Wolfgang Vogelsänger

Vogelsänger (63) ist Direktor der IGS Göttingen, die 2011 mit dem deutschen Schulpreis ausgezeichnet worden ist.

Schulentwicklung in Vorarlberg – ein neuer Weg?

April 2015

Als 2014 eine Delegation der Wirtschaftskammer Vorarlberg und der Arbeiterkammer Wien zu einem Schulbesuch nach Göttingen kam, ahnte ich noch nicht, dass das der Beginn eines wohl einzigartigen Prozesses sein sollte. Die Wirtschaftskammer hatte sich auf den Weg gemacht, gute Schulen in Deutschland zu suchen, um diese dann als Beraterschulen für eine Schulentwicklung in Vorarlberg zu gewinnen.

Gewöhnlich wird Schulentwicklung von oben initiiert (Neue Mittelschule) oder von der Basis aus gestartet (freie Schulen). Nach meinen Erfahrungen haben beide Varianten nur eine geringe Breitenwirkung. Staatlich verordnete Schulentwicklung ist oft zu sehr auf Organisationsformen oder die Festlegung von Standards, Prüfungen und Inhalten ausgerichtet. Sie geht von der Theorie und nicht von einer funktionierenden Praxis aus und wird daher oft von Lehrpersonen und Eltern abgelehnt. Mit Recht. Meine Schule konnte nur deswegen den Deutschen Schulpreis 2011 gewinnen, weil wir mit staatlichen Vorgaben kreativ umgehen. Freie Schulen bleiben Exoten, haben kaum Auswirkung auf das Schulsystem an sich.
Die Wirtschaftskammer geht einen dritten Weg, der meiner Meinung nach Erfolg verspricht: In Vorarlberg sollen Schulen in einen Schulentwicklungsprozess eintreten, die dann ihrerseits wiederum Vorbild für andere Schulen sein können. Dabei soll sowohl über die Elternzufriedenheit mit diesen Schulen als auch über deren Qualität in den Kompetenzen der Schüler deutlich werden, dass gute Schule geht. Auch in Vorarlberg.

Als Spezialist für Projektmanagement mit Einfluss und Ressourcen legte die Wirtschaftskammer klare Ziele fest:

  • Zusammenarbeit ausgewählter Mittelschulen mit einer Leuchtturmschule auf freiwilliger Basis
  • Schaffung einer breiten Öffentlichkeit für das Projekt
  • Identifizierung von Mittelschulen, die bereit sind, sich auf den Weg zu machen
  • Durchführung des Projekts mit dem Ziel, dass sich diese Mittelschulen zu „Magneten“ in der Region entwickeln
  • Begleitung der Entwicklung dieser Schulen mit Beratung durch die IGS Göttingen und Evaluation durch die Pädagogische Hochschule Feldkirch und die Universität Göttingen
  • Gewinnen eines BORG zur Zusammenarbeit

Jetzt, im April 2015, sind wir mitten im Prozess, daher ist eine erste Bilanz zu ziehen – subjektiv aus meiner Sicht des Schulleiters einer der besten Schulen Deutschlands und als Hauptpartner der Wirtschaftskammer, insbesondere als Partner von Christoph Jenny und der Projektschulen.
Die einzelnen Schritte des Projekts sprechen für eine professionelle Projektplanung: der Paukenschlag des ersten Bildungskongresses in Bregenz, die Veranstaltung im WIFI Dornbirn mit etwa 200 Leitungspersonen, die Gespräche mit dem Inspektorat und dem Landeshauptmann, die Fahrten von Leitungen und Lehrpersonen aus vier Mittelschulen an die IGS Göttingen mit Schul- und Unterrichtsbesuchen, die Schaffung einer gemeinsamen Lernplattform zum Informationsaustausch, die Besuche von Professor Veith, meiner Frau und mir an den Vorarlberger Schulen und das passgenaue Coachen der Vorarlberger Schulleitungen und Lehrpersonen während ihrer Arbeit.

Eines ist klar geworden: Schulentwicklung geschieht nicht in Seminaren und zentralen Weiterbildungen, sondern im Unterricht selbst. Daher besuchen unsere erfahrenen Pensionäre Birgit Wurtinger und Detlev Oesterhelt die Kollegen in ihren Klassen und geben Feedback und Anregungen aus unserer Göttinger Sicht. Was davon übernommen wird, entscheiden die Vorarlberger Schulen. Auch ist sicher: Schulentwicklung braucht starke und konstante Verbündete wie die Wirtschaftskammer.

Was ist erreicht?

An drei Vorarlberger Mittelschulen wird schon in vielen Klassen nach unserem Tischgruppenmodell gearbeitet. Da dies ein sehr komplexes Lernsetting ist, ist die Begleitung dieser Arbeit durch uns immer wieder wichtig. Es geht nicht nur um eine Änderung der Sitzordnung, sondern um ein anderes, ein schüler- und teamorientiertes Lernen.
Dabei treffen wir mit unseren Vorstellungen auf äußerst motivierte und engagierte Kollegien. Alle drei Schulen wollen Veränderung, haben schon vieles verändert, um ihre Schulen an den Kindern und den Bedürfnissen unserer modernen Gesellschaft auszurichten. In allen drei Schulen arbeiten höchst motivierte und professionelle Schulleitungen und Lehrpersonen, die vom Göttinger Modell begeistert sind und die nun versuchen, die dahinterstehende Philosophie in ihre eigenen Schulen einzupassen.

Die ersten Erfolge sind schon zu sehen und zu spüren: Entspanntere Lehrpersonen, die Doppelbesetzung in einzelnen Stunden macht plötzlich Sinn, zufriedene und gut miteinander kooperierende Kinder. Spaß am Lernen. Natürlich gab es auch Rückschritte, Misserfolge, Zweifel. Das ist aber normal und war zu erwarten. Trotzdem: Die große Linie stimmt.

Die nächsten Schritte

Die Eltern müssen von den Schulen ins Boot geholt werden. Sie müssen wissen, was ihre Kinder im nächsten Schuljahr erwartet. Es muss geklärt werden, ob die Schulen in den ersten Jahrgängen auf Noten verzichten können, um in Lernentwicklungsberichten eine fundiertere Rückmeldung geben zu können, als dies durch einfache Noten geschieht. Idealerweise würde sich ein BORG dem Projekt anschließen, damit die Eltern sicher sein können, dass die in der Mittelschule gelernten Methoden auch im BORG angewendet werden.
Sollte uns dies gelingen, dann wäre der Erfolg des Projekts schon heute sicher.

Mir macht die Arbeit in Vorarlberg Spaß. Ich habe viele nette Menschen und eine wunderbare Region kennengelernt, habe Freunde gewonnen. Es braucht noch viel Arbeit, Kraft und Unterstützung durch die ganze Region Vorarlberg, durch Eltern, Lehrpersonen, Verwaltung, Politik und Wirtschaft. Der Anfang ist gemacht, ergreifen wir die Chance auf gute Schulen in Vorarlberg.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.