
Vorarlberg auf dem Weg zur Nummer Eins
Vorarlbergs Touristiker haben Millionen in die Infrastruktur für die neue Wintersaison investiert. Jetzt beginnt das Warten auf Gäste. Ende November war die Buchungslage zufriedenstellend.
Der Tourismus allgemein und der Wintertourismus speziell hat sich in Vorarlberg nicht ähnlich radikal und grenzenlos entwickelt wie anderswo in Österreich – etwa im benachbarten Tirol. Diesen Unterschied – nennen wir ihn Qualitätsunterschied – gab es bereits lange vor dem Ausrufen der Tourismusstrategie 2020. Genau deswegen wählen die Urlauber Vorarlberg als Ziel.
Die Latte für die Wintersaison 2015/2016 liegt jedenfalls hoch. Denn die Statistik weist den Vorwinter mit 1,17 Millionen Gästeankünften und 4,88 Millionen Nächtigungen als den zweitbesten aller Zeiten aus.
Dass die Gäste weiterhin höchsten Komfort während ihres Aufenthalts in den diversen Beherbergungsbetrieben genießen können, dafür haben die Touristiker erneut kräftig investiert. Unter dem Namen „Après Post Hotel“ eröffnet das Hotel Post in Stuben die Wintersaison mit 40 neuen Zimmern und Suiten. Neueröffnung feiert auch das Vier-Sterne-Berghotel „Das Schäfer“ in Fontanella. 21 zusätzliche Ferienwohnungen stehen in Damüls zur Verfügung, um 28 Zimmer und ein zweistöckiges Spa erweitert wurde das Hotel Walserstube in Warth. Beim Hotel Jägeralpe, ebenfalls in Warth, entstanden ein Suitentrakt und ein Sporthaus mit Fitness- und Badeeinrichtungen.
Die Millioneninvestitionen würden ohne die Vorarlberger Seilbahnen freilich quasi verpuffen. Die Seilbahner wiederum stehen den klassischen Touristikern nicht nach in Sachen Modernisierungen und Qualitätsverbesserungen. Rund 50 Millionen Euro gaben sie im Sommer 2015 für neue Liftanlagen und Pistenoptimierungen, für Gastronomiebetriebe in den Skigebieten und für Sicherheit und Umweltschutzmaßnahmen aus – das sind etwa drei Millionen mehr als ein Jahr zuvor. Auch bei der technischen Beschneiung – so die offizielle Bezeichnung für Kunstschnee – wurde kräftig aufgerüstet. Für den Fall der Fälle möchte man gewappnet sein. Der tritt dann ein, wenn Frau Holle ihre Betten nur sehr zögerlich über den Alpen schüttelt.
Die beiden größten Projekte haben die Bergbahnen in Mellau und Zürs realisiert. In Mellau ersetzt eine neue 10er-Gondelbahn die bisherige Kabinenbahn ins Skigebiet Mellau-Damüls. In Zürs wurde auf dem Übungshang eine 6er-Sesselbahn errichtet. Die stellt den ersten Schritt für den für Winter 2016/2017 geplanten Zusammenschluss mit dem Tiroler Teil des Arlbergs dar.
„Überall dort, wo die Skigebiete investiert haben beziehungsweise es Zusammenschlüsse gab, haben die Beherbergungsbetriebe ebenfalls kräftig in die Tasche gegriffen“, sieht Hans-Peter Metzler, Spartenobmann Tourismus in der Wirtschaftskammer Vorarlberg, einen Kontext. Er freut sich im Zusammenhang mit den Seilbahnen außerdem über eine positive Entwicklung in den vergangenen Jahren. „Ich erkenne inzwischen ein wesentlich besseres Miteinander“, sagt Metzler, selbst Hotelier im Bregenzerwald. Angebotspakete, in denen die Seilbahner die Hoteliers einbinden und umgekehrt, seien nur ein Beispiel für diese neue Qualität des gemeinsamen Wegs im Land.
Besonders glücklich zeigen sich die Touristiker, dass die Seilbahnwirtschaft auch bei der Tourismusstrategie 2020 voll mitzieht. Gastfreundschaft, Regionalität und Nachhaltigkeit, die drei Eckpfeiler der Strategie, spielen mittlerweile in den Skigebieten ebenfalls eine wichtige und deshalb unübersehbare Rolle. „Erkennbar wird das etwa, wenn neue Skihütten entstehen – hier ist ganz klar Regionalität Trumpf“, unterstreicht Metzler. Dass die Seilbahner die Tourismusstrategie mittragen, verdeutlichten sie überdies am Seilbahntag im November. Dort stand das Thema „Gastfreundschaft“ im Vordergrund.
Die Zeiten ändern sich. Der Skifahrer von heute lässt sich nicht mehr vergleichen mit jenem früherer Jahre. „Viele Skitouristen sehen ihren Sport inzwischen um einiges entspannter“, weiß Spartenobmann und Hotelier Metzler. „Sie wollen nicht mehr von früh bis spät quasi ununterbrochen nur auf der Piste stehen. Ein paar Stunden Wellness am Tag ist für sie ähnlich wichtig.“ Daher habe früher in den Hotels eine Sauna gelangt, inzwischen wurden Investitionen in große Wellnessbereiche unerlässlich und zum Standard.
