wilde Gesellen, wilde Geschichten
Wer bei den Begriffen „Wilderer“ und „Wildschütz“ an dramatische Heimatfilme in Schwarz-weiß denkt, liegt richtig – und auch wieder nicht. Denn der jahrhundertalte Reiz des Jagens in fremden Revieren hat bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt. Den „Jagdberechtigten“ (Jäger) standen die „Wilderer“ gegenüber. In beiden Gruppen machte sich gleichermaßen das Erbe ihrer Urväter bemerkbar, das Verfolgen, Aufspüren, Jagen und Töten der Beute mit oder ohne Berechtigung. Aus einem Miteinander wurde ein Gegeneinander – Rivalität, Feindschaft und Hass.
Trafen Wilderer und Jäger aufeinander, wurde im Zweifelsfall nicht lange gefackelt. Speziell in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gingen die beiden Fronten mit äußerster Brutalität gegeneinander vor. Oftmals wurde sofort und ohne Vorwarnung geschossen. So kam es zu Fehden und oft zum Kampf auf Leben und Tod, selbst bis in die Jetztzeit, wenn auch in abgeschwächter Form. Was sich aus der Sicht Ersterer als „gutes altes Recht“ präsentierte, konnte aus obrigkeitlicher Perspektive durchaus als Rechtsanmaßung und „Verachtung landesfürstlicher Autorität“ qualifiziert werden.
Das Ländle als Revier
Besonders in den Bergregionen unserer Heimat hatte man schon immer ein eigenes Verhältnis zur Jagd und zum Wild. Das Leben und Überleben in diesen unwirtlichen Gegenden brachten einen eigenen Menschenschlag hervor. Einfach in der Lebenshaltung und Denkweise, tief religiös und fest mit der ihn umgebenden Natur verbunden, hatte dieser Mensch eine spezielle Einstellung zur Freiheit und einen ausgeprägten Stolz. Peter Rosegger beschrieb den Wilderer in seinem Buch „Die Älpler“ als einen in der alten Kultur der Gebirgsbauern beheimateten Menschen, der es sich nicht gefallen lässt, dass ihm das Recht zur Jagd genommen ist. „Die Wilderer kannten nur einen Herrn“, so Rosegger, „die mit ihren Gewalten und Schrecknissen sie zähmende Natur. Sie kannten nur einen Freund, den Kugelstutzen, den sie mit vollster Sicherheit zu handhaben wussten, und sie kannten nur einen Feind, den Jäger.“
Mit den klassischen Wilderern verbindet sich eine jahrhundertalte rebellische Randkultur, die stets eine besondere Faszination ausübte. Der unterdrückte Bauer, dem die Jagd verboten war, stellte sich seinen adeligen Unterdrückern gleich, indem er ihnen die Gams oder den Hirsch wegschoss. Den Adeligen und dem Klerus war es egal, ob das Wild die Felder verwüstet hat. Das ging so weit, dass Hunde der Bauern abgeschossen oder diesen kurzerhand die Pfoten abgeschnitten wurden. Die Wilderer ließen sich auch durch drakonische Strafen nicht abhalten. Die Landesherren waren nicht zimperlich. So ließ zum Beispiel der Erzbischof von Salzburg einen Bauern, der einen Hirsch gewildert hatte, in die Hirschhaut einnähen und von seinen Hunden auf einem öffentlichen Markt zerfleischen.
Schlechte Zeiten
Vor allem in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sah die Landbevölkerung nicht ein, dass sie hungern sollte, während das Wild weiterhin in den Revieren der „feinen“ Jagdherren herumstand; und Schusswaffen waren als Folge des Krieges in der Bevölkerung zahlreich vorhanden. Als schließlich im Inflationsjahr 1923 die Not wuchs und für Wildbret Phantasiepreise bezahlt wurden, machte sich so manch einer unerlaubt auf die Jagd, der sonst zu Hause geblieben wäre. Auch 1931, im Jahr der Weltwirtschaftskrise und der großen Arbeitslosigkeit stieg die Wilderei sprunghaft an.
