Jemand genießt ein sehr hohes Ansehen. 

Apropos Ansehen. Der erste Eindruck zählt, sagt der Volksmund …
In uns entsteht in Sekundenbruchteilen ein erster Eindruck über den anderen Menschen, ohne rationale Erwägungen, ohne bewusste logische Schlussfolgerungen. Das stammt noch aus einer Zeit heraus, in der Mitmenschen noch eine Gefahr dargestellt haben. Ist das ein Freund? Oder ein Feind? Der erste Eindruck war früher immens wichtig. Aber es gibt eben auch den zweiten Eindruck. Der Mensch hat die Gabe, darüber nachzudenken, ob er sich im Mitmenschen nicht getäuscht hat. Man kann dann mitunter entdecken, dass der andere doch nicht so ein Ungustl ist, wie man zuerst geglaubt hat (lacht).

Ein weiterer, zumindest für einen Laien sehr erstaunlicher Satz in Ihrem Buch „Unter Affen“ lautet: ‚Freunde sind einander genetisch ähnlicher als zufällig ausgewählte Menschen.‘ 
Ja. Das ist so. Freunde sind in etwa Viertel-Cousins. Sie haben gemeinsame Urur-Großeltern, so in etwa ist die genetische Distanz unter Freunden. Freunde sind sich zwar nur ein Prozent genetisch näher als bei zufällig ausgewählten Fremden, aber ein Prozent ist in der Evolutionsbiologie schon wieder recht viel. Das ist kein Zufall mehr. Freunde zeigen maßgebende Übereinstimmungen bei genetischen Markern. Wobei die für das Riechen zuständigen Genvariationen einander unter Freunden am ähnlichsten sind.

Wenn man also sagt, dass man jemanden nicht riechen kann, ist das mehr als nur eine Redensart? Das ist evolutionär bedingt?
Ganz massiv sogar. Wir können unsere Mitmenschen tatsächlich erschnuppern. Wenn sie nicht kompatibel sind, empfinden wir Abneigung. Wir haben an meinem Institut Versuche gemacht, bei denen wir Menschen einen Monat lang T-Shirts tragen ließen, die mit unparfümierter Seife gewaschen waren. Ergebnis: Die Menschen erschnupperten aus zehn T-Shirts das ihres Partners heraus. Ohne das erklären zu können. Hormone spielen da die entscheidende Rolle.

Ihnen zufolge verrät die Ganggeschwindigkeit eines Menschen dessen Status.
Ja. Wobei das eine männliche Angelegenheit ist. Bei Frauen kann man das nicht feststellen. Die Gehgeschwindigkeit eines Mannes ist aber tatsächlich ein Hinweis auf seinen sozio-ökonomischen Status. Je schneller ein Mann geht, desto höher ist sein Stand. Warum? Weil dieses Sich-Darstellen in der körperlichen Fitness im ewigen Wettbewerb um die Ressourcen des anderen Geschlechtes evolutionär von immenser Bedeutung ist. Die ganz oben an der Spitze, die gehen dann übrigens wieder so langsam wie die mit dem niedrigsten Status. Sie müssen ihren Stand niemandem mehr nonverbal beweisen. Nur die Wichtigtuer zwei Etagen drunter rennen durch das Gebäude.

Reden wir auch über schlechtgelaunte Menschen?
Super Thema! Das ist faszinierend. Weil die Zusammenfassung lautet: Liebe Leute, pflegt Eure übellaunigen Kollegen und Kolleginnen. Das sind die besseren Mitarbeiter. Eine Serie von Untersuchungen hat gezeigt: Menschen, die man grundsätzlich in schlechte Laune versetzt, können sich etwa bei Zeugenbefragungen an viel mehr erinnern als Gutgelaunte. Und es stimmt auch noch viel mehr von dem, woran sie sich erinnern können. Ich sage in meinen Vorträgen stets: Schlechte Laune ist das Um und Auf im Controlling. Wer übel gelaunt ist, macht weniger Fehler, ist konzentrierter bei der Arbeit, kritischer in der Bewertung und konsistenter im Denken als jene, die gut gelaunt sind. 

Warum ist das so? Was sagt der Evolutionsbiologe?
Große Frage. Kann ich nicht sagen. Man kann nur sagen, dass die Bereitschaft, über Fehler hinwegzusehen mit guter Laune steigt. Wenn man vor Menschen spricht, ist es deswegen ganz entscheidend, das Publikum gleich zu Beginn in gute Laune zu versetzen. Passieren einem in der Rede Fehler, dann ist das relativ egal. Harry Rowohlt hat das bei seinen Lesungen übrigens die Anschleimphase genannt (lacht). Er hat das Publikum stets erst zum Lachen gebracht und dann erst mit seiner eigentlichen Rede begonnen. Wenn ich das Publikum dagegen in üble Laune versetze, indem ich sie spüren lasse, dass ich der Superstar bin und das mit meiner Rhetorik und meiner Körpersprache noch unterstreiche, dann warten die Zuhörer nur umso kritischer darauf, dass ich einen Fehler mache. Ein geschickter Redner dagegen manipuliert die Kritikfähigkeit seiner Umgebung …

Sie referieren demnächst in Götzis, widmen sich dort dem Weg des Homo sapiens vom Steinkeil zur Künstlichen Intelligenz …
Wollen Sie etwas Kritisches hören?

Gerne!
Im Laufe der Evolution haben bestimmte Lebewesen das verloren, was sie einst ausgezeichnet hat: ihren USP. Weil sie ihn nicht mehr verwendet haben. Wie manche Eidechsen ihre Gliedmaßen zurückentwickelt haben und zu Blindschleichen wurden. Wie manche Kleinstkrebse ihre Augen und dann das Gehirn zurückentwickelt haben, weil sie in Regionen abgewandert sind, in denen es kein Licht mehr gab. Der USP des Menschen ist die Plastizität seines Denkens. Und wenn wir das aus purer Denkfaulheit immer noch stärker an Maschinen delegieren, dann wird eines irgendwann unnötig sein: Der Apparat zwischen den Ohrwascheln. Und was unnötig ist, wird in der Biologie der Evolution ziemlich schnell eingespart.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Gregor Fauma , * 1972 in Wien, hat in Wien und Rom Verhaltensforschung und Evolutionsbiologie studiert, mit Schwerpunkten Neurophysiologie und Künstliche Intelligenz. Gregor Fauma hat eine PR- und Trainingsagentur als Partner mitaufgebaut und arbeitet seither als freier Präsentations-, Medien- und Redetrainer sowie als Keynote Speaker Er wurde vom Branchenmagazin TRAiNiNG 2018 zum Trainer des Jahres gekürt, und 2022 zum Redner des Jahres. Er gewann internationale Speakerbewerbe und zählt zu den gefragtesten Rednern des Landes.
www.gregorfauma.com

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