Ralf Grabuschnig

ist Historiker, Blogger, Podcaster und Autor des Buches „Endstation Brexit“. Auf seinem Podcast sprach er Ende März über das genaue Gegenteil dieses Artikels: „Warum das mit Großbritannien und Europa nichts mehr wird.“

Das wird schon wieder

April 2019

Das britische Parlament blockiert bislang alle Alternativen, immer wahrscheinlicher wird damit ein harter Brexit.
Es macht aber auch keinen echten Unterschied. Denn wirklich los werden wir einander auch in Zukunft nicht werden, wir und die Briten – das zumindest lehrt die Geschichte.

Europa und die Briten konnten in der Geschichte noch nie ohne einander. Können sie das jetzt? Das Referendum über den britischen EU-Ausstieg ist inzwischen bald drei Jahre her und mal ganz ehrlich: In der Zwischenzeit hätte man den Austrittsprozess doch fast schon vergessen, so schläfrig wandelte er über weite Strecken hinweg durch die europäische Politik- und Medienszene. Es war erst in den letzten Wochen, dass der Brexit wieder seinen Weg in die öffentliche Aufmerksamkeit zurückfand. Dafür tat er das aber mit ordentlicher Wucht! Wie der britische Austritt ausgehen wird, ist dabei trotz allem noch nicht so recht absehbar. Es macht aber auch keinen echten Unterschied. Denn wirklich los werden wir einander auch in Zukunft nicht werden, wir und die Briten. Zumindest wäre das in der Geschichte das erste Mal. Denn die britische Insel und der europäische Kontinent sind in den letzten paar hundert Jahren regelmäßig aneinandergeraten, nur um sich sofort danach wieder in die Arme zu fallen. Warum sollte das dieses Mal anders sein? 

Europa: Eine Lösung, wenn auch keine unkomplizierte

Allein schon die Vorstellung, Großbritannien und Europa wären zwei grundsätzlich unterschiedliche Dinge, ist doch eigentlich wahnsinnig. Schon die alten Kelten siedelten sowohl dies- wie jenseits des Ärmelkanals und hielten über dieses bisschen Wasser hinweg steten Kontakt. Etwas später teilten dann auch so gut wie alle keltischen Stämme – egal, auf welcher Seite des Kanals sie nun siedelten – dasselbe Schicksal: die Eroberung durch das Römische Imperium. Da ist es wenig überraschend, dass die lokalen britischen Fürsten nach Abzug eben dieser Römer im 5. Jahrhundert erneut nach Europa schauten, um nach einer Lösung für die chaotischen Zustände im eigenen Land zu suchen. Und sie fanden diese Lösung … In Gruppen von Sachsen, Angeln und anderer germanischer Stämme, die zur Verteidigung der britischen Städte auf die Insel geladen wurden. 
Das war nun zwar vielleicht eine Lösung, aber zugegeben: Als allzu erfolgreich kann man die Aktion für die römisch-keltischen Machthaber im Britannien der Zeit nicht beschreiben. Immerhin war nur ein paar hundert Jahre später kaum noch eine Spur von ihnen auf der Insel zu finden. Naja, außer vielleicht in Wales aber jetzt mal ehrlich … es ist Wales … Stattdessen fand man da plötzlich eine stattliche Zahl sogenannter „angelsächsischer“ Königreiche vor. Die Germanen aus Europa kontrollierten das bald so genannte England voll und ganz und damit lagen sie ja im europäischen Trend. Auch im Verlauf des weiteren Mittelalters änderte sich die Beziehung der britischen Insel zum Festland nicht mehr grundlegend. Und auch wenn es immer wieder Probleme mit anderen Europäern gab – man denke da an die Wikingereinfälle zum Beispiel –, blieb die alte Weisheit doch aufrecht: Im Notfall findet man die Lösung immer in Europa. Das taten die englischen Könige dann auch, als sie eine Allianz mit den Normannen in der Normandie schlossen, um sich so gegen Wikingereinfälle zur Wehr zu setzen. Dass genau das kurze Zeit später zum Einmarsch der Normannen in England führen sollte, konnte doch keiner ahnen.
Eine weitere Gelegenheit, in der der europäische Kontinent den Engländern aus der Patsche helfen durfte, ist dann sogar eine, die in der englischen Geschichtsschreibung eine ganz zentrale Rolle einnimmt: die Glorreiche Revolution von 1688. Sie war Folge einer Auseinandersetzung, die in ganz Europa im 17. Jahrhundert zu Krieg und Chaos führte: der Glaubensstreitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten infolge der Reformation. Am Kontinent wurde in der Frage (zumindest offiziell ging es um diese Frage) der Dreißigjährige Krieg ausgefochten. Während sich England aus diesem Konflikt zwar raushalten konnte, folgte dort in den 1640ern ein ganz ähnlich gearteter Bürgerkrieg, in dem sich protestantische parlamentarische Kräfte gegen den angeblich prokatholischen König Karl erhoben. Die Parlamentsgruppen unter Oliver Cromwell blieben darin siegreich, doch folgte auf ihren Triumph die republikanische Diktatur, die sich als auch nicht viel beliebter oder erfolgreicher herausstellte als der alte König. Nach Cromwells Tod entschieden sich die hohen Adeligen Englands also, das Experiment mit der Republik lieber sein zu lassen. Man holte also den Sohn des hingerichteten Königs – Karl II. – wieder ins Land zurück.
Nur wenige Jahrzehnte später wurde die Lage für das protestantische Establishment in England aber auch schon wieder verdammt ungemütlich. Der König starb nämlich und ausgerechnet sein katholischer Bruder Jakob war sein Nachfolger. Das wurde den Parlamentariern dann wohl doch zu viel und sie wandten sich – in altbewährter Manier – nach Europa, um sich dort nach Hilfe umzusehen. Teile des Parlaments luden dann einfach den niederländischen Statthalter Wilhelm von Oranien ins Land ein, um Jakob die Krone notfalls mit Gewalt abzunehmen. Besser ein Ausländer aus Europa als ein Katholik, hat man sich wohl gedacht! Konsequenterweise wurde nach der erfolgreichen Machtübernahme Wilhelms und seiner Frau im „Act of Settlement“ einfach festgelegt, dass von nun an kein Katholik jemals König Englands werden könne. Wunderbar! Dann wäre das Problem ja gelöst … Dass keine 15 Jahre später ausgerechnet ein Deutscher, Georg von Hannover, aufgrund genau dieses Gesetzes gut 80 Plätze in der englischen Rangfolge übersprang und zum König aufstieg, war da immer noch ein Kompromiss, den man einzugehen bereit war.

Und brenzlig wurde es

In Anbetracht all dessen ist es nicht überraschend, dass Großbritannien auch im 20. Jahrhundert noch nach Europa blickte, sobald es auf der Insel brenzlig wurde. Und brenzlig wurde es … Immerhin lag das Land nach zwei Weltkriegen – wenn es diese auch gewonnen hat – vollkommen am Boden zerstört da und seine Kolonien sagten sich eine nach der anderen vom Zentrum in London los. Zähneknirschend sah man es in Großbritannien also wieder einmal ein: Die Lösung müsse in Europa zu suchen sein. Und so kam es, dass das Land (nach einer ersten Ablehnung durch Charles de Gaulle persönlich) 1973 doch noch Mitglied der Europäischen Gemeinschaft wurde. Jetzt nach 45 Jahren wollen sie anscheinend doch nicht mehr. Oder zumindest einige auf der Insel wollen nicht mehr. Aber das wird schon wieder. So war es doch immer schon.

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