Markus Rhomberg

Geschäftsführer der Internationalen Bodensee-Hochschule, einem Verbund von 27 Universitäten und Hochschulen in der Vierländerregion. Zuvor hat er sich als Professor für Politische Kommunikation in Hamburg und Friedrichshafen vor allem mit dem Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Politik beschäftigt und Strategien für erfolgreiche Klimakommunikation untersucht.

Warum (technologische) Innovationen nicht immer die Lösung sind

Februar 2022

Hört man sich in Medien, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft um, ist die Antwort auf so fast jedes Schlüsselproblem, das uns aktuell begegnet: Innovation! Mit innovativen Technologien „besiegen“ wir den Klimawandel und Pandemien, wir finden Lösungen für den demografischen Wandel und Ungleichheiten in der Gesellschaft und den sozialen Zusammenhalt.

Innovation und Technologie sind zu den Lösungsmantras unserer heutigen Gesellschaft geworden. Doch ist Innovation die Antwort auf alles? Nein, sagt zumindest der Schweizer Historiker und Wissenschaftsjournalist Marcel Hänggi in seinem Buch „Fortschrittsgeschichten. Für einen guten Umgang mit Technik“: Mit dem Wort Innovation suggeriere man, dass jede neue Technik zwangsläufig besser als die vorangehende sei. Gleichzeitig werden Innovation und Technologie eng verknüpft: Jede Innovation beruhe, so der Subtext, auf einer technologischen Entwicklung. Natürlich, technologische Innovationen sind wichtig für eine gelingende Zukunft. Doch mit der Engführung des Begriffs blenden wir eine Vielzahl anderer Möglichkeiten aus.
Die gesellschaftlichen Schlüsselprobleme unserer Zeit, sei es Gesundheit (Pandemien), Umwelt (Erderwärmung) oder Bildung (Chancengleichheit) sind ziemlich vertrackt. Sie sind so komplex, dass sie sich einfacher Lösungen sperren und sinngemäß eben nicht ausschließlich mit Technik gelöst werden können. Unsere Klimaziele werden wir beispielsweise nicht nur mit technologischen Innovationen in der Elektromobilität oder neuen Energie- und Speicherformen erreichen.
Es braucht dafür Ideen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, ist die Innovationsforscherin Mariana Mazzucato überzeugt. Ein moderner Innovationsbegriff umfasse deshalb nicht nur technische Lösungen, sondern auch soziale, kulturelle, politische und organisatorische Innovationen. Ein moderner Innovationsbegriff setzt zudem darauf, dass Innovationen nicht nur allein in der Wissenschaft oder in Unternehmen entwickelt werden. Er setzt vielmehr auf die Barrierefreiheit von Innovationsprozessen in einer gemeinsamen und offenen Zusammenarbeit von unterschiedlichen Akteur*innen der Gesellschaft. 
Für Lösungen im Klimaschutz benötigen wir also neben technologischen Innovationen auch Veränderungen unseres Verhaltens in Konsum, Mobilität, Energieverbrauch, unseres Lebensstils und unserer Denkweisen. Diese entstehen in Aushandlungs- und Überzeugungsprozessen, dem Erkennen von guten Beispielen oder Vorbildern. Sie sind also soziale, kulturelle oder organisatorische Innovationen. Manchmal brauchen sie technologische Entwicklungen als Grundlage, manchmal aber auch nicht. Sie zeichnen sich aber vor allem dadurch aus, dass neue soziale Praktiken entwickelt und genutzt werden. So wie beispielsweise das Sozialunternehmen Zeitpolster in Vorarlberg und der Vierländerregion gemeinschaftliche Unterstützungsstrukturen für die persönliche Altersvorsorge aufbaut oder das Schweizer Startup Revendo gebrauchte Smartphones und andere Elektrogeräte repariert und wiederverkauft. Im vergangenen Jahr waren dies knapp 50.000 Geräte, die so upgecycelt wieder auf den Markt gebracht wurden. 
Gleichzeitig lässt Innovation immer auch eine Lücke frei für sein Gegenteil. In diesem Fall für die Exnovation, also für jenes, das bewusst aus der Welt geschafft werden soll: unerwünschte Dinge, Technologien, aber auch Verhaltens- und Handlungsweisen. Sowohl technologische als auch soziale Innovationen müssen ja nicht nur entwickelt werden, sie müssen auch am „Markt“ eingeführt und erfolgreich genutzt werden. In der Regel sind Märkte bereits gesättigt, Innovationen müssen sich also gegen bereits Etabliertes durchsetzen. Das ist zunächst auch gar nicht schlecht, denn nur jene Innovationen, die bessere Antworten geben als Herkömmliches werden schlussendlich genutzt.
 

Nicht alles, was neu ist, ist automatisch gut.

Es gibt aber Bereiche, in denen höherwertige Ziele als jene des Marktes zu Zielkonflikten führen. Dies sind insbesondere Ziele des öffentlichen Gemeinwohls. Beispielsweise im Bereich des Klimaschutzes. Um das politische – und gesellschaftlich akzeptierte – 1,5 Grad-Ziel erreichen zu können, muss Raum für Innovationen geschaffen werden, indem bestehende Infrastrukturen, Technologien, Produkte oder Praktiken absichtsvoll exnoviert werden – also ersetzt, vermieden oder reduziert werden. Ein Beispiel dafür ist das Glühlampenverbot in der EU. Damit wurde eine Technologie abgeschafft, was gleichzeitig zu einem Innovationsschub bei Energiesparlampen und LEDs geführt hat. 
Klar, in der politischen Debatte ist es vermutlich beliebter, die Innovationskraft eines Landes zu forcieren als Exnovation zu betreiben. Sie kann jedoch Raum für nachhaltigere Lösungen schaffen und damit zu einem entscheidenden Element beispielsweise für eine gelingende Mobilitäts- oder die Energiewende werden. Denken wir nur an fossile Energieträger wie Kohle und Gas.
Nicht alles, was neu ist, ist automatisch gut. Wir sollten öfter das Gedankenexperiment wagen, was wir bewusst aus der Welt schaffen wollen. Wir sollten auch nicht einem Technologiefetisch verfallen und neue Technologien von vornherein besser beurteilen als alte. Vielmehr sollten wir die Chance nutzen, technologische und soziale Innovationen miteinander zu verbinden und in offenen Prozessen danach zu fragen, welche Innovationen Nutzer*innen wirklich brauchen und wie wir damit nachhaltigen gesellschaftlichen Fortschritt schaffen. 
Die Autorin Jenny Odell hat es in ihrem Besteller „Nichts tun“ so formuliert: „Wir leben in einer Kultur, die Neuerung und Wachstum dem Zyklischen und Regenerativen vorzieht. Allein unsere Vorstellung von Produktivität basiert darauf, etwas Neues hervorbringen zu müssen, während wir Erhaltung und Pflege [Anm. von Bestehendem] meist nicht in gleichem Maße als produktiv erachten“. Vielleicht sollten wir uns mit diesem Gedanken öfter beschäftigen.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.