Herbert Sausgruber

Von Freiheit und Verantwortung

März 2020

„Freiheit zerstört sich selbst, wenn sie unbegrenzt ist.“ Sir Karl Popper

Grundlage des politischen Geschehens sind neben handfesten, leicht zählbaren Fakten – wie Bevölkerungszahl und ihre Entwicklung, Wirtschaftskraft, hohe Beschäftigung, Verteilung von Wohlstand, Budgetausgleich – auch die mentale Verfassung, die Verbreitung mentaler Stärken, Haltungen in der Bevölkerung und ihren Gruppen, die wirksame Atmosphäre schaffen (Es ist wie im Sport, wo neben den körperlichen Voraussetzungen mentale Stärke eine entscheidende Rolle spielt und zwar nicht nur als Nervenstärke im Wettkampf, sondern vor allem als Fähigkeit, über Jahre konsequent auf ein Ziel hin zu trainieren). Man kann beobachten, welche mentalen Stärken zum Erfolg führen. Solidarität, Beteiligung und Zusammenarbeit, Familie und Ehrenamt, Gemeinschaftsziele und Krisenfestigkeit sind zu nennen, zwei weitere mentale Stärken sollen an dieser Stelle aber etwas ausführlicher erwähnt werden.

 

Eine wichtige Voraussetzung für Leistung sind neben der Leistungs­motivation der Lernwille, die Offenheit für Neues, konstruktive Veränderung.

Eigenverantwortung und Leistung

Eine entscheidende mentale Stärke ist die Verbreitung der Haltung der Verantwortung in einer Gemeinschaft zunächst in der Form der Eigenverantwortung, die sich im Rahmen der Kräfte ums Eigene kümmert. Leitbild ist der selbstständige und nicht der grundlos betreute Mensch. Was man der Person zutraut und zumutet, ist in Gemeinschaften unterschiedlich ausgebildet, etwa in Österreich im Durchschnitt etwas schwächer als in der Schweiz. Es geht um die breite Bereitschaft der Gesunden zur Leistung und Initiative, das Nützen von Chancen und unternehmerisches Denken und Handeln. Die Haltung starker Eigenverantwortung ist das Gegenteil von mentaler Bürokratisierung des Lebens (träge Versicherungsgesellschaft), die sich auf perfekte Absicherung, Kontrolle und enges Zuständigkeitsdenken sowie Zentralisierung verlässt. Eng mit der Eigenverantwortung zusammen hängt die Fähigkeit zum Ertragen von Risiken und Unterschieden. Ist die verbreitete Grundhaltung Leistungsanspruch an die Gemeinschaft auch da, wo man selbst Hand anlegen könnte, Risikoscheu, Opferrolle, Überwiegen von Fürchten und Bangen, Bedenken und Abwehr jeder Veränderung, hat das Auswirkungen auf die Regelungsdichte, Wucherungen von Kontrollapparaten und Bürokratie. Wirtschaftlicher Wohlstand und seine breite Verteilung (Mittelschicht) sind nicht schicksalhaft garantiert (nicht einmal die Deckung fundamentaler Bedürfnisse), sondern sie müssen ständig erarbeitet werden, brauchen breite Leistungsmotivation, viel Know-how und großräumigen, stabilen Rahmen. Kreativität und Innovation werden unterstützt, es gibt eine Atmosphäre, die unternehmerisches Denken und Handeln einschließlich Investitionen schätzt. Motivation der Leistungsfähigen und Leistungswilligen wird gepflegt. 
Allein das Halten des erarbeiteten Wohlstandes erfordert eine breite Leistung. Nur mit Umverteilung geht es jedenfalls längerfristig nicht. Es stimmt auch nicht, dass immer dann, wenn einer etwas gewinnt, ein anderer etwas verlieren muss. Erfolg haben ist nicht unfair. Um die breite Leistungsmotivation zu erhalten, muss sich Leistung lohnen, beispielsweise braucht es einen spürbaren Unterschied zwischen niedrigen Leistungslöhnen und gesetzlicher Mindestsicherung. Eine Voraussetzung des guten Funktionierens einer Gemeinschaft ist die Motivation der Leistungsträger, derer, die leistungsfähig und leistungswillig sind. Dazu gehört auch die Perspektive, die Möglichkeit zum Einstieg und Aufstieg durch Leistung und Bildung (Durchlässigkeit). Weitere praktische Ansätze sind der im Betrieb arbeitende (Eigentümer) Unternehmer und die breite Streuung von Eigentum zum Beispiel an selbst bewohntem Wohnraum. Das Maß ist die wettbewerbsfähige Leistung, nicht die perfekte Leistung. Der Leistungsgedanke findet seine Grenze in der Gesundheit, bei den Interessen der Familie und der Umwelt. Eine wichtige Voraussetzung für Leistung sind neben der Leistungsmotivation der Lernwille, die Offenheit für Neues, konstruktive Veränderung. Diese Haltung setzt eine Grundbescheidenheit voraus: Alleswisser und Besserwisser lernen nicht und sind weniger erfolgreich (Gschidele). Lernende Haltung ist offen für eigene Erfahrung (Geschichte), Erfahrung anderer, Neuanfang nach Fehlern und sie weiß vor allem um die Grenzen des (eigenen) Wissens. Die offene Einstellung zum Lernen ist eine wichtige mentale Stärke und ein dynamisches Element. Diese Form von Neugier hilft bei der Suche nach guten und besseren Lösungen und Antworten. Lernen und Bildung beschränken sich bei aller Bedeutung nicht auf wirtschaftliche Leistung und Anwendbarkeit. Es gibt beispielsweise auch die persönliche Beziehung und das gute Miteinander, den Gesichtspunkt der Gesundheit und das Musische. Bildung ist daher mehr als Ausbildung.

