Steuerreform: Notfalleinsatz oder Zukunftsreife?
Nein, ein großer Wurf wird’s wohl nicht mehr: In der noch verfügbaren Zeit von wenigen Wochen kann es gerade noch um kurzfristig unaufschiebbare Notstandsmaßnahmen am Steuersystem gehen – wobei „System“ für den seit Jahren fortgeschriebenen Wirrwarr ein zu nobles Wort ist.
Das aktuelle Arbeitsprogramm der Bundesregierung versprach eine „Steuerstrukturreform“, reduzierte diese Ankündigung jedoch sogleich auf „Steuerentlastung und Steuervereinfachung“. Die sind unbestreitbar dringend: also Ölwechsel und neue Scheibenwischer. Aber das bedeutet nicht eine Generalüberholung und schon gar nicht Zukunftsreife.
In knappen Worten: In Österreich ist die Last der Staatseinnahmen – Steuern und Abgaben – nicht nur gemessen am europäischen Umfeld, sondern vor allem auch an der Effizienz staatlicher Leistungen entschieden zu hoch. Der Fiskus wird vorrangig als Instrument zur Finanzierung des Staatsaufwands gesehen. Auch die Reformkommission erblickte ihre Aufgabe darin, die rasch steigenden Ausgaben zu finanzieren und nicht, längerfristige politische Ziele anzusteuern. Über solche ist sich die Politik derzeit nur ganz am Rande einig.
Eine kurzfristige Sanierung des Budgets durch Einsparungen zu erwarten, wäre schlicht unrealistisch. Nach Möglichkeit sollten aber Konstruktionsfehler abgebaut werden. Den schwersten stellt die hohe Belastung von Erwerbseinkommen aus selbstständiger und unselbstständiger Arbeit dar, speziell durch Lohnnebenkosten. Dazu kommt die absurd steile Steuerprogression im zentralen Bereich der Einkommenspyramide. Zusammengenommen beeinträchtigt das die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und die individuelle Leistungsbereitschaft.
Verglichen damit erscheint die Besteuerung von Kapital-erträgen fast schon zahm. Mit 25 Prozent ist die KESt deutlich unter dem niedrigsten Einkommensteuersatz (36,5 Prozent), mit dem bereits Arbeitseinkommen ab 11.000 Euro (jährlich!) geschröpft werden. Einer höheren KESt steht eine Verfassungshürde entgegen. Diese politisch zu überwinden und/oder eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer und/oder die Besteuerung von Umwidmungsgewinnen bringen weniger Steuerertrag als Ärger, allerdings vermutlich die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung. Sie könnten auch als Ausgleich für die soziale Problematik von Verbrauchsabgaben argumentiert werden.
Die Besteuerung von Vermögen selbst ist ideologisch noch heftiger umkämpft. Neid ist kein sinnvoller wirtschaftlicher Ratgeber. Die Vermögensbasis von Unternehmen, auch in der Landwirtschaft, eigengenutzte Wohnungen und Ersparnisse müssen jedenfalls geschont werden. Große Finanzvermögen finden nach wie vor internationale Fluchtkanäle.
Lenkungseffekte von Verbrauchsabgaben
Für eine Verlagerung von Steuern auf Einkommen zu den Verbrauchsausgaben spricht, dass sie nicht nur dem Staat Einnahmen bringen, sondern gleichzeitig umwelt- und gesundheits-politisch lenkend wirken. Nationalen Alleingängen sind aber die Hände gebunden, teilweise durch EU-Recht, teilweise wegen der Verzerrungen in grenznahen Gebieten. Da sich derzeit nahezu alle europäischen Finanzminister in einem ähnlichen Dilemma befinden, scheint eine europäische Initiative nicht aussichtslos. Wo steht geschrieben, dass die nicht vom österreichischen Finanzminister ausgehen kann?
Der rapide Preisverfall von Rohöl nährt Überlegungen, einen Teil der Preissenkung vor der Tankstelle abzuschöpfen. Der Rückgang der Tankstellenpreise wirkte auf Autofahrer angenehm wie warmer Regen, aber auf die Energie-, Klima- und Umweltpolitik verheerend. Das könnte die heutige Mineralölsteuer ohnehin nicht leisten. Allerdings war der Umweltminister in die Steuerreform-Kommission ohnehin nicht eingebunden. Zu Recht reagierte er erstaunt auf die Vernachlässigung der Umwelt- und Klimapolitik in deren Bericht.
Auch für Änderungen der Mehrwertsteuersätze wäre ein
europäischer Geleitzug sinnvoll. Die Aufhebung einiger Begünstigungen hätte bedenkliche Konsequenzen für Tourismus, Gastgewerbe und – abermals – den umweltrelevanten öffentlichen Verkehr.
In Zeiten, in denen die Nettoeinkommen eines Großteils der österreichischen Haushalte seit Jahren real eher sinken als zunehmen, muss die aufdringliche Hochglanzwerbung für Luxusgüter (teure Uhren, Juwelen, benzinfressende SUVs) provokant auf das empfindliche Gefühl der Fairness in der Bevölkerung wirken. Einen Luxussteuersatz (wieder) einzuführen, überlegen bereits einige Finanzminister in der Nachbarschaft Österreichs. Will man nicht österreichische Käufer in die Zürcher Bahnhofstrasse und ungarische auf den Wiener Kohlmarkt treiben, dann kommt man um eine europäische Koordinierung nicht herum. Das europäische Umsatzsteuerrecht lässt einen Luxussteuersatz nicht zu. Aber vielleicht könnte Herr Schelling das auf die europäische Tagesordnung setzen?
Angesichts der enormen Abgaben auf Einkommen aus Arbeit und Unternehmen ist schwer einzusehen, dass die Verbrauchsabgaben auf Zigaretten und Alkohol in Österreich unter dem europäischen Durchschnitt liegen, gleichzeitig aber die Zahl der jugendlichen Raucher (und Raucherinnen!) weit über dem europäischen Durchschnitt liegt. Die Menge des konsumierten Alkohols je durstige Kehle ist ohnehin europäische Spitze. Aber die Gesundheitsministerin war halt auch nicht in der Steuer-reform-Kommission.
Reformen seriös vorbereiten
Bis in zwei Monaten nicht nur Tarifkorrekturen, sondern einen Umbau des Steuersystems zu erwarten, wäre naiv. Einsparungen beim Staatsapparat stoßen regelmäßig auf heftigen und gut organisierten Widerstand von Betroffenen. Um den zu überwinden, müssen Reformen auf Sicht von Jahren geplant und in verkraftbaren Stufen umgesetzt werden. Oft ist damit zu rechnen, dass ernsthafte Reformen in der Anfangsphase Mehraufwand verursachen. Wenn man glaubt, sich den nicht leisten zu können, ist kurzatmiges Dahinwursteln die Folge.
Reformen erfordern nicht ein einmaliges Hauruck, sondern ausreichende Vorbereitung. Dies wurde in den letzten Jahren erst gar nicht versucht. Widerstände sind eher zu überwinden, wenn Reformen volkswirtschaftliche Vorteile bringen und damit der Widerstand von Betroffenen teilweise „abgekauft“ werden kann. Glaubwürdige strategische Ziele sind ein notwendiger Ausgangspunkt für Reformen. Aber welche Ziele setzen wir uns wirklich?
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