J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Gefährdet – Verschollen – Ausgestorben

Juli 2019

Vom Schwund in der Insektenwelt und den Schwierigkeiten, ihn zu quantifizieren.

Eines ist augenscheinlich: Die Zahl der Insekten hat in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen. Für Menschen, die unsere Mitbewohner bewusst wahrnehmen und beobachten, ist dies eine unleugbare Tatsache. Hinweise gibt es genug: Auf der ehemaligen Wiese mit Margeriten, Kuckucks-Lichtnelken und Wiesen-Bocksbart, wo ich einst mit kindlichem Interesse Insekten beobachtet habe, stehen heute Häuser, umgeben von totgemähten Rasen. Und die restlichen Wiesen sind zu sterilen Hochleistungs-Grasplantagen verkommen – ohne Insekten. Aber selbst Fachleute stehen vor einem unlösbaren Problem, wenn es gilt, diesen Rückgang in Zahlen zu fassen: Es gibt keine Langzeitstudien, und es gibt nur für wenige Tiergruppen verlässliche Daten über die Artenvielfalt und die Häufigkeit der einzelnen Arten in früheren Zeiten. Gefährdungseinstufungen in Roten Listen müssen daher immer auf einer Kombination von tatsächlichen Beobachtungen und der Entwicklung des jeweiligen Lebensraums beruhen. Aber wann muss eine Tierart als (regional) ausgestorben betrachtet werden? Einige Beispiele sollen die Komplexität dieser Frage darstellen, einer Frage, die nie schlüssig beantwortet werden kann.

Das Moor-Wiesenvögelchen / Coenonympha oedippus

Der Name lässt anderes vermuten, und doch handelt es sich um einen kleinen Schmetterling aus der Gruppe der Augenfalter. Betrachtet man die Belege in den Sammlungen der inatura, so muss dieser Falter bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Riedwiesen zwischen Nofels und dem Rhein durchaus noch häufig gewesen sein. Aber bereits 1933 warnte ein Forscher vor der Zerstörung des Lebensraums durch Entwässerung. Wurden 1974 auch Teile der Riedgebiete in Feldkirch-Bangs unter Schutz gestellt, so blieb die landwirtschaftliche Nutzung zunächst weiterhin erlaubt. Bald waren die Bestände des Moor-Wiesenvögelchens auf kleinste, nicht überlebensfähige Restpopulationen auf einzelnen Grundparzellen geschrumpft, und 1998 musste die Art als „regional ausgestorben“ klassifiziert werden. Jenseits der Grenze, im Ruggeller Ried, hat sie überlebt, und von dort ist Coenonympha oedippus auch nach Vor­arlberg zurückgekehrt. Die Einstufung in der aktuellen Roten Liste lautet nun „CR – Critically Endangered (vom Aussterben bedroht)“. Bleibt zu hoffen, dass dieser hübsche Falter noch lange in Vorarlberg überleben kann.

 

Die Berghexe / Chazara briseis

Tatsächlich als „regional ausgestorben“ betrachtet werden muss die Berghexe. 14 Belege, gesammelt zwischen 1904 und 1928, sind an der inatura verwahrt. Seither sind mehr als 90 Jahre vergangen, und dieser Augenfalter wurde in all der Zeit in Vorarlberg nie mehr gesehen. Chazara briseis ist eine wärmeliebende Art Südeuropas, wo sie trockene, sandige oder felsige Plätze bewohnt. Aktuelle Funde in der weiteren Umgebung stammen aus der östlichsten Ecke der Schweiz im Grenzgebiet zum Vinschgau, sowie aus dem Schweizer Jura. Auch die Vorkommen am württembergischen Riesrand sowie im Altmühltal der Fränkischen Alb sind beträchtlich von Vorarlberg entfernt. Eine Rückkehr erscheint damit trotz des Klimawandels unwahrscheinlich.

Der Graurandige Zwergspanner / Idaea fuscovenosa

Und doch reicht eine fast hundertjährige Nachweislücke nicht aus, um eine Art für „ausgestorben“ zu erklären. Letztendlich gibt die persönliche Erfahrung des Experten den Ausschlag. Denn die Art könnte selten sein oder nur an Stellen leben, die normalerweise als „uninteressant“ angesehen werden. Nur ein einziges Mal war der Graurandige Zwerg­spanner in Vorarlberg nachgewiesen worden, am 20.07.1921 in Braz. Dennoch wurde der kleine Nachtfalter in der aktuellen Roten Liste nicht als „RE-Regionally Extinct (regional ausgestorben)“ klassifiziert, sondern „nur“ als „DD! – Daten defizitär, mutmaßlich gefährdet“. Nach genau 95 Jahren, in der Nacht vom 19. auf den 20.07.2016 gelang nun in Lochau der Wiederfund. Eine Frage aber wird nie zu beantworten sein: War die Falterart über all die Jahre tatsächlich nicht anwesend oder hat sie sich nur der Beobachtung entzogen?

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