
„Die Doping–Dunkelziffer im Hobbysport ist hoch“
„Wo es um sportlichen Erfolg geht, gibt es Doping.“ Dr. Marc Sohm, ärztlicher Leiter des sportmedizinischen Instituts im Sportservice Vorarlberg, redet nicht um den heißen Brei herum – der Mediziner vermutet auch im Hobbysportbereich eine hohe Dunkelziffer.
Der Giro d’Italia ist geschlagen, die Tour de France steht vor der Tür. Und damit stellt sich die beinahe schon traditionelle Frage: Sind der Giro und die Frankreichrundfahrt heuer „sauber“ (gewesen)? Nicht nur Radsportfans wissen, dass unzählige Dopingskandale die sportliche Glaubwürdigkeit gerade der „Großen Schleife“ durch Frankreich erschüttert haben.
Doch blicken wir nicht so weit in die Ferne und nicht zu den Weltklasseathleten. Bleiben wir in Vorarlberg und beim Hobbysport. Auch hier hat sich Radsport längst zum Boom und Massenphänomen entwickelt. Wer träumt nicht davon, schneller als der Trainingspartner zu sein oder beim lokalen Radkriterium vorne mitzumischen?
Leistungen machen misstrauisch
Klar – niemandem soll etwas unterstellt werden. Dennoch schüren die Leistungen bzw. Zeiten, die im Hobbybereich praktisch an der Tagesordnung sind, einigermaßen das Misstrauen. Für überragende Leistungen von Sportlern findet Sportmediziner Marc Sohm zwei Erklärungen: Zum einen hätten sich in den vergangenen Jahren überall die Trainingsmethoden deutlich verbessert, zum anderen seien die Sportgeräte von heute mit jenen früherer Zeiten nicht mehr zu vergleichen.
Allerdings ist er sich gleichzeitig sicher: „Im Hobbysportbereich passiert in Sachen Doping viel, ich halte die Dunkelziffer dort für sehr hoch.“ Nehmen wir beispielsweise Radkriterien: Die Teilnahme des einen oder anderen (Halb-)Profis oder renommierten Fahrers weckt Begehrlichkeiten bei den reinen Amateuren, setzt deren Ehrgeiz unter Zugzwang. Da werden mutmaßlich auch verbotene Präparate genommen, um mitzuhalten. Freilich: Oft wissen die Hobbyfahrer gar nicht, dass es sich um illegale Substanzen handelt.
Ein – negatives – Beispiel bei den Radamateuren stellt der Tiroler Emanuel Nösig dar. Im Sommer 2014 errang er noch Platz zwei beim Ötztaler Radmarathon, wenige Wochen später war er nach einer Kontrolle bei den Staatsmeisterschaften des Dopings überführt.
40 Dopingkontrolleure
Für Kontrollen bei Hobby- bzw. Amateurveranstaltungen (abgesehen von Meisterschaften) fehlt der NADA, der Nationalen Anti-Doping Agentur Austria, das Geld, und somit fehlen die erforderlichen Kontrolleure. Deren Zahl beschränkt sich derzeit auf rund 40 Personen. Und die überprüfen grundsätzlich nur das sogenannte Top-Segment und das Basissegment – also lediglich die heimischen Spitzensportler und den Nachwuchsbereich im Spitzensport.
Im Jänner 2015 hat man das österreichische Antidopinggesetz verschärft. Die Dauer der Standardsperre stieg von zwei auf vier Jahre, die Verjährungsfrist für Verstöße von acht auf zehn Jahre. „Den eingeschlagenen Weg halte ich für richtig“, sagt Sohm.
Wenn Hobbysportler dopen, dann sind vorwiegend Ausdauersportarten und Kraftsportarten betroffen – da gibt es kaum Unterschiede zu den Profis. Beim Radfahren und Laufen beispielsweise stehen die technischen Fähigkeiten nicht unbedingt im Vordergrund. Es kommt mehr auf Kraft und Ausdauer an, und dabei lässt sich mit Doping doch einigermaßen „nachhelfen“.
Giftschrank im Internet
Bei den verwendeten Dopingpräparaten wählen Amateure wie Profis aus demselben Giftschrank, den sie in der Regel im Internet öffnen. Lediglich Blut- und Gendoping bleibt wohl den Profis vorbehalten – ein mehr als zweifelhaftes Privileg. Im Ausdauerbereich steht EPO hoch im Kurs. „Dabei handelt es sich eigentlich um ein Medikament zur Vermehrung der roten Blutkörperchen“, sagt Sohm. Mehr rote Blutkörperchen bedeutet, dass mehr Sauerstoff transportiert werden kann, und damit steigt die körperliche Leistungsfähigkeit. Testosteron, ein Sexualhormon, verhilft zu rascherer Regeneration des Körpers.
Anabole Steroide, landläufig als Anabolika bekannt, sind künstlich hergestellte Wirkstoffe, die in ihrer Struktur und Wirkung dem Testosteron sehr ähneln. Sie sorgen für künstlichen Muskelzuwachs. Wer bei Kraftsportarten betrügt, verwendet dazu häufig Anabolika. Bestimmte Stimulanzien verhelfen Läufern zu besseren Starts. Die dramatischen Nebenwirkungen von EPO, das das Blut dickflüssiger macht: Es bilden sich leichter Blutgerinnsel mit der Konsequenz von Herzinfarkt und Schlaganfall. Anabolika stellen das eigene Hormonsystem auf den Kopf und können irreversible Leberschäden verursachen. Testosteron wiederum gefährdet Leber und Herz.
Risiko Nahrungsergänzung
Wenn überführte Dopingsünder um Ausreden ringen, kann hin und wieder schon ein Körnchen Wahrheit dahinterstecken. „Ich habe ein verunreinigtes Nahrungsergänzungsmittel erwischt“ – diese Argumentation breiten sie gerne vor der Presse aus. Und tatsächlich werden ehrliche Sportler oft Opfer solcher Präparate, die mit Stoffen verunreinigt sind, die auf der Dopingliste stehen.
Laut NADA haben mehrere unabhängige Studien bei der Analyse von Nahrungsergänzungsmitteln in bis zu 25 Prozent der Produkte verbotene Substanzen nachgewiesen. Der Grund: Sie wurden von der gleichen Maschine produziert wie verbotene Stoffe. „Mikrospuren der illegalen Substanzen lassen sich mehrere Tage lang nachweisen“, warnt Dr. Sohm. Das Fazit: Pech gehabt!
Der Sportmediziner kennt die Lösung, wie Sportler dieses Risiko ausschalten: „Auf solche Mittel verzichten, stattdessen auf ausgewogene Ernährung setzen.“
Apropos Ernährung: Athleten, die nach Asien reisen, sollten dort weder Schweine- noch Rindfleisch verzehren. „Die Gefahr, damit Wachstumshormone aufzunehmen, ist beträchtlich“, warnt Sohm. Und das besonders Trügerische: Wachstumshormone sind mehrere Wochen nachweisbar.
Wenn Dopingsünder im Profisport auffliegen, schreit die TV-Übertragungen konsumierende Öffentlichkeit im Gleichklang laut auf. Sohm stellt in dem Zusammenhang eine provokante Frage: „Würden die Fernsehkonsumenten noch Tour de France schauen, wenn eine Etappe sechs statt drei Stunden dauert? Oder wäre eine absolut saubere Tour einfach nicht TV-gerecht?“
Kommentare