Während der nationalsozialistischen Zeit wurde das Wildern zunehmend kriminalisiert und hart bestraft. Der Wilderer wurde ähnlich wie ein Kriegsverbrecher eingestuft und landete nicht selten in einem Strafbataillon. Der Ausgang des Zweiten Weltkrieges brachte einen erneuten Niedergang und eine Wende auf dem Gebiet der Jagd und der damit verbundenen Gesetzgebung. Nicht nur Österreich, auch die Jagd war an einem Tiefpunkt angekommen. Während die heimische Bevölkerung wieder einmal zur Nahrungsbeschaffung illegal dem Wild nachstellte, standen bei den Besatzungssoldaten Trophäen hoch im Kurs. Meist benutzten sie nicht einmal Jagdwaffen, sondern schossen auf alles Wild, das ihnen vor die Maschinenpistole kam. Die Alliierten vollzogen eine totale „Entwaffnung des österreichischen Volkes“, insbesondere der Jägerschaft, und bedrohten Verstöße gegen diese Bestimmungen mit der Todesstrafe. Trotzdem wurde gerade in dieser Zeit der Entwaffnung der Bevölkerung besonders stark gewildert – mit Hilfe von vermehrter Schlingenstellerei und illegalen Fallen.
Wildererbande in der Falle (1976)
„Langsam, im Kriechtempo, bewegt sich ein grüner Renault R 16 auf der Forststraße in Richtung „Sieban Tobel“ (bei Großdorf-Egg). Die Nacht ist so weit fortgeschritten, dass jeder Normalsterbliche sich im tiefsten Schlaf wälzt. Außer den drei Verwegenen, die nach einem Hirsch Ausschau halten. Der Scheinwerfer sucht den Waldrand ab. Plötzlich steht ein Gehörnter wie versteinert im grellen Scheinwerferlicht. In der Nacht hält Hubertus seine Hand über das Revier. Jedes Wild ist ahnungslos um diese Zeit. Der Klang der Großdorfer Kirchturmglocke bestätigt die mitternächtliche Stunde, da knallt schon ein Schuss aus einem Kleinkalibergewehr – aufgelegt auf dem Autodach. Den Hirsch reißt es zusammen. Er ist von den Läufen, schlegelt fürchterlich und klagt dumpf durch die Nacht. Die Kugel hat hinter dem Blatt das Rückgrat erwischt. Mit schnellen Schritten wird der Spießer über die Wiese gezogen und im Laderaum des Autos verstaut.“ Wochen und Monate konnten Jagdaufseher Alster und die Exekutive in der Genossenschaftsjagd Egg-Großdorf nur vermuten, wer hinter den Wilddiebstählen stecken könnte. Immer wieder gab es Hinweise aus der Bevölkerung und vor allem Funde von Wildtierabfällen in unwirtlichen Tobeln und unter Brücken der Bregenzer Ache. Der Verdacht richtete sich gegen fünf junge Burschen aus Egg und Umgebung, die seit unbestimmter Zeit recht fleißig ihrer Jagdleidenschaft frönten.“ (…) Einige Wochen später, im April 1976, nach wiederholten Reviergängen der Jagdaufseher schnappte die Falle zu (…) Auszug aus dem Buch „Keine Schonzeit“
Im Gegensatz zu den Wildschützen von anno dazumal, die meist aus einfachen sozialen Schichten kamen, wird heute quer durch alle Gesellschaftsschichten gewildert. Viele Familien, besonders in waldreicher ländlicher Gegend, besaßen eine gewisse Wilderertradition. In solchen Fällen wurden das Wissen und der Waffenbesitz vom Vater an den Sohn weitergegeben. Der Feind Nummer eins ist nach wie vor derselbe: die Justiz – egal, ob in Form des Jagdaufsehers, des befugten Revierjägers oder der Exekutive. Wilderer lebten (und leben) in ständiger Furcht vor dem Entdeckt- und Ertappt werden. Eine angemessene Maskierung und ein gutes Versteck waren in früheren Zeiten Gold wert. Genauso wie die speziell auf die Bedürfnisse des Wildschützen abgestimmte Waffe – wie Flinte mit verkürztem Lauf, die man einfach im Rucksack, der inneren Rocktasche oder im Stiefelschaft verbergen konnte. Größter Beliebtheit als Wildererwaffe erfreute und erfreut sich bis in die heutige Zeit, noch immer das Kleinkalibergewehr. Auch die Kriegsmunition wurde verändert, indem die Spitze des Geschosses abgefeilt, mit einem Bohrloch versehen oder kreuzförmig eingeschnitten und dadurch zu einem Dumdumgeschoss hergerichtet wurde.
