Wolfgang Weber

Er etablierte 2003 die Grundlagenlehr­veranstaltung „Politische Bildung“ für Lehramtsstudierende in Geschichte und Sozialkunde an der Universität Innsbruck. Neben der Lehre ist seine Fachexpertise als demokratiepolitischer Bildner auch in Vermittlung und Forschung gefragt, etwa bei Ausstellungsprojekten mit Klassen der Mittelschule Lauterach (2006) und des Bundesgymnasiums Lustenau (2008) und gegenwärtig als Fachexperte im EU-finanzierten Forschungs- und Vermittlungsprojekt „World Class Teacher“ mit Standorten in England, Österreich, Polen und der Slowakei.

Kommunalwahlen in Vorarlberg

März 2025

Nicht nur ein Blick zurück, auch ein Blick nach vorne.

Rechtzeitig zu den Vorarlberger Gemeindewahlen am 16. März legen sechs Autoren und eine Autorin im Studienverlag Innsbruck eine Analyse der Wahlgänge zu den Vorarlberger Gemeindewahlen des 20./21. Jahrhunderts vor. Die drei Herausgeber verweisen hier auf einige Aspekte ihres Sammelbandes.

Sinkende Wahlbeteiligung und Reformvorschläge von Günther Pallaver

Ein immer wieder diskutiertes Problem ist die Abnahme der Wahlbeteiligung. Seit Jahren geht diese bei Gemeindewahlen in Vorarlberg zurück. Von der ersten Wahl nach dem Kriege im Jahre 1950 bis zum Jahr 2000 lag sie bei rund 90 Prozent, mit dem Wegfall der Wahlpflicht 2004 sank sie bis 2020 auf knapp unter 60 Prozent. Als Gründe werden immer wieder angegeben: der gesellschaftliche Modernisierungsprozess verbunden mit Wertewandel und zunehmenden Individualisierungsprozessen; Erosion der Parteibindungen; Verlust an Vertrauen in die politische Klasse; Abnahme des Pflichtgefühls zur Wahlbeteiligung u.a.m. Dazu kommt der Bedeutungsverlust der Gemeinden im politischen Mehrebenensystem. Auch werden Wahlen auf kommunaler Ebene als weniger bedeutend angesehen als etwa Landtags- oder Nationalratswahlen. Ein weiterer Faktor für die rückläufige Wahlbeteiligung ist der schwächere politische Wettbewerb durch den Rückgang des politischen Angebots, insbesondere in den kleinen Gemeinden.
Manche resignierte Bürger und Bürgerinnen wird man durch Reformen des Wahlrechts oder Wahlsystems nicht zurückholen. Daher sollte neben solchen Reformvorschlägen immer ein Ausbau der Chancengerechtigkeit im Blick bleiben. Ein gut funktionierender Wohlfahrtsstaat ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt systemrelevant, weil die rückläufige Wahlbeteiligung vor allem benachteiligte gesellschaftliche Gruppen betrifft.

Was tun?
Will man institutionelle Reformen, so kann man an mehreren Schrauben drehen. Diese sind im Einzelnen:
Panaschieren und Kumulieren: Im Zuge der Personalisierung der Politik wollen Wähler Einfluss auf die Auswahl von Kandidaten nehmen. Während das Kumulieren von Vorzugsstimmen möglich ist, ist Panaschieren nicht zulässig. Darunter versteht man die Auswahl von Kandidaten aus verschiedenen Listen. 
Geschlechterquoten und alternierende Vorzugsstimmen: Die politischen Institutionen auf Gemeindeebene sind stark männerdominiert. Dagegen könnten unterschiedliche Quotenregelungen eingesetzt werden. Beim Modell der „doppelten Geschlechterpräferenz“ bei der Stimmgebung können die Wähler zwei Vorzugsstimmen abgeben, allerdings unter der Voraussetzung, dass immer Kandidaten beider Geschlechter angegeben werden. 
Offizielle Informationen: Eine transparente, gebündelte und möglichst vollständige Information zur Wahl, zu den einzelnen Listen und Kandidaten, zu ihren Programmen würde den Wählern die Teilnahme an der Wahl erleichtern. 
Verlängerte Wahlzeiten: Die Wahllokale in den Gemeinden Vorarlbergs sind für sehr kurze Zeit geöffnet. Die Verlängerung der Öffnungszeiten könnte ein Beitrag zur Erhöhung der Wahlbeteiligung leisten, wie eventuell die Ausdehnung der Wahltage und der Wahlorte. 
Online-voting ist die elektronische Stimmabgabe auf Distanz. Auch dies ist eine Möglichkeit, die Wahlbeteiligung zu steigern. 
Integration durch Partizipation: Politische Partizipation fördert die Integration und die Chancengleichheit und ist in erster Linie mit dem Wahlrecht verbunden, das wiederum von der Staatsbürgerschaft abhängt, sodass in dieser Hinsicht Reformen angesagt sind. 
Ausländerbeiräte: Es handelt sich um Vertretungskörperschaften, die ausschließlich von Personen ohne (Unions-)Staatsbürgerschaft gewählt werden. Diese würden die schrittweise Einbürgerung und Integration von Nicht-EU-Bürgern fördern.
Der Ausbau der deliberativen Demokratie und der Bürgerräte kann helfen, die gesellschaftliche Distanz zur Politik zu verringern.

