
Wer wohnt im Moor?
Welche Pflanzen ein Hochmoor aufbauen, ist hinlänglich bekannt. Wissenschaftliche Sensationen sind hier kaum zu erwarten. Anders ist es um die Tierwelt bestellt. Mit den Wirbellosen im Moor hat sich – mit Ausnahme der Schmetterlinge – nie jemand im Detail auseinandergesetzt. Die inatura wollte mehr wissen und hat ein Forschungsprojekt dazu in Auftrag gegeben.
Ein Hochmoor ist ein hochsensibles Ökosystem: Ohne eine direkte Verbindung zum Grundwasser, bezieht es die Nährstoffe für seine Bewohner einzig aus dem Niederschlag und dem Eintrag durch Wind. Jeder zusätzliche Nährstoffeintrag bedeutet eine massive Verschlechterung des Systems. Nur eine kleine Zahl höchst spezialisierter Pflanzen kann unter solch extremen Bedingungen gedeihen. Torfmoose sind die wichtigste Gruppe, daneben sind Sauergrasgewächse und einige Zwergsträucher zu finden. In jedem anderen Lebensraum hätten diese Pflanzen keine Chance – sie würden von schnell wachsenden Konkurrenten überwuchert. Hochmoore gehören somit zu den komplexesten, aber auch zu den gefährdetsten Lebensräumen unseres Landes. In der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union ist dieser Lebensraumtyp als besonders schützenswert ausgewiesen. In Vorarlberg wurde das bereits 1974 zum Naturschutzgebiet ernannte Fohramoos am Bödele über Dornbirn und Schwarzenberg 1995 als Europaschutzgebiet nominiert.
Wie alle unsere Lebensraumtypen sind auch die Teilbereiche eines Hochmoors durch ihren Bewuchs charakterisiert. Pflanzen sind stationär und leicht bestimmbar. Für den Naturschutz sind Pflanzen daher die erste Wahl, wenn es gilt, den Ist-Zustand und die Veränderungen eines Ökosystems zu dokumentieren. Von der Pflanzengemeinschaft wird auf die Attraktivität für die Tierwelt geschlossen. Doch welche Tiere tatsächlich dort wohnen, kann in Naturschutzverfahren notgedrungen kaum berücksichtigt werden. Die überwiegende Mehrzahl der Tiere ist klein und unscheinbar und kann nur von Spezialisten unter dem Mikroskop bestimmt werden. Genau solche Spezialisten hat die inatura beauftragt, das Fohramoos aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Zwei Jahre lang versuchte ein zwölfköpfiges Forscherteam, mit den unterschiedlichsten Methoden und Fallen einen repräsentativen Querschnitt durch die Kleinlebewelt im Fohramoos zu fangen. Joghurtbecher als „Stolperfallen“ kamen ebenso zum Einsatz wie das klassische „Schmetterlingsnetz“, Siebe und Saugflaschen. Die Ausbeute war ein schier unüberschaubar erscheinendes Gewirr an „Krabbelzeugs“, das schon parallel zu den Geländeerhebungen gesichtet und sortiert, auf die einzelnen Bearbeiter aufgeteilt und bestimmt worden ist. Webspinnen und Weberknechte, Hornmilben, Tausendfüßer, Wanzen, Käfer und Heuschrecken, Bienen und Ameisen, Libellen und nicht zuletzt die Weichtiere waren die Tiergruppen, die in diesem Projekt möglichst vollständig erfasst werden sollten. Nicht ein reines Arteninventar war das Ziel, sondern auch die Beziehungen der einzelnen Teillebensräume im Fohramoos zueinander sollten anhand ihrer tierischen Bewohner beleuchtet werden. Erst ein Teil der Ergebnisse liegt vor und ist auf der Plattform „inatura Forschung Online“ im Internet veröffentlicht.
Eine jener Publikationen ist den Käfern gewidmet. Die nackten Zahlen sind schnell notiert: 465 Arten aus 50 Familien konnten in den beiden Erhebungsjahren im Fohramoos nachgewiesen werden, immerhin neun Arten davon erstmals für Vorarlberg. Die höchsten Arten- und Individuenzahlen erreichten die Kurzflügelkäfer (198 Arten), während schon die Laufkäfer auf Platz zwei mit 46 Arten weit zurückliegen. Die größte Individuenzahl zeigte ein wenige Millimeter großer Winzling: Cyphon kongsbergensis wurde mit mehr als 500 Individuen erfasst. Dem gegenüber stehen 140 Arten, die jeweils nur durch ein einziges aufgefundenes Tier repräsentiert werden. Bemerkenswerte Nachweise gelangen zu einigen spezialisierten Arten, deren Verbreitungsschwerpunkt in den (wenig untersuchten) Mooren liegt, sowie zu generell seltenen Arten.
Verweilen wir kurz bei Cyphon kongsbergensis: Obwohl er im Untersuchungsgebiet die häufigste Art war, war dieser Käfer zuvor noch nie in Vorarlberg gesichtet worden – man hat schlicht und einfach nie nach diesem typischen Moorbewohner gesucht! Im Fohramoos ist er nicht gleichmäßig im gesamten Gebiet zu finden. Er bevorzugt das offene Hochmoor und ist auch im Übergangsmoor noch häufig vertreten. Doch bereits das renaturierbare Hochmoor (ein von menschlicher Nutzung geprägter, aber noch nicht rettungslos zerstörter Bereich) wird von dieser Art gemieden, und in den Randbereichen mit ihrem Fichtenbestand ist sie überhaupt nicht mehr anzutreffen. In den Randbereichen hingegen wurden die höchsten Artenzahlen nachgewiesen: Der Fichten-Moorwald nimmt hier mit 177 Arten den ersten Platz ein.
Eines zeigen die bereits vorliegenden Ergebnisse klar: Die Unterschiede und Querverbindungen zwischen den Teillebensräumen sind komplexer, als es der Pflanzenbewuchs vermuten ließ. Und das Fohramoos als Ganzes unterscheidet sich von anderen, tiefer gelegenen Feuchtgebieten. Als regulierende Faktoren werden unter anderem die montane Lage, die standortbedingt niedrigen Temperaturen, die geringe pflanzliche Vielfalt und damit einhergehend ein Mangel an Nahrung und Unterschlupf diskutiert. Wer nachlesen möchte, findet diese Studie (und etliche andere Forschungsberichte der inatura) unter: www.inatura.at/Forschung-Online.10963.0.html
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