Über den Wert der Demokratie
Brief des Herausgebers
Wir stehen schon vor einer ordentlichen Zahl an Herausforderungen: problematische demografische Perspektiven in ganz Europa; geopolitische Verwerfungen, die den Weltfrieden bedrohen; Protektionismus und Renationalisierungstendenzen, wohin man schaut; gesellschaftlicher Wandel mit einer da oder dort sogar drohenden Erosion des Leitgedankens der solidarischen Leistungsgesellschaft; und auch die aktuellen Entwicklungen gefährden die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch die Attraktivität unseres Investitionsstandortes. Diese Entwicklungen stellen schon eine große Herausforderung dar, vor allem für unser einzigartiges Lebens- und Wirtschaftsmodell in Europa. Wir sind stark im Wettbewerb, wir sind aber gleichzeitig wie kein anderer Kontinent stark im sozialen Ausgleich, und wir sind stark und pragmatisch im Schutz unserer Lebensgrundlagen. Das kann uns kein anderer Kontinent nachmachen.
Aber wissen wir auch alle um den Wert unserer Demokratie? Oder müssen wir uns und auch den Menschen um uns herum wieder stärker bewusst machen, dass Demokratie nicht nur die höchstentwickelte Form menschlichen Zusammenlebens ist, sondern auch die Voraussetzung für Freiheit, Frieden, Sicherheit und Wohlstand? Verhaltensökonom Matthias Sutter widmet sich in dieser Ausgabe der Frage, warum überall in Europa populistische Bewegungen erstarken, und warum in diesen Bewegungen der Wunsch nach autokratisch agierenden Politikern immer lauter wird. Dabei ist es ein Faktum, dass es in solchen Staaten den Menschen schlechter geht als in demokratisch geführten Staaten.
Doch gibt es neben der eigenartigen Sehnsucht nach autokratischen Führungsfiguren in der heutigen Zeit ein weiteres Phänomen: Das aktivistische Diktat von Minderheiten. Der Philosoph Konrad Paul Liessmann hat sinngemäß einmal gesagt, ein zeitgeistiger politischer Aktivismus erhebe gern den Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein. Doch da kein einzelner Mensch jemals im Besitz der Wahrheit sein kann, zeigt sich unter diesem Deckmantel lediglich eine repressive Intoleranz. Eine Intoleranz, die laut Liessmann „Andersdenkende auf dem virtuellen Social-Media-Scheiterhaufen verbrennt“. Solche Strömungen sind demokratiegefährdend. Und deswegen ist es überaus wichtig, dass gerade auch Funktionsträgern nicht der Respekt vor den Überzeugungen des Andersdenkenden und die Wertschätzung des jeweiligen Gegenübers verloren geht – trotz aller unterschiedlichen Weltanschauungen und trotz des notwendigen Streits in der Sache. Denn dieser ist schließlich das Wesen der Demokratie.





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