J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Urtümlich und weit verbreitet, und dennoch ein Stiefkind der Forschung

April 2021

In der Dokumentation unserer Tierwelt herrscht ein auffälliges, aber leicht erklärbares Paradoxon: Gerade über die Verbreitung der häufigsten Tierarten ist am wenigsten bekannt. Während sich die Forscher zum Ziel gesetzt haben, möglichst seltene Arten aufzufinden, strafen sie gleichzeitig die alltäglichen und überall anzutreffenden Arten mit Verachtung. Ein Landes-Erstfund bringt Ansehen in der Scientific Community, die Beschäftigung mit dem vordergründig Banalen aber wird belächelt. Die notwendige Spezialisierung auf eine einzige Tiergruppe verhindert überdies, sich mit dem „Krabbelzeugs“ außerhalb des eigenen Fachgebiets zu beschäftigen. So kommt es, dass manche Tiergruppen in der Verbreitungsdatenbank der inatura sträflich unterrepräsentiert sind.
Als die inatura im Jahr 2008 ein Forschungsprojekt zur Quecksilberbelastung von Kellerasseln in Dornbirn förderte, fand sich in der Datenbank des Museums kein einziger Eintrag – weder zur Kellerassel an sich, noch zur gesamten Gruppe der Landasseln. Lediglich für die Höhlenassel lag eine Handvoll an Nachweisen vor. Es sollte bis 2015 dauern, bis Landasseln vermehrt dokumentiert wurden. Doch auch hier handelt es sich durchwegs um Zufallsbeobachtungen. Aus Beifängen zu einem anderen Projekt resultierte auch die einzige größere Veröffentlichung über diese Tiergruppe: Als sich Ende der 1940er-Jahre eine Doktorarbeit den Tausendfüßlern Vorarlbergs widmete, wurden bei den Geländeerhebungen auch die Landasseln gesammelt und anschließend an der Universität Innsbruck von einem anderen Bearbeiter studiert.
Landasseln gehören zu den archaischsten, ja beinahe anachronistisch anmutenden Vertretern der Gliedertiere. Diese Krebstiere stammen ja wirklich aus einer anderen Welt! Ihre nächsten Verwandten sind durchwegs Wasserbewohner. Vom Meer ausgehend, haben sie das Brack- und Süßwasser erobert, aber nur die Oniscidea haben den Landgang aufs Festland geschafft. Sie sind die einzigen dauerhaft an Land lebenden Krebs­tiere, und sie können sich als einzige auch außerhalb des Wassers fortpflanzen. Von den weltweit mehr als 3500 verschiedenen Landassel-Arten sind 52 in Deutschland heimisch. In Vorarlberg wurden bisher 15 Arten nachgewiesen – mit Sicherheit nicht das gesamte Spektrum!
Der Körperbau der Landasseln gleicht dem ihrer wasserbewohnenden Verwandten: Die deutlich erkennbaren Einzelsegmente sind nach oben durch einen Schild aus Chitin und Kalk geschützt. Kopf und Vorderbrust sind miteinander verwachsen und können nur gemeinsam bewegt werden. Hier liegen Augen und Antennen, hier befinden sich die Mundwerkzeuge. Im Brustabschnitt hingegen sind die einzelnen Segmente frei gegeneinander beweglich. Aber nur eine kleine Familie, die Rollasseln, können sich als Schutz zu einer Kugel zusammenrollen. Die Brustsegmente tragen die sieben Laufbeinpaare der Tiere. Begattete Weibchen bilden nach einer Häutung zwischen den Beinen eine spezielle Brutkammer, das Marsupium. In ihm werden die Eier (je nach Art bis zu 160 Stück) abgelegt. Als Reminiszenz an die aquatische Herkunft muss das Marsupium mit Flüssigkeit gefüllt sein. Assel-Weibchen tragen also ihren Nachwuchs wie in einem mobilen Aquarium mit sich. Der Hinterleib zeigt die deutlichsten Veränderungen im Zuge der Anpassung an die Landlebensweise. Um die Atmungsorgane zu schützen, sind die Schwimmbeine der Krebse hier zu flachen Platten umgebildet. Bei den Männchen dient das vorderste Paar der umgebauten Beine gleichzeitig als Begattungsorgan.
Trotz Landgang haben die Asseln die Kiemenatmung aller Krebstiere beibehalten. Aber manche Arten haben ein eigenes, zusätzliches Atmungsorgan entwickelt: Die umgestalteten Schwimmbeine zeigen nun Einstülpungen, die Luft aufnehmen und Sauerstoff in den Körper weiterreichen können. Diese „Behelfslungen“ sind in luftgefülltem Zustand an ihrer weißen Farbe erkennbar. Ihre Anzahl variiert von Art zu Art – sie sind ein wichtiges Bestimmungsmerkmal. Aber keine Landassel-Art hat ihre Kiemenatmung vollständig verloren. Die Kiemen müssen ständig feucht gehalten werden: Landasseln bevorzugen daher feuchte Lebensräume, und sie sind nachtaktiv. Tagsüber halten sie sich zum Schutz vor Austrocknung durch die Sonne unter Steinen, in der Bodenstreu oder der obersten Erdschicht sowie in Spalten und Ritzen im Mauerwerk, ja auch in Höhlen und (feuchten) Kellern versteckt. Weil sie ihren Chitinpanzer mit Kalk verstärken, meiden sie kalkarme Lebensräume. Aber bereits der Mörtel und Verputz im Keller kann ihnen den nötigen Kalk liefern. Obwohl völlig harmlos, stoßen Asseln in menschlichen Behausungen auf wenig Gegenliebe. 
Asseln sind zwar keine reinen Vegetarier, aber sie bevorzugen pflanzliche Kost. Auch wenn sie mit ihren kräftigen Mundwerkzeugen frische Pflanzen und Holz zerkleinern könnten, steht abgestorbenes, feuchtes und schon leicht mikrobiell vorzersetztes Material an oberster Stelle der Speisekarte. Algen, Pilze, Spinneneier und Insektenkadaver werden nicht verschmäht. Asseln fressen auch ihren eigenen Kot: Ihr Verdauungstrakt ist wenig effizient, und nicht aufgeschlossene Nährstoffe werden im nächsten Durchgang genutzt.
So urtümlich die Landasseln auf den ersten Blick erscheinen, so faszinierend sind sie. Die größeren Arten lassen sich auch anhand detailgetreuer Fotos gut unterscheiden. Noch fehlen Streufunde aus weiten Teilen des Landes – aber wenigstens die größeren Arten sollten vermehrt Eingang in unsere Datenbank zur Artenvielfalt Vorarlbergs finden!

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