J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Weder selten noch erdig

November 2023

Die Förderung von Selten­erd­metallen in Schwedens Provinz Lappland könnte den Weltmarkt drastisch verändern und die Abhängigkeit von China signifikant mindern. 

Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens, verdankt ihre Entstehung dem Eisen. Erstmals schriftlich erwähnt wurde die Lagerstätte im Jahr 1696. Doch sie lag zu weit abgelegen und in einer unwirtlichen Umgebung. Erschwerend hinzu kam der hohe Phosphorit-Anteil im Erz, der eine Verhüttung mit den damals zur Verfügung stehenden Methoden praktisch unmöglich machte. Auch eine in den 1870er-Jahren entwickelte neue Technologie im Hüttenwesen genügte nicht, um die Lagerstätte wirtschaftlich nutzen zu können. Dies änderte sich erst, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Eisenbahn­linie zum Abtransport des geförderten Erzes gebaut wurde. Um 1900 schließlich begann der wirtschaftlich rentable Bergbau. Heute gilt Kiruna als größtes Eisenerz-Bergwerk der Welt. Abgebaut wird hochwertiger Magnetit, der die Lagerstätte zur zweitstärksten magnetischen Anomalie der Erde macht.
Zu Beginn des heurigen Jahres geriet Kiruna aus einem anderen Grund in die Schlagzeilen. Neben der in Abbau befindlichen Hauptlagerstätte gibt es einige weitere, kleinere Erzvorkommen. Um diese in ihrer Ausdehnung und Qualität besser fassen zu können, führte die Bergwerksgesellschaft in den vergangenen  Jahren umfangreiche geowissenschaftliche Explorationsarbeiten durch. Die mineralogisch-geochemische Analyse der Erze aus einer dieser Lagerstätte führte zu einem überraschenden Ergebnis: In der Nähe von Kiruna liegt Europas größtes Vorkommen von Seltenen Erden.
„Seltenerdmetalle“ ist die offizielle Bezeichnung in der Anorganischen Chemie für insgesamt 17 chemische Elemente mit ähnlichen Eigenschaften. Ganz unumstritten ist deren Definition nicht, denn Scandium und Yttrium tanzen etwas aus der Reihe, wenn man ihr Verhalten bei der Abkühlung und Kristallisation aus einer magmatischen Schmelze betrachtet. Alle anderen gelten als inkompatible Elemente, die nicht oder wenig in das Kristallgefüge normaler gesteinsbildender Minerale eingebaut werden. Sie sind umso mehr in der offenen, ungeordneten Struktur einer (Rest-)Schmelze und somit in den aus dieser kristallisierenden Minerale angereichert. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist meist salopp von „Seltenen Erden“ die Rede. Der Name ist doppelt irreführend. Selten sind lediglich die Minerale, aus denen diese Metalle erstmals isoliert und beschrieben wurden. Betrachtet man aber die Erdkruste als Ganzes, so sind die Seltenerdmetalle keineswegs rar. Das seltenste stabile Element aus dieser Gruppe, das Thulium, ist global betrachtet häufiger als Gold und Platin. Die Elemente Cerium, Yttrium und Neodym liegen in ihrer Häufigkeit sogar vor Blei, Kupfer, Molybdän und Arsen. Tatsächlich selten sind hingegen die Lagerstätten, die einen wirtschaftlich rentablen Abbau erlauben. „Erden“ wiederum ist eine alte Bezeichnung für Oxide. Denn in der Anfangszeit konnten die Seltenerdmetalle nur in Form ihrer Sauerstoffverbindungen gewonnen werden. Die primäre Gewinnung der Seltenerdmetalle erfolgt auch heute noch als Oxide. Aber in den Hochtechnologiebereichen und Energiespartechnologien werden sie nach hochreiner Aufbereitung in elementarer Form weiterverarbeitet.
Aus unserem täglichen Leben sind die Seltenen Erden nicht mehr wegzudenken – auch wenn wir uns ihrer Präsenz nicht bewusst sind. Yttrium, Europium, Terbium, Dysprosium und Thulium finden in Leuchtstofflampen und LEDs Verwendung. Praseodym, Neodym, Samarium, Terbium, Dysprosium und Holmium ermöglichen die Herstellung von Hochleistungs- und Dauermagneten, die zum Beispiel in Elektromotoren, Windkraftanlagen, Kernspintomografen, Diktiergeräten, Kopfhörern und Festplatten zum Einsatz kommen. Seltenerdmetalle werden auch in der Lasertechnik, für Röntgen- und Fernsehgeräte sowie für Glasfaserkabel benötigt. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. 
Kurz: Seltene Erden sind sehr gefragt. Und damit beginnt das Problem. Mit einer jährlichen Produktion von offiziell rund 168.000 Tonnen Seltenerdmetalloxiden ist China mit großem Abstand Marktführer. Wie viel dort zusätzlich im illegalen Abbau gewonnen wird, lässt sich freilich nicht beziffern. Es folgen abgeschlagen die USA (42.000 Tonnen), Myanmar (19.700 Tonnen) und Australien (15.600 Tonnen). Die übrigen Produzenten spielen auf dem Weltmarkt kaum eine Rolle. In der Industrie wird die Abhängigkeit von China kritisch betrachtet: 2011 beschränkte China die Exportquote für die leichten Seltenen Erden Neodym, Lanthan, Cerium und Europium auf 35.000 Tonnen, und der Export der schweren Seltenen Erden Yttrium, Thulium und Terbium wurde vollständig verboten. Diese Beschränkungen wurden Anfang 2012 aufgehoben, nachdem sie von der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) für unzulässig erklärt worden waren. Doch die Befürchtungen von Lieferengpässen waren damit nicht aus der Welt. Mit gutem Grund: Im Juni 2019 drohte China nach einem Handelskonflikt erneut mit der Drosselung des Verkaufs Seltener Erden in die USA. Der Konflikt konnte beigelegt werden, aber das grundsätzliche Problem bleibt bestehen.
Die Förderung von Seltenerdmetallen in Kiruna könnte den Weltmarkt drastisch verändern und die Abhängigkeit von China signifikant mindern. Doch es ist offen, wann der Bergbau – falls überhaupt – beginnen kann. Denn im Gegensatz zu China, wo bei der Gewinnung mit Hilfe von Säuren große Mengen an hochgiftigem Schlamm anfallen (dessen Lagerung in Absetzbecken eine latente Gefahr auch für den Menschen darstellt), ist der Bergbau in Europa mit hohen Umwelt- und Sicherheitsauflagen belegt. Das Genehmigungsverfahren für den Abbau kann sich lange Jahre hinziehen, und der Ausgang ist ungewiss.

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