Wenn Mehrheiten zu Minderheiten werden von Wolfgang Weber

Zu den liebgewonnenen Stereotypen einer Vorarlberger Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts zählt die Feststellung, dass es in Vorarlberg bis in die 1950er Jahre dauerte, ehe Frauen durch Abgeordnete an parlamentarischer Macht partizipieren konnten. Aufgrund der jahrzehntelangen Dominanz erst der Christlichsozialen, dann der Österreichischen Volkspartei hätten es Frauen in Vorarlberg besonders schwer gehabt, in die Politik einzusteigen, da die genannten Parteien ein rückwärtsgewandtes Bild von Gesellschaft hatten, in dem Frauen keine öffentlichen Rollen zugedacht waren. Daher wäre es auch nur schlüssig gewesen, dass die erste Frau, welche in einem Kommunalparlament saß, mit Elfriede Blaickner eine Vertreterin der ÖVP war. Sie rückte 1954 als Ersatzmitglied in die Feldkircher Gemeindevertretung nach und wird von der Vorarlberger Historiographie unterschiedlichster politischer Couleur als erste Frau in einem Kommunal- und neben Anna Mayr von der SPÖ als erste Frau im Landesparlament bezeichnet. 
Tatsächlich waren Frauen in Vorarlberg von jenem Tag an in kommunalen Parlamenten präsent, als es rechtlich möglich wurde. Mit dem Untergang der Habsburgermonarchie im Herbst 1918 endete auch das Kurien- und Zensuswahlrecht und das seit 1907 für Männer geltende allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht wurde für Frauen geöffnet. Die erste Wahl, an der Frauen in Österreich gleichberechtigt zu Männern teilnehmen konnten, war die Nationalratswahl am 16. Februar 1919. Vier von fünf Frauen nutzten diese für sie erstmalige Möglichkeit politischer Partizipation, obwohl es kaum Kandidatinnen auf wählbaren Listenplätzen gab.
In Vorarlberg kandidierte auf den Parteilisten keine einzige Frau. Das hielt eine Lustenauer Erstwählerin jedoch nicht davon ab, am 16. Februar 1919 trotz einer Grippeerkrankung zur Wahl zu gehen. Dies war damals verboten, weil eine Influenzapandemie herrschte, welche die Coronapandemie der 2020er Jahr um ein Vielfaches an Leid und Tod übertraf. Daher wurde die Lustenauerin von ihrer Partei, der Sozialdemokratie, dafür bestraft, dass sie ihr Wahlrecht wahrnahm. Sie musste eine Pönale in den Pressefonds der Partei einzahlen.

Die erste demokratische Gemeindevertretungswahl im Mai 1919
Bei der Wahl zum Vorarlberger Landtag wenige Wochen später, am 27. April 1919, war die Absenz von Frauen quantitativ wie auch qualitativ im Hinblick auf die Listenreihung kaum besser: Lediglich fünf Frauen fanden sich auf den Wahllisten. Keine wurde gewählt.
Bei der Gemeindewahl in Bregenz am 18. Mai 1919 hingegen gelang mit Josefine Wolf, die auf Platz 11 der Liste der Großdeutschen Volkspartei rangierte, einer Frau die Wahl in ein Vorarlberger Kommunalparlament. Diesen Erfolg wiederholte sie 1924 und 1929.
Wolf war mit ihren drei kommunalpolitischen Kandidaturen erfolgreicher als die ebenfalls am 18. Mai 1919 in die Dornbirner Gemeindevertretung gewählte Sozialdemokratin Fani Metzler, die es in der Ersten Republik auf keine weiteren Kandidaturen oder Wahlen mehr brachte. Es dauerte bis 1929, ehe nach Fani Metzler mit der Hausfrau Maria Hofmann bei der am 3. Februar des selben Jahres stattgefundenen dritten demokratischen Gemeindewahl der Vorarlberger Geschichte eine Sozialdemokratin in das Feldkircher Kommunalparlament gewählt wurde. Die Vorarlberger Landes- und die sozialdemokratische Parteigeschichte schweigen über Maria Hofmann, die neben Wolf und Metzler erst dritte Frau, die in ein demokratisches Vorarlberger Kommunalparlament gewählt wurde. Frauen hatten in der Historiographie der Vorarlberger Wahlgeschichte keinen Platz.

