J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Als bei Bregenz nach Kohle geschürft wurde

Februar 2018

Energieautonomie – der Wunsch, sich seine eigenen Energiequellen zu erschließen und so von den Weltmärkten etwas unabhängiger zu sein, ist keine Erfindung der Gegenwart. Daher wurde einst jedes noch so kleine Kohlevorkommen genutzt – auch im Wirtatobel am Pfänderstock zwischen Bregenz und Langen.

Ein tiefschwarzes, glänzendes Gestein fällt auf. Wenn es sich dann noch als brennbar erweist, tritt zur Neugierde der Wunsch, sich dieses Gestein als Energiequelle nutzbar zu machen. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, wann die ersten Bauern in Langen bei Bregenz begannen, die auf ihren Grundstücken in kleinen, obertägigen Abbauen geschürfte Kohle in Herd und Heizung zu verbrennen. Es mag sich auch in der unmittelbaren Umgebung ein – nicht unbedingt legaler – Handel entwickelt haben. Geschichtlich fassbar wird die Gewinnung der Braunkohle aus dem Wirtatobel, als die „Tirolische Steinkohlenschürfungsdirektion“ im Jahr 1849 erste Untersuchungsbohrungen durchführen ließ. Die Ergebnisse waren vielversprechend und so wurde bald ein 60 Meter tiefer Schacht bis zum Kohleflöz abgeteuft. 1852 wurden die Bergbaurechte durch den Zukauf von Anteilen an den beiden benachbarten Grubenfeldern erweitert. Auch wenn aufwendige Aufschlussarbeiten immer neue Kohlelager dem Abbau zugänglich machen, bleib den Gewerken ein nachhaltiger Erfolg versagt. Die Qualität der Braunkohle, die oft mit sandigen Ablagerungen verunreinigt war, überzeugte nicht, und hochwertige französische Steinkohle wurde zur übermächtigen Konkurrenz. Als 1877 der gesamte Grubenbesitz verkauft wurde, waren wenige Fabriken und vor allem die Bodenseeschifffahrt die einzigen verbliebenen Kunden.

Der neue Besitzer, die „Oberbayrische Aktiengesellschaft für Kohlenbergbau“ in Miesbach, entwarf einen gänzlich anderen Betriebsplan. Statt mit Fuhrwerken über die Fluh, sollte die Kohle direkt zu den Bodenseeschiffen als Hauptnutzer gelangen. Zu diesem Zweck wurde im Stadtgebiet von Bregenz, elf Meter über dem Wasserspiegel des Bodensees, ein neuer Stollen angeschlagen. Nach 845 Metern erreichte er das Flöz, welches hier aber nur 20 Zentimeter mächtig war. Zwei zusätzliche, höher gelegene Stollen wurden notwendig, um die Hauptlagerstätte im Wirtatobel zu erreichen. Der oberste Stollen folgte dem Flöz, doch wurden in seinem gesamten Verlauf keine Kohle-Mächtigkeiten über 40 Zentimeter angetroffen. 1887 kam der Abbau zum Erliegen. Erst 1907 wurde der Bergbau wieder aufgenommen, aber die Ausbeute blieb bescheiden. Ein geringer Aufschwung trat erst nach dem Ersten Weltkrieg ein, als es die Energieversorgung von Bregenz zu sichern galt. Die Kohle wurde nun per Seilbahn an die Ach zur Bregenzerwaldbahn transportiert, von wo dreimal pro Woche ein Zug mit sechs Waggons in Richtung Bregenz rollte. Bereits 1921/22 kam erneut das Aus. Auch die Wiederaufnahme des Bergbaus nach dem Zweiten Weltkrieg war nicht von langer Dauer.

Die Lagerstätte im Wirtatobel ist der einzige Ort in Vorarlberg, wo Kohle in nennenswerter Menge gefunden wird. Die Glanz(braun)kohle („Pechkohle“) ist zwar bereits relativ stark inkohlt. Dennoch konnten an manchen Baumfragmenten noch immer Jahresringe wahrgenommen werden. Was aber den Abbau erschwerte und die Qualität minderte, waren die geringe Mächtigkeit und die nur zu oft dominanten Zwischenmittel. Denn das Flöz bestand nicht aus Kohle allein. Zwei bis fünf einzelne Kohlelagen waren durch Mergel und bituminösen Kalk getrennt. Erklärbar wird dieses Szenario durch die geologische Gesamtentwicklung.

Im Zuge der Heraushebung der Alpen hatte sich nördlich des jungen Gebirges eine Vorsenke gebildet. In diese schütteten Flüsse ihre Sand- und Geröllfracht. Nach einer ersten Verfüllung des Beckens konnte sich das Meer vor rund 20 Millionen Jahren diesen Raum zurückerobern. An den Mündungen der Flüsse in das Restmeer aber entwickelten sich mächtige Schuttkörper. Meeresspiegelschwankungen und auch die Dynamik im Delta selbst führten immer wieder zur Verlagerung des Ablagerungsgeschehens. So wechseln die Schotterbänke der unmittelbaren Flussmündung mit dem Sand und Schlamm ausgedehnter Lagunen. Gezeiten und Wellen bestimmten dort, wie weit die unterschiedlich großen Sandkörner transportiert wurden. Versteinerte Austern und Herzmuscheln, aber auch Hai- und Rochenzähne sind der unumstößliche Beweis, dass die Nagelfluhbänke von Gebhardsberg und Kanzelfels im Meer entstanden sind. Doch zwischendurch änderte sich das Geschehen – das Meer zog sich zurück.

Dieser „Zweite terrestrische Horizont“ ist im gesamten Becken nachweisbar. Zwischen Bregenz und Langen fiel das Flussdelta der „Pfänderschüttung“ trocken und es entwickelte sich ein ausgedehnter Küstensumpf – das Ausgangsmaterial für die Kohle. Doch bei Überschwemmungen machte der Fluss seine Rechte geltend: Er überdeckt die Pflanzen mit Sand und Schlamm. In Tümpeln konnte sogar Kalk ausgefällt werden. Immer wieder überwucherten die Pflanzen die neuen Ablagerungen, ja sogar ein fossiler Wurzelboden konnte im Bergwerk nachgewiesen werden. Versteinerte Landschnecken über dem Flöz beweisen, dass sich das Geschehen tatsächlich über dem Meeresspiegel abgespielt hat. Und auch Reste eines Gomphotheriums, eines urtümlichen Rüsseltiers, wurden im Zuge des Bergbaus gefunden.

Doch dann drang das Meer ein letztes Mal in unsere Gegend vor. Über dem „Zweiten terrestrischen Horizont“ mit seinem Kohleflöz vom Wirtatobel folgen wieder marine Ablagerungen. So kann man weiter oben, gegen den Pfänder hin, in einem Seitengraben des Tobels versteinerte Turmschnecken, Pilgermuscheln und Austern entdecken. Auch seltene Venusmuscheln und verfüllte Wohnröhren von Krebstieren sind Hinweise auf Salzwasser. Aber das Becken wurde immer mehr verfüllt, bis das Meer schließlich einer weitläufigen Flusslandschaft mit Restseen Platz machen musste. Zuletzt wurden alle diese Gesteine vom heranrückenden Alpenkörper gestaucht und schräg gestellt: Ein Phänomen, das sich am besten von einem der Bodenseeschiffe aus beobachten lässt – auch wenn diese längst nicht mehr mit Wirtatobel-Kohle betrieben werden.

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