David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Medienversagen und dessen Lösung

Oktober 2021

Für Demokratie und gute Politik braucht es freie, vielfältige und kritische Medien. Politik und Medien sind eng verflochten. Einerseits liefern die Medien Informationen zu politischen Problemstellungen, andererseits berichten Medien über politische Entscheidungen und haben eine wichtige Funktion bei der Beleuchtung und Einordnung ebendieser.
Doch bei echten und vermeintlich echten Krisen berichten viele Medien einseitig, wenig analytisch, setzen auf Gefühle oder übernehmen unkritisch die Positionen der Regierungen. Dies galt vielfach in der Corona-Krise, bei Berichten über die „Klima-Krise“ und es gilt auch in Ländern oder Situationen, wo Regierungsversagen offensichtlich ist. Weshalb verlieren in Krisen selbst manche Qualitätsmedien ihre Kritikfähigkeit und was kann getan werden?

Gründe für Medienversagen

Manche argumentieren, aufgrund von Spardruck würden mittlerweile viele Agenturmeldungen unhinterfragt übernommen. Die Medienbranche entlohnt ihre Mitarbeiter oft eher dürftig und zwischen Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit ist teils nur ein schmaler Grat. Manche meinen, regierungskritische Beiträge könnten die Chancen eines angestrebten Wechsels in besser bezahlte und sichere Stellen der ständig wachsenden staatlichen Kommunikationsabteilungen beeinträchtigen. 
Wichtiger als Spardruck oder die Hoffnung auf bessere Stellen ist die Relevanz von Unsicherheit in Krisen. Qualitätsmedien wollen zur Erhaltung ihrer Reputation echte und scheinbare Fehler vermeiden. Bei Krisen ist der Informationsbedarf der Bürger hoch. Berichte zur Krise finden Aufmerksamkeit, gleich wie regierungsdienlich oder -kritisch sie sind. Weil bei Krisen große Unsicherheit besteht, kann die Regierung kritische Beiträge leichter als irrelevant oder falsch abtun. Regierungsdienliche Berichte sind ihr hingegen willkommen. Rationale Medienschaffende übernehmen deshalb eher die Kommunikation der Regierungen und sind weitgehend unkritisch. Die resultierende Berichterstattung ist zwar regierungs-, aber natürlich nicht immer staats- oder gar bürgerdienlich. Daraus resultiert Medienversagen in Krisen. Erst über die Zeit wird das Krisenmanagement der Regierung hinterfragt. Wer jedoch lange die Regierungspolitik gepriesen hat, kann sie danach umso schwerer kritisieren. 

Wettbewerb hilft

Medien, die die Vielfalt der verfügbaren Informationen, Erfahrungen und Werte einer Gesellschaft abbilden sind keine Errungenschaft, sondern eine dauernde Aufgabe. Medienversagen ist lösbar. Dazu bedarf es einer neuen Institution, die mitunter bei kirchlichen Heiligsprechungsprozessen längst erprobt ist: Es braucht Anwälte der Gegenseite in Form eines Advocatus Diaboli. 
In kirchlichen Heiligsprechungsprozessen hat der Advocatus Diaboli als sprichwörtlicher Anwalt des Teufels die Pflicht, die zusammengetragenen „Belege“ für eine Heiligsprechung anzufechten. Er soll gezielt Argumente gegen die Heiligsprechung einer Person finden, sodass möglichst viele Argumente in den Prozess miteinbezogen werden. Auch Demokratie, Jurisprudenz und Wissenschaft funktionieren ähnlich. Parteien, Anwälte und Wissenschaftler suchen wettbewerblich nach den bestmöglichen Argumenten für ihre politischen Projekte, ihre Mandanten oder ihre Hypothesen, die dann von einer Art Gericht – dem Wahlvolk, dem Richter oder der „scientific community“ – beurteilt werden.

Anwälte des Teufels als wettbewerbliche Kritikorgane

Die Institution des Advocatus Diaboli ist auch im Medienbereich nützlich. Konstruktive Kritik in Krisenzeiten ist ein typisches öffentliches Gut. Die Kosten von Kritik fallen beim einzelnen Medium an, aber der Nutzen verteilt sich auf die ganze Gesellschaft. Entsprechend haben die einzelnen Medien weder Anreize noch Ressourcen, die Rolle eines Advocatus Diaboli einzunehmen. Stattdessen sollte die Allgemeinheit ein oder mehrere Stellen mit der Aufgabe des Advocatus Diaboli beauftragen, im Krisenfall angemessene Kritik an der Regierung vorzubringen. Natürlich existieren bereits Organe für institutionalisierte Kritikprozesse, die wichtig und geschätzt sind, wie beispielsweise Rechnungshöfe im Bereich der öffentlichen Finanzen. Rechnungshöfe dürfen aber leider immer erst im Nachhinein kritisieren, wenn der Schaden durch Regierungen oder Verwaltungen bereits entstanden ist.
Eine unabhängige, idealerweise volksgewählte Kritikkommission in Form eines Advocatus Diaboli im Medienbereich hätte Anreize, bereits vorab die bestmöglichen Argumente gegen staatliche Entscheidungen zu formulieren. Dank dem Auftrag zur Kritik müssen die Mitglieder der Kritikkommission nicht fürchten, verunglimpft zu werden. Weil die Mitglieder explizit für die Funktion der Kritik gewählt sind, haben sie starke Anreize, die Arbeit der Regierung konstruktiv-kritisch und lösungsorientiert zu begleiten, was sie von Oppositionsparteien unterscheidet. Oppositionsparteien üben zwar auch Kritik, sind aber am Scheitern der Regierung interessiert.
Die Kritik eines Advocatus Diaboli wirkt über mindestens drei Kanäle. Erstens kann die Regierung die Vorschläge direkt aufnehmen. Zweitens liefert er Informationen an Medien und damit an die Bevölkerung. Drittens wird die Regierung versuchen, der Kritik möglichst zuvorzukommen und die offensichtlichsten Mängel ihrer Politik vorab beheben.
Im Falle der Corona-Krise etwa hätte die Kritikkommission der Regierung wohl früh gefragt, warum sie nicht das Ausmaß der Immunität der Genesenen durch Antikörper erhebt. Bei der „Klima-Krise“ dürfte der Advocatus Diaboli mitunter kritisch nachfragen, wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis einzelner Klimamaßnahmen in einem Land aussieht, dass etwas weniger als 0,2 Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen beiträgt, während das Gros der Welt weiter emittiert. Weil für die Regierung die Kritik und die Empfehlungen einer volksgewählten Kommission viel gewichtiger sind als es die von einzelnen Wissenschaftlern wäre, würde sie in Erwartung derartiger Kritik eine viel vernünftigere Politik betrieben, so dass der Advocatus Diaboli für manche Bereiche nur sagen könnte: Die Arbeit der Regierung ist insgesamt solide.

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