J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Bringt uns unsere Insekten zurück!

Juli 2024

Ja, die Situation ist dramatisch: Selbst auf blumenreichen Magerwiesen sind kaum mehr Insekten anzutreffen. Das Entomologen-Herz erfreut sich bereits am Anblick eines Weißlings, eines Kleinen Fuchses oder einer Gamma-Eule. Selbst die Bläulinge – eine einst auf jeder Wiese anzutreffende Schmetterlings-Familie – sind selten geworden. Auch Wanzen und Käfer kann man kaum mehr beobachten. Wie anders war das doch in meiner Kindheit: Wir mussten nicht lange nach Insekten suchen, sie waren einfach da. Wer damals im Vorbeigehen die Samen von den Gräsern streifen wollte, lief Gefahr, dabei eine Wanze zu zerquetschen. Doch heute? 
Es ist müßig, nach DER Ursache zu forschen. Eine einzige Ursache gibt es nicht – da spielen viele Faktoren ineinander. In den vergangenen Jahrzehnten hat ein massiver Wandel in der Landnutzung stattgefunden. Wo ich als Kind auf einer blumenreichen Wiese spielen durfte, stehen heute Häuser, und ein Mähroboter sorgt dafür, dass ja keine Blumen aufkommen: Wie leicht könnte doch ein Kind auf eine Biene steigen und gestochen werden! Um das Gewissen zu beruhigen, pflanzt man Forsythien – Pflanzen, die keinen Nektar geben und Insekten auf Nahrungssuche schlicht verhungern lassen. Grünzonen am Straßenrand werden gemäht, bevor sich noch Blüten zeigen könnten. Und in der Landwirtschaft lassen sich mit Massenproduktion immer noch die höchsten Förderungen lukrieren. Es gibt kaum noch Wiesen, die diesen Namen verdienen – sie sind zu Grasplantagen verkommen, grün, aber tot. Sollte sich dennoch irgendwo eine Blume zeigen, so signalisiert sie dem Landwirt; „Es ist Zeit zu mähen“. Der Pestizid-Einsatz ist ungebremst. Und nicht zuletzt will man eine stechmückenfreie Gartensaison. Sind derartige Geräte auch offiziell verboten, so wird trotzdem im Internet für Lichtfallen geworben, welche die Insekten mit UV-Licht anlocken und mit Strom töten. Ihnen fallen nicht nur die Stechmücken zum Opfer, sondern schlichtweg alle Insekten, die vom Licht angezogen werden.
Dabei wäre alles so einfach: Bereits kleine ökologische Aufwertungen bringen signifikante Verbesserungen für die Insektenwelt. Das beginnt im eigenen Garten. Lasst doch die Nachbarn sich das Maul zerreißen über den unaufgeräumten „Schandfleck“! Beweist Mut zur Unordnung und stellt eine Ecke des Gartens den Insekten als deren Lebensraum zur Verfügung! Zugegeben, das schaut nicht „gepflegt“ aus, und es soll auch nicht gepflegt sein. Auch ein verwilderter Teich trägt deutlich zur Steigerung der Artenvielfalt bei. Wer dennoch nicht auf Ordnung verzichten will: Ein Gemüse- oder Blumengarten, in dem Insekten willkommen sind, ist um Klassen sinnvoller als jede totgemähte Grüne Wüste. Auch der Grünstreifen zwischen Fahrbahn und Radweg muss nicht ordentlich aussehen. Im Gegenteil sind Blumen eine Bereicherung für unsere Landschaft. Selbst im Kreisverkehr erfreuen sie das Auge.
Als Mitte der 1980er-Jahre der „Glykol-Skandal“ unser Land erschütterte, sagten manche den völligen Niedergang des österreichischen Weines voraus. Das Gegenteil ist eingetreten, und verantwortungsbewusste Winzer haben erkannt, dass Mengenoptimierung der falsche Weg ist. Heute dürfen wir österreichische Weine höchster Qualität genießen. Was im Weinbau möglich ist, sollte auch in den anderen Bereichen der Landwirtschaft Einzug halten. Qualität statt Masse, gepaart mit mehr Möglichkeiten zur Selbstvermarktung kann auch die Produktionsstätten, unsere Wiesen und Felder aufwerten. Und es sollte möglich sein, nicht nur Fruchtfolge zu betreiben, sondern auch das eine oder andere Feld eine Saison lang brach liegen zu lassen – solche Maßnahmen gehören gefördert, und nicht die Mengenoptimierung.
Es gibt viele Möglichkeiten, Vorarlberg wieder insektenfreundlich zu gestalten. Beweisen wir Mut zur Unordnung und stellen wir den kleinen Krabblern und Fliegern den Lebensraum zur Verfügung, den sie zum Überleben brauchen. Denn auch in Zukunft muss es Blumenwiesen geben, auf denen es summt und brummt wie einst – damals, als Insekten allgegenwärtig waren und nicht erst mühsam gesucht werden mussten!

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