Auffällige Veränderungen im politischen Angebot von Marcelo Jenny

Das politische Angebot hat sich in Vorarlbergs Gemeindewahlen in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Ein Blick auf die Entwicklungen von den Gemeindewahlen 1985 bis 2020 zeigt einen mehrfachen Wandel im politischen Angebot. Bei der Anzahl der Listen wurde ein rückläufiger Trend bei den bis dato letzten Gemeindewahlen vorläufig gestoppt, doch der Anteil kleiner Gemeinden ohne konkurrierende Listen nahm weiter zu. Während pure Parteilisten zurückgingen, nahmen geöffnete Parteilisten, Listen ohne klar erkennbare Parteizuordnung und personalisierte Listennamen zu. 

Weniger Wettbewerb
Auffällig ist ein Rückgang der Gemeinden mit Wettbewerb zwischen mehreren lokalen Listen. Besonders in kleineren Gemeinden des Landes gibt es oft nur eine Liste oder wird listenlos per Mehrheitswahl gewählt. Im Bundesländervergleich steht Vorarlberg auch für geringe Konkurrenz bei Bürgermeisterwahlen. Nirgendwo sonst gibt es so viele Gemeinden, in denen ein Bürgermeisteramt ohne Gegenkandidatur bei der Wahl besetzt wird. In kleinen Gemeinden ist es oft schon schwierig, eine Person für das Amt zu finden. In den größeren Gemeinden und Städten ist die politische Landschaft hingegen breiter gefächert mit mehreren Listen und Bürgermeisterkandidaturen.
1985 gab es in 64 Prozent der 96 Gemeinden zwei oder mehr Listen, 2020 in 56 Prozent der Gemeinden. Die Gesamtzahl an lokalen Listen war mit 224 im Jahr 1985 und 220 im Jahr 2020 nahezu gleich. Die jüngsten Gemeindewahlen erfolgten allerdings unter besonderen Umständen. Die durch die Covid19-Pandemie erzwungene Verschiebung der Wahl führte noch zu Einreichungen von Kandidatenlisten und brach den rückläufigen Trend, der 2015 mit 193 Listen in 96 Gemeinden einen Tiefstand erreicht hatte.
Im längerfristigen Vergleich klar zu erkennen ist ein Rückgang der sichtbaren Parteilisten.

Weniger Parteilisten
In den 1980er Jahren waren ÖVP und SPÖ in mehr als der Hälfte der Gemeinden mit erkennbaren Parteilisten auf den Stimmzetteln präsent. Bis 2020 sank der Anteil der Gemeinden mit klar bezeichneten ÖVP-Listen auf 32 Prozent, bei der SPÖ sogar auf nur 19 Prozent der Gemeinden. Die FPÖ erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 2000 mit Parteilisten in der Hälfte der Gemeinden. Die Grünen zogen nach Jahren des langsamen Ausbaus ihrer lokalen Gruppen 2020 mit Listen in 28 Prozent der Gemeinden knapp an der FPÖ vorbei. Die Neos traten bei ihren erst zweiten Vorarlberger Gemeindewahlen 2020 in zwölf Prozent der Gemeinden an.
Die Öffnung von Parteilisten für Kandidierende, die nicht Parteimitglieder sind, nahm zu. Listen mit Begriffen wie „und Freie“ oder „und Unabhängige“ sind mittlerweile so häufig wie „pure“ Parteilisten. Daneben zeigt sich auch eine zunehmende Personalisierung der Listen mit den Namen ihrer Spitzenkandidaten. Dieser Trend begann in den 1990er Jahren und hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Bei den Gemeindewahlen 2020 enthielten fast 18 Prozent der Listen den Namen des Spitzenkandidaten, selten der Spitzenkandidatin, häufig keinen Parteinamen. Ein Beispiel lieferte die SPÖ in der Landeshauptstadt Bregenz, die sich von der Liste „Bregenzer Sozialdemokraten (SPÖ)“ (1985) zur Liste „Michael Ritsch – Team Bregenz“ (2020) wandelte.

Mehr Wandel
Vorarlbergs Gemeindewahlen sind Gradmesser für gesellschaftlichen und politischen Wandel. Weniger reine Parteilisten, mehr Listen ohne erkennbare Parteizuordnung, die Öffnung für parteiferne Kandidierende sowie deklariert parteiferne Listen und mehr Listen mit Personennamen zeigen, wie sich das Angebot in Lokalwahlen und damit die Wahlkämpfe verändern. In kleinen Gemeinden zeigt sich auch die Herausforderung, mehr politisches Engagement für die Lokalpolitik zu fördern.

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