Auch wenn sich die Methoden genauso geändert haben wie die Geschlechterrollen – die Zeiten, in denen das „Wildern“ männlich war, sind längst vorbei. In den bekannten „Wilderer Regionen“ kann auch das Montafon mit einer weiblichen Vertreterin dieser illegalen Zunft aufwarten: Annemarie R. aus Gaschurn erlegte ihren ersten Bock im Jahre 1984. Vollkommen rechtmäßig im zarten Alter von 20 Jahren. Auf die Jagdprüfung folgte ein Konflikt mit dem Jagdaufseher und der Entschluss, sich „selbständig“ zu machen. Damit trat die Wildschützin in die Fußstapfen ihres Großvaters, der selbst ein begeisterter Jäger und Wilderer war. Eine Entwicklung, die – sieht man sich die Geschichte legendärer Wildererfamilien an – durchaus nicht ungewöhnlich war. Mit ihrer Waffe streifte sie mehrere Jahre lang „(…) durch Reviere, deren Grenzen sie nicht interessierten und frönte ihrer Jagdleidenschaft nach bestem Wissen und Gewissen (…)“. Es hatte sie völlig fasziniert und eingenommen, den Männern überlegen zu sein, ihnen eines auszuwischen und nicht entdeckt zu werden. Das abrupte Ende ihrer Wildererkarriere kam 1991, als die Wilderin vom Montafon von einem ehemaligen Jagdfreund verraten wurde. „Lieber den Griff zum Stutzen als zu Hause putzen“, titelte damals eine deutsche Jagdzeitung.
Illegale Jagd auf Trophäen
Seit jeher gibt es viele gute Gründe, Wild zu erlegen, das einem nicht gehört. Der historische – nämlich seine Familie vor dem Hungertod bewahren zu wollen – ist dabei sicher der ehrenvollste, wenn auch heute nicht weniger illegal als die pure Lust an der Jagd nach Trophäen oder als die Intention, ein schönes Stück Rotwild zu erlegen und zu Geld zu machen. In all den Jahrhunderten, in denen hierzulande gewildert wurde, gab es sehr wohl verschiedene „Klassen“ von Wildschützen. Jene, die das Wild fachgerecht mit ordentlich kalibrierten Waffen zur Strecke brachten (und sich damit zumindest ideologisch auf eine Stufe mit den Jägern stellten), die Schlingen- und Fallensteller, die im Ansehen schon deutlich hinter den Schützen zurücklagen sowie diejenigen, die das Wild nach der Blendung mit Autoscheinwerfern in Massen „abknallten“. Der gewissenhafte Ausbau des Verkehrsnetzes erlaubt es, mit dem Auto bis tief ins fremde Revier vorzudringen und die Tiere dort zu überraschen, wo sie keinerlei Deckung haben: auf ihren Äsungsflächen. Oft kommen dabei auch ungeeignete Waffen zum Einsatz, mit denen die Beute teilweise nur angeschossen und verletzt zurückgelassen wird. Dies verleiht dem Diebstahl eine besonders unehrenhafte Komponente.
Von den in Vorarlberg angezeigten Fällen von Wilderei werden die meisten, nämlich fünf bis zehn aufgeklärt. Laut Gernot Heigl von der Vorarlberger Jägerschaft dürfte die Dunkelziffer jedoch höher liegen. Sicher gibt es weitere Fälle, die nie zur Anzeige kommen, weil die toten oder verletzten Tiere nicht gefunden werden. Bei den Vorfällen heutzutage steht nicht mehr das Wildbret im Vordergrund, sondern der Nervenkitzel beziehungsweise die Jagd auf Trophäen. Oftmals wird der gesamte Tierkadaver zurückgelassen und nur der Kopf – also die Trophäe – abgetrennt. Bei Wilderern handelt sich oftmals um Wiederholungstäter. Der Nervenkitzel der illegalen Jagd kommt einem Suchtverhalten gleich. Wilderei ist kein Kavaliersdelikt und wird sowohl durch das Jagdgesetz als auch das Strafgesetzbuch geahndet. Für schwere Fälle sind Haftstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren möglich. Bei Geldstrafen ist mit mehreren Tausend Euro zu rechen.
Die Texte stammen aus dem Buch „Keine Schonzeit, Wilderergeschichten aus Vorarlberg“
Sigi Schwärzler, Eigenverlag Neuauflage 2020;
Das Buch ist in jedem renommierten Buchhandel erhältlich.
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