 

Alleswisser und Besserwisser (Gschidele) lernen nicht und sind weniger erfolgreich.

Verantwortung und Freiheit

Verantwortung hat neben Eigenverantwortung, Solidarität als Rücksichtnahme und Hilfe in Not auch den Aspekt der Beteiligung und Zusammenarbeit in den Gemeinschaften und einen direkten Zusammenhang zum Verständnis von persönlicher Freiheit. Der Einzelne ist eingebettet in Gemeinschaften, die ihm etwas geben. Sie nehmen ihn aber auch in die Pflicht. Man schuldet den Gemeinschaften Beteiligung und Mitwirkung, ohne die sie nicht bestehen können. Freiheit ist nicht nur der Spielraum, zu tun, was gefällt. Sie ist auch nicht Beliebigkeit. Zur Freiheit gehört Verantwortung. Sie ist der Zwilling der Freiheit. Nur in Verbindung von Freiheit und Verantwortung funktionieren Gemeinschaften gut. Freiheit kann man nicht kaufen und auch nicht auf Dauer nur konsumieren. Sie lässt sich auch nicht konservieren. Sie hat mit Lebendigkeit, mit Engagement und Mut zu tun. Sie setzt im Gemeinwesen eine ausreichende Zahl an Menschen voraus, die sich aktiv beteiligen, praktisch zusammenarbeiten, couragiert eigene Positionen beziehen, konkret Verantwortung übernehmen. Dann lebt sie. 
Natürlich gibt es auch strukturelle Elemente der Freiheit, ohne die ein Gemeinwesen nicht als frei bezeichnet werden kann. Aber auch beim Vorhandensein dieser strukturellen Freiheiten können Freiheit und Individualität verkümmern durch Desinteresse, Beliebigkeit, Überängstlichkeit und durch überbordenden Egoismus von Individuen oder Gruppen. Es gibt tatsächlich eine Reihe von Freiheitskrankheiten bei gegebenen freiheitlichen Verfassungsrechten. Freiheit besteht nicht nur aus wirtschaftsliberalem Rahmen, der Leistung und Effizienz möglich macht. Das Versprechen der dauerhaft bequemen, selbstverständlichen Freiheit, bei der jeder tut, was er will und sich bestenfalls nur ums Eigene kümmert, ist ein Missverständnis, das nicht funktioniert und zu untragbaren Ergebnissen führt. Freiheit mit Verantwortung ist nicht nur entlastend, sondern auch anstrengend (individuell und in den Gemeinschaften) und bedarf ständigen Trainings.

Der Artikel „Von Freiheit und Verantwortung“ ist Herbert Sausgrubers Publikation „Verdichtete Erinnerungen. Grundlagen erfolgreicher Gemeinschaften – ein Einblick in 30 Jahre politischer Erfahrung“ entnommen. Herausgeber der Publikation ist das Institut für Föderalismus, Innsbruck. Unter www.foederalismus.at sind die „Verdichteten Erinnerungen“ in ihrer Gesamtheit nachzulesen.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.