Die Wintersaison bildet das Rückgrat im heimischen Tourismus – nicht zuletzt deshalb, weil die Wertschöpfung im Winter höher ausfällt als jene im Sommer. Vorarlberg nimmt in dem Zusammenhang trotzdem österreichweit eine Sonderposition ein. „Der Unterschied bei der Wertschöpfung zwischen Winter und Sommer ist bei uns geringer als in anderen Bundesländern“, sagt Elmar Herburger, stellvertretender Spartenobmann in der WKV. Und noch eine Besonderheit zeichnet in dem Kontext den heimischen Tourismus aus: 80 Prozent der Wertschöpfung findet im Umkreis von 60 Kilometern statt. Konkret bedeutet dies: Das Geld, das die Touristen – banal formuliert – ins Land bringen, bleibt im Land und kommt wiederum der heimischen Wirtschaft zugute.
In der Ötztaler Skihochburg Sölden oder im Alpenballermann Ischgl beispielsweise regiert im Winter ausschließlich der Superlativ als einzige Maxime. „Vollgas um jeden Preis“ lautet die Devise. Insider bezeichnen den Urlaubsort Sölden, wo man sich erholen sollte, gar als „Krafträuber“.
Zieht man zum Vergleich das Vorarlberger Wintersportmekka Lech heran, wird der Unterschied allein schon bei einem Spaziergang durch den Ort sichtbar. Hier gediegene Architektur und Einkehrmöglichkeiten, dort – in Sölden oder Ischgl – überwiegend monströse Hotelburgen, High-Life-Lokale und künstliche Erlebniswelten, wo der ultimative, kategorische Superlativ den Ton angibt.
Die – vornehme – Zurückhaltung im Ländle gefällt den Gästen. „Vorarlberg ist nicht nur aufgrund der guten Erreichbarkeit, der hohen Schneesicherheit und der abwechslungsreichen Möglichkeiten zum Skifahren das favorisierte Ziel für unseren Skiurlaub“, sagt Christian Brand (36) aus Köln. „Auch das besondere Flair in der Region, die Gemütlichkeit in den Gasthöfen sowie die ausgeprägte Freundlichkeit der Menschen mit ihrer herausragenden Gastfreundschaft führen uns jedes Jahr hierher.“
Die in Barcelona wohnhafte Deutsche Claudia Billstein (35) schlägt in eine ähnliche Kerbe: „Die Skiregion Vorarlberg stellt für mich die beste Kombination zwischen großem und abwechslungsreichem Skigebiet, österreichischer Gemütlichkeit mit tollem Essen und großer Familienfreundlichkeit dar. Keine andere Skidestination hat mein Herz bisher so erobern können.“
Tobias Schabenberger (49) aus Basel kam mit seiner Familie schon mehrfach nach Brand – im Sommer und im Winter. „Das Brandnertal lässt sich in relativ kurzer Zeit erreichen, mit drei Kindern im schulpflichtigen Alter bevorzugen wir einen gemütlichen Ort mit einem nicht zu schwierigen Skigebiet“, nennt er die Gründe, warum die Wahl auf das 700-Einwohner-Dorf fiel. Außerdem war das geschlossene, einheitliche Ortsbild und die Möglichkeit des persönlichen Kontakts zu den Gastgebern ausschlaggebend für die Entscheidung, den Skiurlaub im Brandnertal zu verbringen.
„Man muss sein Glück eben nicht ausschließlich im Sinn von Größe suchen“, betont Hans-Peter Metzler. Die Vorarlberger Touristiker möchten deshalb auch in Zukunft auf Muskel- statt auf Fettwachstum setzen. Der Hardware, also der Infrastruktur, kommt natürlich Bedeutung zu. Der Software will man aber noch mehr Augenmerk schenken. Von Menschenhand geschaffene Erlebniswelten spielen da keine Rolle.
Damit sind wir wieder bei der Tourismusstrategie 2020 angelangt. „Mit den Themen Regionalität, Nachhaltigkeit und Gastfreundschaft grenzen wir uns am Markt von den Mitbewerbern ab“, betont Spartenobmann Metzler. Diese Form der Software lässt sich überdies nur schwer kopieren. Stichwort „kopieren“: Die heimischen Touristiker selbst möchten im Sinne der Strategie 2020 ihren eigenen Weg gehen und auf Kopien verzichten. Dieser Vorsatz schließt den Verzicht auf Preisdumping, wie es anderswo praktiziert wird, mit ein.
Die Seilbahner haben für die neue Saison abermals die technischen Beschneiungsanlagen kräftig ausgebaut. Kein Wunder – Frau Holle war in den vergangenen Wintern nicht immer touristisch zeitgerecht und entsprechend engagiert zur Stelle. Doch was passiert, wenn infolge der Temperaturen selbst Beschneiungen schwer möglich sind?
„Natürlich bildet Schnee die Basis für den Tourismus in den Alpen. Wie die Erfahrung gezeigt hat, lassen sich einmalige Ausreißer, die auf eine Saison beschränkt bleiben, aber verkraften“, betont Spartenobmann Metzler. Im extrem schneearmen Winter 2005/2006 hätten solche Verhältnisse geherrscht, der Tourismus sei damals bekanntlich nicht zusammengebrochen.
Die Weihnachtszeit sei ohnehin quasi „gesetzt“, die Betriebe dank ihrer Wellnessbereiche über diese Kernzeit hinaus bestens gerüstet. Und in bestimmten Regionen – wie zum Beispiel im Vorderwald – würden die Gäste bei der Urlaubsgestaltung ohnehin andere Prioritäten setzen als das Skifahren.
Ob schneereiche Saison oder nicht – der Winter stellt das Rückgrat für die heimischen Betriebe dar. Allerdings kommt dem „Rest“ des Jahres ebenfalls Bedeutung zu. „Um wirtschaftlich arbeiten zu können, brauchen wir das ganze Jahr“, weiß Metzler.
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