Herbert Sausgruber

Das mediale Bild der Welt

Januar 2020

Von Information und Kritik, der Notwendigkeit der Inszenierung und der Verantwortung von Medien und Intellektuellen.

Die öffentliche Aufarbeitung von Problemen und Lösungen und die Bewusstseinsbildung spielen in der Demokratie eine besondere Rolle, weil jeder wesentliche Beschluss eine Mehrheit in Parlament und (oder) Regierung braucht und Mehrheit in der Bevölkerung zu Recht Grundlage der Gestaltungsfähigkeit an sich ist. Möglich machen heißt in der Demokratie auch mehrheitsfähig machen.
Medien haben eine wichtige aufklärende Funktion der Information und Kritik und damit auch die Aufgabe, Fehlentwicklungen und Missstände aufzuzeigen und (differenzierten) Tatsachen und Zusammenhängen gegenüber Behauptungen und Gerüchten und der Vernunft gegenüber negativer Emotion einen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung zu geben.
Von Natur aus richtet sich das Interesse der menschlichen Wahrnehmung stark auf Ungewöhnliches und mögliche Gefahr. Das bedrohliche Ereignis, das Angst macht, wird mindestens zehnmal stärker wahrgenommen als das alltägliche Geschehen. Diese natürliche Struktur der Aufmerksamkeit lässt Gewöhnliches und Gewohntes in den Hintergrund treten und verändert den Blick auf die Wirklichkeit durch Vergrößerung des Ungewöhnlichen und Bedrohlichen. Dadurch kann es beispielsweise passieren, dass entscheidende Veränderungen, wenn sie sich schrittweise und nicht spektakulär ergeben, der Aufmerksamkeit entgehen und verschlafen werden. Dazu kommt, dass eine große Neigung besteht, konkret wahrgenommene Einzelfälle rasch zu verallgemeinern und damit als verbreitet oder gar als Regel aufzufassen.
Die wirtschaftliche Logik der Medienpraxis ist der Verkauf von Aufmerksamkeit. Das ergibt eine Neigung, klein darzustellen oder zu übergehen, was sich nicht zur Erregung von Aufmerksamkeit eignet, Vorrang für das Aktuelle und Spektakuläre und eine Tendenz zur Überbewertung von Konflikten. Das Positive interessiert besonders, wenn es sich als neu ins Bild setzen lässt oder direkt Emotionen anspricht, etwa als strahlende Persönlichkeit, außergewöhnliche Tat oder intensive Beziehung, die berührt. Die durchschnittliche Alltagswirklichkeit kann daher stark vom veröffentlichen Geschehen abweichen. Es entsteht auch beim Bemühen um Objektivität insgesamt ein verändertes Bild, bei dem das Gewöhnliche, das langfristig Notwendige und die schrittweise Entwicklung Mühe haben, vorzukommen, weil Aktualität und Wahrnehmungsinteresse einer anderen Logik folgen. Relevanz für die Berichterstattung muss nicht Relevanz im wirklichen Leben bedeuten, weil es Unspektakuläres, Gewöhnliches und sogar Langweiliges gibt, das Bedeutung hat.
Qualitätsmedien und eine beachtliche Zahl von Journalisten bemühen sich um Wirklichkeitsnähe und auch um entscheidende Fragen und das langfristig Notwendige. Sie können sich aber in ihrer Arbeit der natürlichen Struktur der Aufmerksamkeit und ihrer Nachfragemacht nicht völlig entziehen. Daher und wegen des Gebotes der Objektivität und Ausgewogenheit haben zum Beispiel begabte Populisten auch in Qualitätsmedien eine verlässlich hohe Medienpräsenz, wenn sie auch kritisch kommentiert werden.
Medien, Parteien und Interessensvertretungen nutzen die natürliche Struktur der Aufmerksamkeit mit dem Vorrang für Ungewöhnliches und Gefahr zwar unterschiedlich stark, aber im Wettbewerb doch aktiv. Dadurch wird der Abstand zur Wirklichkeit in der Wahrnehmung mit Übertreibung, Verstärkung von Konflikten und einem Hang ins Negative vergrößert. Das Gemeinsame und gewöhnlich Positive gerät aus dem Blick und wird unterbelichtet.

