Ralf Grabuschnig

ist Historiker, Blogger, Podcaster und Autor des Buches „Endstation Brexit“. Auf seinem Podcast sprach er Ende März über das genaue Gegenteil dieses Artikels: „Warum das mit Großbritannien und Europa nichts mehr wird.“

Europas lupenreine Demokraten – von wegen „Nationalismus überwunden“

Juni 2020

Es ist wieder in, Diktator zu sein! Zumindest muss man fast zu dem Schluss kommen, wenn man sich heute in Europa und der Welt umschaut. Wie sonst wollen Sie Möchtegern-Volkserlöser wie Viktor Orbán in Ungarn oder Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei erklären? Der Drang zur absoluten Macht ist in vielen Regierungskreisen der Welt nicht mehr zu übersehen, und das ist gleichermaßen bedrohlich wie auch un­spektakulär. Bedrohlich ist es aus dem offensichtlichen Grund. Wir begehen gerade 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs. Damit und mit der folgenden europäischen Einigung war in ganz Europa ein neuer Glaube verbunden: dass wir den Nationalismus nun ein für alle Mal hinter uns gelassen hätten. Inzwischen merken wir aber, dass dem offensichtlich nicht so ist. Der Nationalismus ist nach wie vor wohlauf. Ohne ihn wäre der (Rechts-)Populismus von heute doch auch gar nicht vorstellbar. Unspektakulär ist diese Entwicklung wiederum, weil sie beim besten Willen nichts Neues ist. Gerade in Österreich wissen wir, dass die „populistische Welle“ nicht erst seit ein paar Jahren über uns hinwegrollt, wie es in internationalen Medien manchmal den Anschein hat. Das spielt sich hierzulande zumindest seit dreißig Jahren ab! Aber auch in der früheren Geschichte ist diese Entwicklung keineswegs neu. Die Populisten von heute sind kein neuer Politikertypus. Sie finden in der Vergangenheit einen reichen Fundus an Vorbildern, den sie auch eifrig nutzen.

Das 20. Jahrhundert wimmelte nur so vor Autokraten, Alleinherrschern und solchen, die es gerne gewesen wären. In Europa wie in Asien, Afrika und Lateinamerika saßen sie das gesamte Jahrhundert über an den Schalthebeln der Macht – ob es nun die Stalin-Jünger Osteuropas, die Militärdiktatoren Afrikas und Lateinamerikas oder die Gewaltherrscher Nazi-Deutschlands und der Sowjetunion waren. Doch selbst die einflussreichsten unter diesen Herrschern fingen irgendwann als ganz kleine Populisten an – genau wie ihre Schüler heute. Nur erinnert sich daran niemand mehr. Für die Menschen von heute sind sogar die paar Jahrzehnte, die zwischen uns und der dunklen Zeit der Diktatoren liegen, schon zu lange vorbei. Niemand weiß mehr von den politischen Aufstiegen von damals – oder zumindest will sich niemand mehr so recht an sie erinnern. Selbst wenn das spätere Bild der brutalen Herrscher Hitler, Stalin oder Mussolini heute noch präsent sein mag: Die Details ihres Aufstiegs und ihre Zeit als laute Populisten sind es nicht. Und somit hält die Erinnerung an damals auch keinen modernen Populisten vom Aufstieg mithilfe derselben Methoden ab. 
Diese Populisten haben wiederum keine Skrupel, sich dieser Methoden zu bedienen. Warum sollten sie das auch? Offensichtlich funktionieren die alten Tricks doch immer noch! Die diversen autokratisch gesinnten Politiker von heute unterscheiden sich in ihrem Auftreten oft tatsächlich nur marginal von ihren brutalen Vorgängern. Sie folgen sogar demselben Handbuch, welches ihnen von den Stalins und Hitlers, den Ceauşescus und Hoxhas dieser Welt hinterlassen wurde. Methoden wie die Gängelung der Medien, das Spielen mit Feindbildern, die Überhöhung der Nation, das Nutzen von Krisen …, sie haben bis heute ihre Wirkung nicht verloren und wurden längst zu Evergreens populistischer Meinungsmache. Umso tragischer ist es, dass sich niemand an den Aufstieg der Gewaltherrscher von früher erinnern will – und daran, dass sie dafür die genau gleichen Methoden nutzten. Schauen Sie sich nur in Österreich oder Deutschland um. FPÖ und AfD werden, seit es sie gibt, dafür kritisiert, dass Elemente der Parteien antidemokratische Meinungen vor sich hertragen. Trotzdem laufen ihnen die Wähler die Türen ein. Wohin antidemokratische Politik am Ende führen kann, das ist vielen Menschen offensichtlich nicht mehr bewusst. Woran kann das liegen? Nun … Es mag wohl eine gewisse Überheblichkeit vorherrschen. Wir tendieren dazu, niemals vom Schlimmsten auszugehen. „Bei uns kann es so was doch nicht mehr geben.“ – Das hört man heute oft genug, wenn man auf die populistische Welle zu sprechen kommt. Ganz ähnliche Töne hörte man auch schon vor 100 Jahren. Viele mussten damals nur mit Schrecken feststellen, wie sehr sie sich getäuscht hatten. 

Soll das heißen, dass die Populisten von heute allesamt nur die brutalen Diktatoren von morgen sind? Nein. Zumindest nicht in dieser Allgemeinheit. Aber Vorsicht ist dennoch geboten, denn auch diese Einschätzung teilen wir nicht zuletzt mit unseren Freunden von vor hundert Jahren. Wir müssen die Augen offenhalten, weil wir keineswegs vor Entwicklungen gefeit sind, wie sie in der Vergangenheit stattgefunden haben. Wenn gewisse Oppositionspolitiker heute demokratisch … nennen wir es mal fragwürdige … Äußerungen von sich geben, ist das wahrscheinlich kein Zufall. Es ist ein Zeichen ihrer Überzeugung, wie sie in rechtspopulistischen Bewegungen auch nicht nur eine Ausnahme sind. Es sind nicht alles Einzelfälle! Das Handbuch der Diktatoren findet heute überall auf der Welt neue Verwendung. Wir Demokraten haben somit eine Verantwortung: Wir müssen diese Methoden der Populisten kennen – und unsere dagegenhalten!

Buch-Tip

Dieser Artikel basiert auf Ralf Grabuschnigs Buch „Populismus leicht gemacht. Erfolgreich lernen von den großen Diktatoren der Geschichte“. Darin schreibt der Historiker auf satirische und zugleich warnende Art das „Handbuch der Diktatoren“ nieder und zeigt, wie es heute erneut Verwendung findet. Ab Juli ist das Buch im Handel erhältlich. Auf der Webseite des Autors können Sie sich in eine Warteliste eintragen: 
www.ralfgrabuschnig.com/populismus-­leicht-gemacht

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