J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Gegner von alters her

Februar 2019

Nun ist er zurück in den Alpen, der Wolf, und mit ihm wurden die alten Märchen und Sagen wieder aus dem verstaubten Bücherstapel hervorgezogen. „Damit ich Dich besser fressen kann!“, antwortet der „böse Wolf“ dem naiven Rotkäppchen, und schreitet umgehend von der Drohung zur Tat. Haben die Brüder Grimm auch ihrer Version des Märchens ein Happy End (entlehnt der Geschichte „Der Wolf und die sieben Geißlein“) verpasst: Generationen von Kindern ging das Schicksal Rotkäppchens und seiner Großmutter an die Nieren. Es hat das Bildnis des Wolfs als Menschenfresser nachhaltig geprägt und zementiert.

Natürlich hatten die Brüder Grimm in ihren Märchen auf ältere Quellen zurückgegriffen, und auch diese waren von jahrhundertealten Klischees geprägt. Bereits in der Einleitung fasst „Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste“ aus dem Jahr 1748 die Vorurteile zusammen und charakterisiert den Wolf als „bekanntes reissendes, arglistiges und gefährliches Thier“. „Der weise Schöpfer“ habe ihn „dem menschlichen Geschlechte, auch so wohl zahmen, als wilden Thieren zu sonderbarer Strafe erschaffen“, auf dass er „auch am Tage die Schaafe, das Rind=Vieh, die Pferde, auch wohl das Wildpret in Wäldern, ja offt gar in Dörfern, Gärten und Strassen die Menschen angreiffet, zerreisset und frisset“. Und was im „Zedler“ (einem der Ur-Vorbilder von Wikipedia & Co.) stand, musste ja wohl stimmen!
Lassen wir die religiös-moralisierenden Anwandlungen sowie die reißerische Aufmachung beiseite, so bleibt das Konkurrenzverhältnis, in dem Mensch und Wolf seit alters her stehen. In der Frühzeit des Menschen machte ihm der Wolf seine Jagdbeute streitig, und als der Mensch sich zum Viehzüchter wandelte, entdeckte auch der Wolf diese neue, mit weniger Jagdaufwand verbundene Nahrungsquelle für sich. Es mutet merkwürdig an, dass nun ausgerechnet der domestizierte Wolf zum Wächter bestellt wurde, um die Herden vor seinesgleichen zu schützen. Denn der Mensch hatte gelernt, sich den einstigen Gegner zum Verbündeten zu gewinnen. 
Wie genau der Prozess ablief, in dem der Wolf zum Hund wurde, lässt sich kaum mehr rekonstruieren. Fest steht lediglich, dass die Domestizierung mehrfach zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten stattfand. Und dass der Wolf als der alleinige Vorfahr unseres Haushundes angesehen werden muss. Die Biologie betrachtet beide als unterschiedliche Erscheinungsformen ein und derselben Tierart: Auch nach Jahrtausenden der Domestizierung können Hund und Wolf fruchtbare Nachkommen zeugen.

Trotz dieser Annäherungen blieb die alte Feindschaft bestehen. Wir wollen nichts beschönigen: Es gab und gibt aggressives Verhalten von Wölfen gegenüber dem Menschen. Doch in den USA sind aktuell nur zwei Wolfsangriffe dokumentiert, die mit dem Tod eines Menschen endeten. Historische Schilderungen hingegen sind mit Vorsicht zu interpretieren. In manchen Fällen mögen es verwilderte Hunde gewesen sein, die Menschen angefallen haben, oder Mischlinge zwischen Hund und Wolf. Tollwut war in anderen Fällen der Auslöser für die Attacken. Und manchmal gewöhnen sich die Tiere an die Anwesenheit des Menschen, verlieren ihre natürliche Scheu und plündern dann gar Abfallhaufen als zusätzliche Nahrungsquelle. Gerade solch habituierte, nahrungskonditionierte Tiere werden als weitaus gefährlicher eingeschätzt als jeder wilde Wolf. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, von einem Wolf angegriffen zu werden, verschwindend gering. Selbst die Gefahr, vom Blitz erschlagen zu werden, ist höher!
In Vorarlberg ist kein einziger Angriff eines Wolfs auf Menschen bekannt, wohl aber auf das Vieh. Gerichtsprotokolle liefern dafür die ältesten Hinweise. Der Hohenemser Ethnologe Burghart Häfele hat für seine Dissertation (in Arbeit) die historischen Quellen und deren Bearbeitung durch den Historiker Ludwig Welti gesichtet – und fand Kurioses: So verklagte im November 1663 ein Bauer aus Lauterach den Gemeindehirten. Dieser habe es sträflich verabsäumt, am Abend die Kuh des Klägers ins Dorf zu treiben.

Daher sei das Tier von Wölfen zerrissen und gefressen worden. Der Gemeindehirt wurde dennoch freigesprochen: Er konnte glaubhaft darlegen, dass sich der Kläger schon öfter nur ungenügend um seine Kuh gekümmert und sie speziell an diesem Abend nicht in den Stall gebracht hatte. 
Für das Montafon wiederum wurde im 16. Jahrhundert durch den Vogt von Bludenz anerkannt, dass zum Schutz des Viehs auf Hof und Alpe Hunde gehalten wurden. Bis ins 19. Jahrhundert zahlte dann jede Alpe einen Tagesertrag an Butter und Käse an die Obrigkeit als Gegenleistung für den Schutz vor wilden Tieren. Auch Abschussprämien wurden gewährt. In den Herrschaften Bludenz und Sonnenberg sowie im Montafon wurden zwischen 1518 und 1690 laut Amtsrechnungen 40 Bären, 48 Wölfe und 251 Luchse erlegt. 

Beweisstücke zur Erlangung einer Prämie sind wahrscheinlich auch jene sieben Wolfs-Pfoten, die in Bizau gemeinsam mit einer Bärentatze und einem Wolfsschädel auf einer Holzplatte montiert worden sind. Eine Umschrift verkündet: „Im fünffzehnhundertsten Jar | kam Bützow in die Gfahr“. Ob die Relikte wirklich aus dem Jahr 1500 stammen, ist fraglich. Zur Trophäe gestaltet wurden sie jedenfalls erst um 1900. Am ehesten sind sie in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zu datieren. Sie wären dann ein Beleg für eine damals noch vorhandene Population von Wolf und Bär im Gemeindegebiet von Bizau. 
Der letzte Abschuss eines Wolfs schließlich erfolgte Anfang der 1830er-Jahre im Gebiet um den Hängenden Stein bei Nüziders. Pater Thomas Aquinas Bruhin, einer der frühesten Naturforscher Vorarlbergs, dokumentierte dies neben einer Bemerkung, dass im 16. Jahrhundert „Wölfe noch im Rheinthale“ gelebt hätten, „wo es nebst der gewöhnlichen Art noch eine schwärzliche, die grösser und stärker als die gewöhnliche war, gegeben haben soll“. Zu literarischen Ehren aber kam der letzte im Ländle erlegte Wolf im Roman „Wieder im Walgau“ von Norman Douglas.

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