Die Natur der Aufmerksamkeit: Vergrößerung des Ungewöhn­lichen und Bedrohlichen.

Notwendigkeit der Inszenierung

Das langfristig Notwendige und die schrittweise Veränderung brauchen Inszenierung, um Wahrnehmungsinteresse zu wecken. Was nicht als neu oder außergewöhnlich erscheint, wird als nicht relevant übergangen. Die Inszenierung gelingt leicht bei konkreten, entschiedenen oder, noch besser, verwirklichten Projekten oder funktionierenden Modellen. Jedenfalls sind neue Fakten, die sich ins Bild setzen lassen, interessant. Für die Berichterstattung kann es ein Vorteil sein, wenn ein Vorhaben umstritten ist, da ein Konflikt Aufmerksamkeit weckt und eine Botschaft trotz Gegenargumenten besser durchkommt.
Die Öffentlichkeitsarbeit politischer Führung steht vor der Herausforderung, für das langfristig Notwendige mit seinen belastenden Elementen und dem bescheidenen Kompromiss, der leider oft kein großer Wurf sein kann, Aufmerksamkeit und mehrheitliche Zustimmung zu finden. Unter der Begleitung von Parteienwettbewerb und den gepflegten Erwartungen von Interessensvertretungen ist es eine reizvolle Aufgabe für kreative Köpfe.

Verantwortung von Medien und Intellektuellen: Sagen, was ist.

Nicht nur die politische Führung, sondern auch der Journalismus erhebt den Anspruch, zu sagen, was ist (Rudolf Augstein). Das bedeutet, versäumte Chancen, Fehlentwicklungen, Missstände aufzuzeigen, nichts zu bemänteln, aber auch nicht zu verschweigen, was (positiv) ist, Nähe zur Lebenswirklichkeit, keine Überbewertung von Konflikten, kein Hang zu negativer Emotion und Polarisierung und die Kraft, (differenzierten) Tatsachen Raum zu geben. Diese Verantwortung deckt sich keineswegs zur Gänze mit der Logik des Verkaufs von Aufmerksamkeit und ist daher eine bleibende Herausforderung für journalistische Qualität und die wirtschaftliche Geduld der Herausgeber.
Das Internet schafft neue Möglichkeiten der direkten Botschaft an Gruppen und Einzelne. Damit entfällt die Entscheidung des Journalisten, was berichtenswert ist. Der natürliche Hang der Aufmerksamkeit zum Außergewöhnlichen und Bedrohlichen wird allerdings nicht verändert. Es entsteht im Gegenteil ein zusätzlicher Schub Richtung Polarisierung und Falschmeldung durch Anonymität und mangelnde inhaltliche Verantwortlichkeit bei der Verbreitung.
Es ist eine große Hilfe für die politische Willensbildung, wenn Intellektuelle mit ihrem Potenzial sich an der konkreten Diskussion aus Sicht der langfristigen Gesamtverantwortung couragiert beteiligen, ebenfalls sagen, was ist und die Chancen von guten Vernunftlösungen gegenüber negativen Emotionen erhöhen. Diese Möglichkeit und Aufgabe der Mitgestaltung des öffentlichen Lebens wird – höflich ausgedrückt – bescheiden wahrgenommen.

Der Artikel „Das mediale Bild der Welt“ ist Herbert Sausgrubers Publikation „Verdichtete Erinnerungen. Grundlagen erfolgreicher Gemeinschaften – ein Einblick in 30 Jahre politischer Erfahrung“ entnommen. Herausgeber der Publikation ist das Institut für Föderalismus, Innsbruck. Unter www.foederalismus.at sind die „Verdichteten Erinnerungen“ in ihrer Gesamtheit nachzulesen.

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